Warum wohl krank?

Die einen sagen, er hat ja selbst schuld! Der Mensch ist ja so unvernünftig, er raucht, trinkt, säuft, schläft wenig, glotzt immer in die Röhre, ißt zuviel und das auch noch zu schnell, atmet immer die schlechte Luft ein, soll er sich doch ein Häuschen im Grünen bauen, wer sich bemüht, wird auch belohnt!

Die Anderen sagen, wovon soll er sich wohl ein Haus im Grünen bauen, he? Warum versucht er sich durch Zigaretten zu beruhigen, kommt er nicht mehr zum Schlafen, ist er umgeben von dieser Luft und dem vergifteten Essen?

Es gilt eine Gesellschaft zu erhalten, in der Wenige von der Arbeit der Mehrheit profitieren. Ein ausgeklügeltes System von Leistungsdruck und Konsumverlangen, Meistern und Managern, kleinen und großen Chef's, Schule und Erziehung versucht die Ungleichheit aufrechtzuerhalten.

Ein Mensch, Körper, Seele, der/die über längere Zeit hinweg eingeengt, behindert und unterdrückt wird, reagiert (wird) krank.

Er verweigert sich den herrschenden Normen, d.h. er tut (er kann) nicht mehr, was von ihm verlangt wird.

Bist du krank, so leistest du Widerstand. Dem einen ist es bewußt, dem anderen nicht. Wir finden es besser, wenn es bewußt läuft. Jeder ist in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt, der eine mehr körperlich, die andere mehr innerlich; die eine mehr äußerlich, der andere mehr seelisch.


Psychosomatische Zusammenhänge

Wir haben für euch viele solche Krankheiten oder Leiden beschrieben, bei denen sich Arbeits- und Lebensbedingungen direkt auf den Körper auswirken. Die intellektuellen Wichser nennen das psychosomatisch. Sie fangen bei Mißempfindungen wie innerer Unruhe, Lustlosigkeit, Appetitstörungen an und enden bei schweren organischen Schäden wie z.B. dem Magengeschwür.

Die Übergänge sind fließend, sehr oft können keine krankhaften Organbefunde nachgewiesen werden. In einer Alltagspraxis haben ca. 50% der Patienten solche Störungen. Sie entstehen, weil unter kapitalistischen Bedingungen eine freie Entfaltung des Einzelnen nicht mehr möglich ist. Die Arbeit eines Fabrikarbeiters z.B. bedeutet Streß durch Akkord und Schichtarbeit und immer gleichbleibende Monotonie, bei der er oft nicht weiß, was er herstellt. Der Streß von Arbeitern ist weit größer als der von Angestellten, was folgende Untersuchungen beweisen: Sie erkranken doppelt so häufig an Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwür wie Angestellte <Erhebung des Bundesgesundheitsamtes). Außerdem liegt die Sterbequote bei 35-jährigen Arbeitern dreieinhalb mal höher als bei gleichaltrigen Beamten.

Es endet immer dann in solchen wirklich schweren Krankheiten, wenn Unterdrückung chronisch wird.

Aber ihr könnt eure ,Organsprache' nützen, um dem vorzubeugen. Ihr kehrt dem Chef und dem Krach und dem Gestank am Arbeitsplatz den Rücken, indem ihr euch krankschreiben laßt, mit dem was euch jetzt belästigt.

Wenn ihr eure früheren ,zipperlein' überdenkt, werdet ihr wahrscheinlich feststellen, daß sich manche Sachen doch wiederholen. Bei den meisten Leuten gibt es ein Organ und ein Organsystem, was besonders anfällig ist und am ehesten anfängt, auszurasten, z.B. Magen- oder Kreislaufbeschwerden oder Rückenschmerzen. Natürlich kann es auch alles drei sein. Auch das solltet ihr euch zunutze machen und durch leichtere Übertreibungen ausbauen.

