2.2.11           Die Schablonenschreiber – Flugblatt I-VI

Mittlerweile gehen aus der Autorenschaft die Urheber der Flugblattinhalte des Widerstandskreises von 1942/1943 hervor. Darüber hinaus fällt auf, dass zwei Personen die Schablonenvorlagen für den Vervielfältigungsapparat Greif-Vervielfältiger schrieben und beim ROTO-PREZIOSA eventuell sogar bis zu drei Personen beteiligt gewesen sein könnten. Die Schablonen wurden schreibmaschinentechnisch ausschliesslich mit der Schreibmaschine Remington Portabel 2 bearbeitet.[663] Die auf den Flugblättern I bis VI dargestellten grauen Texthervorhebungen beinhalten "Tippfehler", meist in Form von Leerzeichen oder ausgelassenen Leerzeichen, die während dem Schreib­maschinenanschlag entstanden sind.[664] Diese zeigen eine systematische und wiederkehrende Regelmässigkeit über alle Flugblattseiten.

 

    Der Historiker Sönke Zankel untersuchte, wer als Autor welche Flugblattentwürfe schrieb.[665] Hans Scholl verwendete grösstenteils einen persönlichen Schreibstil mit gelegentlicher Du-Form, Alexander Schmorell schrieb tendenziell in der distanzierten Sie-Form. So sind die Stellen grösstenteils recht gut auszumachen.[665] Der Schreibmaschinenanschlag zeigt parallelen zur Autorenschaft, mit Ausnahme des V. und VI. Flugblatts. Das VI. Flugblatt stammt inhaltlich von ihrem Professor Kurt Huber.

    Aus der Vernehmungsniederschrift von Hans Scholl ist über die Autorenschaft bezüglich der ersten vier Flugblätter festgehalten: «Den Entwurf haben wir in gemeinschaftlicher Arbeit gefertigt. Die erste Anregung hierzu ging von mir aus. Schmorell hat sich sofort zur Mitarbeit bereit erklärt. Das erste Blatt habe ich entworfen. Das zweite Blatt stammt zur Hälfte von mir, den zweiten Teil von "Nicht über die Judenfrage..." an, hat Schmorell verfasst. Vom dritten Blatt habe ich den ersten Teil bis "höher und immer höher... ", Schmorell den Rest verfasst. Der vierte Teil stammt ganz von mir. Wir haben zu unseren Ausführungen keine Quellen gebraucht.»[666] Ein Vergleich mit den Flugblättern spricht Bände, was den Schreibmaschinenanschlag betrifft. Die Aussagen von Textbereichen, zu denen Hans Scholl zur Autorenschaft Bezug nimmt, wurden mit dicken waagrechten Pfeilen an den jeweiligen Flugblättern rechtsseitig kenntlich gemacht und bestätigen dies zutreffend. Weitere Wechsel des Schreibmaschinenanschlags zeigen auch andere Stellen, die aus der Vernehmungsniederschrift von Hans Scholl nicht hervorgehen.

    Der Flugblattentwurf für das I. Flugblatt stammte laut Vernehmungsniederschrift von Hans Scholl, den er auch selbst auf Schablone übertragen haben dürfte.[667]

    Der II. Entwurf hingegen bis zur Trennlinie auf der Vorderseite wurde von Hans Scholl entworfen und auf Schablone geschrieben. Der Rest nach der Trennlinie stammte inhaltlich von Alexander Schmorell, explizit die Passage zur Judenfrage[667] und er dürfte diesen auch auf Schablone übertragen haben. Nach der Trennlinie findet ein Wechsel des Schreibmaschinenanschlags bis zum Schluss statt. Die letzten beiden Absätze auf der Rückseite, über Lao-tse,[668] siehe senkrechter Pfeil, muss Alexander Schmorell von Hans Scholl auf die Schablone mitübertragen haben. Aufgrund der Gegebenheit könnte davon ausgegangen werden, dass Hans Scholl sein erstes Flugblatt nach der Textaufsetzung alleine mit seinem persönlichen Schreibmaschinenanschlag auf die Schablone übertrug. Würde dies alles zutreffen, dann fällt charakteristisch auf, dass beim Schreibmaschinenanschlag von Alexander Schmorell häufig nach Wortendungen und Kommata Leerzeichen fehlen und Wörter sich dadurch aneinanderreihten oder auseinanderzogen. Bei einem im Gedenkbuch gezeigten adressierten Briefumschlag dürfte in Nuance eine solche Auffälligkeit ebenfalls vorliegen.[669] Diese Eigenart setzt sich auch beim III. Flugblatt fort. Die Autoren schrieben nicht nur eigene Inhalte auf Schablone, sondern auch teilweise Textpassagen des Kommilitonen.

    Wird vorangegangene Betrachtungsweise beibehalten, dann dürfte beim III. Flugblatt Hans Scholl mit seinem Entwurf begonnen haben und unterbrach auf der Vorderseite beim unteren Absatz. Anschliessend schreibt Alexander Schmorell seinen Text und übernimmt einen Teil von Hans Scholl, siehe senkrechte Pfeile, - «Opfert nicht», «Gebt nichts», «Sucht alle» - bis zur gestrichelten Trennlinie auf der Rückseite.[670] Hans Scholl schreibt ab der Trennlinie den Rest seines Textes.

    Obwohl Flugblatt IV einen kleinen Textabschnitt von Alexander Schmorell enthält, - «Zu Ihrer Beruhigung»[671] - hat Hans Scholl den vollständigen Text sehr wahrscheinlich alleine auf die Schablone übertragen. Zumindest besagt das der vorliegende Schreibmaschinenanschlag, der Hans Scholl zugeordnet werden kann. Auf der Rückseite von Flugblatt IV wurde gegen Ende des Blattes "daß" mit "ß" geschrieben, obwohl Hans Scholl in seinen Briefen und im Tagebuch und auch sonst bei den Flugblättern das "ß" mit einem "ss" versah.[672] Dieser Sachverhalt ist überraschend und kann nicht erklärt werden. Ich kann aus eigener Erfahrung berichten, die Bearbeitung von Schablonen muss sehr konzentriert erfolgen. Die Konzentration liegt vor allem auf dem einzelnen Zeichen, muss dieses gross oder klein und hart oder weich geschrieben werden und wurde das Zeichen optimal niedergeschrieben. Vielleicht hatte Alexander Schmorell oder eine andere Person beim Entwurf des Textes handschriftlich eine Textzeile in den Flugblatttext eingefügt und dabei "daß" mit "ß" geschrieben. Weil Hans Scholl die Schablone hochkonzentriert bearbeitete, wurde dann doch vor lauter Konzentration von dieser Person ungewollt das "ß" übernommen. Allem Anschein nach ist Alexander Schmorell seinem Freund Hans Scholl, was die Schreibweise des "ß" betrifft, gefolgt, zumindest bei den Flugblättern. Passagen, die Alexander Schmorell auf die Schablonen übertrug, enthalten kein "ß".

    Etwa sechs Monate liegen zwischen dem IV. und dem V. Flugblatt, als dann eine Auffälligkeit beim V. Flugblatt auftaucht. Vermutlich stammte der Flugblattinhalt grösstenteils oder gar vollständig von Hans Scholl, möglicherweise hat Alexander Schmorell Ideen eingebracht.[673] Professor Kurt Huber nahm stilistische Korrekturen auf der Vorderseite vor.[674] Eine Rückseite existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