Wir wollen also nicht, daß ihr perfektes Theater lernt - Simulanten werdet, wie es die Herrschenden nennen würden. Erstens fliegt man dabei schneller rein und zweitens ist es nicht nötig. Ihr habt Symptome und ihr habt ein Recht darauf, sie wahrzunehmen und nicht schlimmer werden zu lassen. Und das nicht nur in der Talsohle der Konjunktur.

Aber auch eins wollen wir sagen. hütet euch davor, eure Symptome selbst überzubewerten und euch in euer Leiden zu ergeben. Wer krank macht und wer krank ist, wißt ihr selbst. Gesundheit gibt es nicht in diesem System. Aber wenn wir unsere Beschwerden gegen die Entfremdung und Enteignung selber richten, können wir lernen wieder über uns selbst zu bestimmen.

»Wer krank ist, taugt nichts. Wer nichts taugt, fliegt raus. Wer krank rausfliegt, protestiert nicht: den Krankheit ist selbstverschuldet, Schicksal oder Vererbung. Angeblich zahlen wir Sozialabgaben (bis 40% verglichen mit dem Nettolohn), um uns gegen solche ,Schicksalsschläge' zu versichern. Was die Kassen für Behandlungskosten, Krankenhausaufenthalt usw. im Krankheitsfall davon ausgeben. fällt bei deren Umsatz (1968 Krankenkassenumsatz 78 Milliarden Mark; Bundeshaushalt 80 Milliarden) mit Sicherheit nicht ins Gewicht. Mit unseren Sozialabgaben unterstützen wir Vater Staat.. . .die Wirtschaft in Krisenzeiten. Wir versichern also mit unseren Sozialabgaben nicht uns gegen Krankheit, sondern die kranke Wirtschaft gegen Krisen. Und damit noch nicht genug! Wir verlieren unseren Arbeitsplatz trotzdem in der Krise, besonders wenn wir viel krank waren! Wer krank ist, geht zum Arzt.

Seit der Lohnfortzahlung üben die Unternehmer auch noch über die Hausärzte Druck auf die Krankschreibungen aus und regeln damit die Zahl der Arbeitskräfte je nach ihrem Bedarf: Während der Hochkonjunktur sollen die Kranken schneller, während der Wirtschaftskrise langsamer gesund werden.

Wer so entscheidend mitmischt, ist garantiert auch am Krankwerden beteiligt. Oder werden die Fließbänder während der Hochkonjunktur etwa langsamer gestellt??

Stimmt da vielleicht etwas nicht mit der angeblich selbstverschuldeten Untauglichkeit? Hängt Krankwerden wirklich nicht damit zusammen, daß wir uns täglich im Arbeitsprozeß verschleißen? Die Tatsache, daß wir im 8-Stundentag

fünf Stunden für den Profit arbeiten, d.h. unsere Lebenszeit verschleißen, hat uns zu denken gegeben.«

(aus Patienten-Info Nr.25 des SPK Heidelberg, 1970)


Verweigerung - individuell oder gemeinsam organisiert

Der Krankenstand liegt in allen Betrieben der BRD, auch im öffentlichen Dienst zur Zeit bei 5 bis 10%, je nach Jahreszeit und konjunktureller Lage. Er liegt zur Zeit bei 15 bis 30% je nach Jahreszeit und ist in den letzten Jahren erheblich angestiegen bei höher qualifizierten Berufsgruppen. Die allgemeine Zunahme stellt sowohl für die Krankenkassen als auch für die Betriebe inzwischen ein finanzielles Problem dar, das sämtliche Lösungsversuche einschließlich gezielten Entlassungen bisher nicht eindämmen konnten. Da gleichzeitig jedoch Rationalisierung und Intensivierung der Arbeit vorangetrieben werden, steigt auch durch diese Maßnahme die Krankheitsrate. Man kann den Krankenstand als ein Zeichen persönlicher Arbeitsverweigerung betrachten; als Verweigerung, sich in Hektik, Überlastung, seelische und körperliche Erschöpfung und Unterbezahlung, also in eine inhumane, entfremdete Arbeitswelt zu integrieren. Die Betreffenden sind Sand im Getriebe.