    Sophie Scholl soll bei ihrer Vernehmung erwähnt haben: «Das erste Flugblatt mit der Überschrift "Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland. Aufruf an alle Deutsche!" und dem Schlusssatz "Unterstützt die Widerstandsbewegung, verbreitet die Flugblätter!", hat mein Bruder zusammen mit mir verfasst und zwar kurz nach Neujahr 1943. Der Text des Flugblattes in Form eines Probeentwurfs auf der Schreibmaschine haben wir "Alex" gezeigt, der den Inhalt hinnahm ohne irgendwelche Ergänzungs- oder Abänderungsvorschläge zu machen[675] Sophie Scholl versucht durch ihre Mitteilung die Hauptverantwortung auf sich und ihren Bruder zu lenken, gleiches begegnet einem auch bei Hans Scholl an verschiedenen Stellen seiner Vernehmung immer wieder. So muss die protokollierte Aussage von Sophie Scholl differenziert verstanden werden.

    Die Historikerin Barbara Beuys schreibt in ihrer Sophie Scholl Biographie: «Hans Scholl wusste, dass ihr zurückhaltendes Auftreten im Studentenkreis in München nur eine Seite seiner jüngeren Schwester war. Er kannte ihren politischen Kopf aus vielen Diskussionen in der Familie. Und das zeichnet das Flugblatt vom Januar 1943 aus: Es ist wesentlich politischer und stringenter formuliert als alle vier Schreiben, die im Sommer 1942 als "Flugblätter der Weisse Rose" von Hans Scholl und Alexander Schmorell in Umlauf gebracht wurden.» Die Historikerin spricht in diesem Absatz ihres Buches von Gepflogenheit zwischen Sophie Scholl und Hans Scholl. Die Familie kannte den kritischen Verstand und die literarische Begabung von Sophie Scholl. Die Begutachterin des Windlichts war kein anderer als Sophie Scholl selbst. Inge Scholl und Otto Aicher schickten ihre Aufsätze, bevor sie an die Geschwister oder Freunde weitergegeben wurden, vorweg an Sophie Scholl zum Lektorat.[676] So könnte auch Sophie Scholl in irgendeiner Weise beim V. Flugblatt involviert gewesen sein. Die Autorin Helga Pfoertner recherchierte über Sophie Scholl: «Sophie gehörte bis zum Ende ihrer Schulzeit dem Bund Deutscher Mädchen (BDM) an. Unter dem Einfluss der Familie distanzierte sie sich relativ früh von der NS-Ideologie. Schon als 19-Jährige interessierte sie sich für Politik, was aus einem ihrer Briefe hervorgeht. Sie schrieb am 9. April 1940: „…Ich mag gar nicht daran denken, aber es gibt ja bald nichts anderes als Politik, und solange sie so verworren und böse ist; ist es feige, sich von ihr abzuwenden…“»[677] Sophie Scholl über sich bei ihrer Vernehmung: «Ich selbst trat im Januar 1934, damals 13-jährig in die Jungmädelschaft der HJ ein und gehörte der HJ bezw. dem BDM bis 1941 an. Etwa im Jahre 1935 wurde ich Jungmädelschaftführerin, 1936 Scharführerin und 1937 / 38 Gruppenführerin.»[678] Das dürfte in der Summe zu genüge über Sophie Scholl bekräftigen, dass sie durchaus am V. Flugblatt mitgewirkt haben könnte, auch wenn sie vielfach als zurückhaltend und manchmal sogar als sehr ruhig beschrieben wird. Aufgrund ihrer Führungsaufgaben beim BDM musste sie als Vorbild gegenüber ihrer Gruppen entsprechendes Auftreten mitbringen. Jemand der sich nicht viel zutraut oder sich unsicher fühlt, kann kaum eine Gruppe anführen. Sophie Scholl muss persönliche Gründe gehabt haben, warum sie streckenweise als sehr ruhig und unauffällig wahrgenommen wurde.

    Die letzten beiden Flugblätter führen zu einer Überraschung. Vom V. Flugblatt fand ich sogar zwei erhaltene Ausführungen. Die beiden Vorderseiten des V. Flugblatts weisen einmal drei, Seite 272 Abbildung 163, und einmal neun, Seite 274 Abbildung 165, Leerzeichenfehler auf. Die beiden dazugehörigen Rückseiten gelangen schreibmaschinentechnisch makellos. Sophie Scholl nennt einen Schablonenabriss und aufgrund der hohen Flugblattauflage wurden mehrere Schablonen gebraucht.[679] Die Vorderseite der ersten Schablonen-Version Flugblatt V auf Seite 272 Abbildung 163, könnte den Geschwistern Scholl zugeordnet werden. Die Vorderseite der zweiten Schablonen-Version Flugblatt V auf Seite 274 Abbildung 165, könnte von den Geschwistern Scholl und insbesondere wegen des Schreibmaschinenanschlags auch von ihrem Freund Alexander Schmorell geschrieben worden sein. Die beiden dazugehörigen Schablonen-Rückseiten würden wiederum für Hans Scholl oder möglicherweise auch für Sophie Scholl sprechen. Willi Graf kann gänzlich nicht ausgeschlossen werden, doch liegen für eine Bearbeitung von Schablonen durch Willi Graf keine Hinweise vor. Zumal Willi Graf eher zur Mithilfe hinzukommt, als die Flugblatt-Herstellung bevorstand, also die Schablonen entweder gerade fertig geschrieben wurden oder die Produktion bereits begann.[680] Das heisst nicht, Willi Graf hätte nicht mitgewirkt. Aus der Vernehmungsniederschrift von Willi Graf zum V. Flugblatt Charge-1, das zunächst am 20. Februar 1943 hergestellt wurde: «Bei meinem Eintreffen vielleicht gegen 17 Uhr, war Scholl Hans gerade damit beschäftigt, die erforderlichen Wachsmatrizen zu beschreiben. Bei der nachfolgenden Vervielfältigung haben wir uns gegenseitig unterstützt…»[681]

    Beim V. Flugblatt Charge-1 waren für die Vorder- oder Rückseite einmal 3 Schablonen notwendig.[682] Weil die Geschwister Scholl praktisch "eins" waren, wäre vorstellbar, dass Sophie Scholl ebenfalls den Text des V. Flugblatts Charge-1 maschinentechnisch auf Schablone übertrug. Sophie Scholl zeigte sich mit ihren 21 Jahren bei ihrer Vernehmung sehr selbstsicher und schlagfertig. Am Ende ihrer Vernehmung musste ihr bewusst gewesen sein, wie schwierig sich die Situation für sie und ihren Bruder entwickelte. Dennoch hinterliess Sophie Scholl den grössten Ausdruck, den ein Mensch in einer solchen Situation noch gedanklich der Nachwelt hinterlassen kann.[683] Heute zeigt sich, wie tief Sophie Scholl in allen Prozessen der Flugblatt-Herstellung involviert war. So wäre durchaus denkbar, dass Sophie Scholl bei all den Anforderungen auch einsprang und eine Schablone ihres Bruders schrieb, um ihn so zu entlasten. Das Arbeitsaufkommen war beim Flugblatt V Charge-1 enorm hoch, jeder wurde gebraucht.[684] Am 20. Januar 1943 stand der Freundeskreis etwas unter Zeitdruck. Am Abend fand eine Lesung im Atelier statt.[685] Für etwa 3 Stunden konnte ein Anteil an Flugblättern bis zur Lesung vervielfältigt werden. Frau hin oder her… Für ihren Bruder und für ihre Freunde muss Sophie Scholl eine grosse Bereicherung gewesen sein, eben ein "morz Kerl".[686] Die adressierten Briefumschläge, die von Sophie Scholl geschrieben worden sein dürften, weisen ebenfalls einen astreinen Schreibmaschinenanschlag auf.[687]