Viel mehr Leute als vor Jahren sind wirklich sehr krank, oft mit chronischen Leiden. Andere fühlen sich körperlich schlecht bei dem Gedanken an den Arbeitstag, ohne daß sie sich selbst als krank bezeichnen würden. Wieder anderen reicht ein Unlustgefühl zur Krankschreibung. Viele meinen auch, daß sie für sich selber so viel im Leben zu tun haben, was sie im Urlaub nicht schaffen können und brauchen halt öfter mal frei. Einige holen sich über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einen anständigen durchschnittlichen Stundenlohn. Es gibt auch Leute, die merken, daß sie einen Zusammenbruch und lange schwere Krankheit vermeiden können, wenn sie sich nicht völlig auspumpen, sondern sich zwischendurch mal Ruhe gönnen. Alle haben Recht. Jeder hat das Recht, krank zu werden, wozu er diese Zeit auch immer nutzt. Allerdings ändert er dadurch nicht die Bedingungen, die ihn zu dem Mittel Krankschreibung haben greifen lassen. Fast massenhaft praktiziert und obwohl die Kosten, bzw. der Produktionsausfall volkswirtschaftlich einen wichtigen Faktor darstellt, ist das Krankmachen eine ganz andere Form des Arbeitskampfes als Arbeitsniederlegung oder Streik es sind:

Krankmachen wird individuell gehandhabt. In der Zeit, die sie/er nicht zur Maloche geht, kann man machen wozu man Lust hat oder sich was vorgenommen hat. Den Kollegen gegenüber wird aus Angst vor Denunziation die Form »ich war krank« gewahrt. Im allgemeinen handeln Krankmacher nicht gemeinsam oder gar organisiert, also abgesprochen, sodaß sie gemeinsam eine Macht darstellen könnten.

Falls man den Extremfall annimmt, daß Frauen und Männer eines Bereiches oder Betriebes organisiert vorgehen und die

Produktion kurzfristig eingestellt wird, daß sich weiter unter den Beteiligten ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt und sie sich als Gruppe oder Kollektiv verstehen, auch dann kriegt dieser Kampf nicht die Dimensionen eines Streiks. Denn es werden keine Forderungen gestellt, man tritt dem Gegner nicht offensiv gegenüber und man kann die Macht, die im gemeinsamen Handeln liegt, nicht ausnutzen, um ei-ne Forderung grundsätzlich und für alle als Recht durchzusetzen. Sondern, meinetwegen gemeinsam, verweigert man sich, nimmt sich das Recht auf Freihaben, stillschweigend, defensiv, für dieses Mal und für das nächste Mal. Wenn der Betroffene die Arbeit wieder aufnimmt, hat sich die Situation für ihn keineswegs geändert und es wäre schade, wenn der einzige Ausweg aus der Zwickmühle die Scheinlösung der erneuten Krankschreibung wäre.

Allerdings zeigt die Erfahrung, daß viele Leute ihre Krankzeiten dazu benutzt haben, in Ruhe einen etwas klareren Kopf zu kriegen, was sie mit ihrem Leben machen wollen; vielleicht ist ganz aussteigen und manchmal durchhängen auch nicht das Paradies auf Erden, sondern nur eine bequeme Zeit, die bald eintönig wird? Oder eine neue Ausbildung wodurch sich viel ändert (???), auch die eigenen Ideen, oder regelmäßig weniger arbeiten und mal sehen, was man will und braucht, oder jobben? Sich vielleicht die Voraussetzung schaffen,. in einem Bereich, der einem besonders interessiert mit anderen Leuten gemeinsam die gesellschaftliche Situation zu verändern und die Lust und Last bei dieser Mühe nicht zu scheuen.

Jedenfalls, wollt ihr eines Tages aus der Defensive der Selbsterhaltung durch Krankschreibung in die Offensive der Selbstverwirklichung starten, wird auch dann die Krankschreibung wichtig bleiben, als Mittel, mehr Zeit übrig zu haben.

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