    Beim VI. Flugblatt, das am 12. Februar 1943 hergestellt wurde, erwähnt Willi Graf: «Noch vor der Abfahrt begab ich mich etwa um 16 Uhr in die Wohnung Scholl, wo Hans Scholl oder Schmorell gerade damit beschäftigt war, die Matrize für das Flugblatt mit der Überschrift: Studentinnen, Studenten bzw. Kommilitonen, Kommilitoninnen zu schreiben…»[688]

    Das VI. Flugblatt ihres Professors Kurt Huber ist ebenfalls technisch exzellent gelungen, wie die beiden Rückseiten des V. Flugblatts. Dieses Flugblatt weist nur einen Leerzeichenfehler auf. Beim VI. Flugblatt ergaben sich zwei bekannte Schablonenabrisse.[689] Einen erwähnt Sophie Scholl,[690] einen weiteren Hans Scholl[691] und ein technisches Problem beschreibt Alexander Schmorell.[692] So kann beim hier gezeigten VI. Flugblatt eigentlich nur Hans Scholl die Schablone bearbeitet haben, weil sich Sophie Scholl zu diesem Zeitpunkt in Ulm befunden haben musste.[693] Dass Sophie Scholl extra zur Flugblatt-Herstellung für einen Tag nach München anreiste, wäre zwar möglich, doch existiert hierzu kein Nachweis. Sophie Scholl schrieb am 10. Februar 1943 und am 13. Februar 1943 jeweils einen Brief von Ulm nach Russland an ihre Liebe Fritz Hartnagel.[694] Feststellbar ist jedoch, würde Hans Scholl für das V. und VI. Flugblatt als Schablonen-Schreiber in Betracht kommen, dann müsste er seinen Schreibmaschinenanschlag unglaublich perfektioniert haben. Das zeigen die aufgeführten Flugblattseiten ab Seite 272, Abbildung 163 bis Abbildung 167. Beim V. Flugblatt ist an Gisela Schertling eher nicht zu denken, denn Gisela Schertling und Hans Scholl sollen sich erst Mitte Januar 1943 näher kennengelernt haben.[695] Beim VI. Flugblatt könnte Gisela Schertling bei der Bearbeitung von Schablonen beteiligt gewesen sein, doch scheinen hierzu keine Nachweise vorzuliegen. Auch bei Willi Graf spricht wenig dafür, dass er eine Schablone bearbeitete, denn als Willi Graf in die Geschwister Scholl Wohnung kommt, wurde bereits an der Schablone des VI. Flugblatts gearbeitet.[696], [697] Vielleicht konnten Hans Scholl und Alexander Schmorell ihren Schreibmaschinenanschlag durch eine Schreibtätigkeit bei ihrer Famulatur in Russland perfektionieren. Als angehende Ärzte werden sie vielleicht die Krankenakten bzw. die Operationsverläufe schreibmaschinentechnisch niedergeschrieben und gepflegt haben. Aufgrund der Vernehmungsniederschrift von Willi Graf dürfte im wesentlichen Hans Scholl für die technische Bearbeitung der Schablonen für die letzten beiden Flugblätter gelten. Dies betrifft zumindest die hier gezeigten Flugblätter V und VI. Das VI. Flugblatt das Alexander Schmorell laut seiner Vernehmungsniederschrift[698] auf Schablone übertrug, blieb der Nachwelt vielleicht nicht mehr erhalten. Am Ende des VI. Flugblatts trat während der Vervielfältigung auf der unteren linken Seite eine Verschiebung des Schablonenpapiers auf. An dieser Stelle liegen keine Schreibfehler vor.

    Durch die Bearbeitung mehrerer Schablonen ergaben sich mindestens vier Versionen an Schablonen und deshalb mehrere Versionen des VI. Flugblatts. Eine Version hatte Alexander Schmorell auf Schablone übertragen. Alexander Schmorell bei seiner Vernehmung: «…Nach dem Abstrich dieser Stellen habe ich das letzte Flugblatt auf der Schreibmaschine geschrieben und bei der Vervielfältigung und beim Vertrieb mitgeholfen…»[699] Bei der letzten Phase der Flugblatt-Herstellung, die am 12. Februar 1943[700] stattfand, erwähnte Alexander Schmorell bei seiner Vernehmung am 25. Februar 1943, am Abend seiner Anwesenheit sei Sophie Scholl nicht zugegen gewesen. Drei Tage zuvor wurden die ersten Hinrichtungen von Sophie Scholl, Hans Scholl und Christoph Probst vollzogen, Alexander Schmorell erweckt in dieser Vernehmungsphase den Eindruck, dass er Sophie Scholl unwissentlich der vorangegangenen Ereignisse immer noch zu schützen versuchte. Bis zu dieser Phase seiner Vernehmung sprach er nur über Hans Scholl, Willi Graf und sich.[701] Sophie Scholl dürfte in dieser Zeit nicht in München gewesen sein, denn sie war zu Besuch bei den Eltern Magdalene Scholl und Robert Scholl zwischen dem 5. und 14. Februar 1943.[702] Laut Willi Graf befand sich Sophie Scholl am 15. Februar 1943 wieder in der Geschwister Scholl Wohnung.[703]

    Bei allen Flugblättern sind Wortunterstreichungen vorzufinden. Sehr wahrscheinlich wurden diese nicht vom Widerstandskreis vorgenommen, sondern von den Vernehmungsbeamten selbst und nach dem Krieg beim Kopieren nicht kenntlich gemacht.[704] Vom V. Flugblatt fand ich zwei erhaltene Ausführungen. Beide enthalten eine ruhig gezogene Wortunterstreichung am Flugblattende des Wortes «verbreitet». Diese Wortunter­streichungen könnten dem Widerstandskreis zugeordnet werden. Um sicherzugehen, müsste ein Vergleich an einem Original Aufschluss geben können. Das dürfte beim V. Flugblatt vermutlich die einzige Wortunterstreichung gewesen sein.

    Die Rückseite der zweiten Schablonen-Version Flugblatt V[705] auf Seite 275 Abbildung 166, zeigt im Vergleich zur ersten Version auf Seite 273 Abbildung 164 bei den letzten Zeilen 12 bis 5, einen früheren Zeilenvorschub. Dadurch stehen einige Worte nicht mehr am Zeilenende, sondern am Zeilenanfang. Ein Grund dafür ist nicht erkennbar. Dieses V. Flugblatt dürfte aufgrund des auffälligen Schreibmaschinenanschlags von Hans Scholl oder Sophie Scholl auf Schablone übertragen worden sein. Über alle Flugblätter hinweg, zeigt sich immer wieder dieser auffällige Wechsel des Schreibmaschinenanschlags.

    Einige wenige Originalflugblätter sollen noch existieren, doch bei welchen glücklichen Besitzern sie sich befinden, ist nicht einfach zu beantworten. Angeblich soll eines in der Schweiz vorliegen und im Raum Stuttgart. Letzteres soll Susanne Hirzel verschenkt haben. Auf Anfrage bei der Ludwig-Maximilians-Universität in München wurde der Besitz eines Original-Flugblatts des Widerstandskreises Weisse Rose dankend verneint.[706] Am 6. Dezember 2016 erhielt ich dankend von Johann Pörnbacher, dem Archivoberrat vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv, zur Existenz möglicher originalerhaltener Flugblätter des Widerstandskreises die Mitteilung: «[Z]u den Original-Flugblätter der Weißen Rose existiert nur ein Brief der Generaldirektion aus dem Jahr 2008 mit dem Verweis auf das Bundesarchiv, das die Originale "angeblich" unter der Signatur NJ 1704 Band 32 verwahrt.» Bestätigend findet sich der Sachverhalt auch in der Chronik der Bibliotheks-Ausgabe vom Oktober 1991 bis 30. September 1993 der Ludwig-Maximilians-Universität. Als Lagerort der Flugblätter wird auf den Seiten 174-175 und 176-177 angegeben: «Die Originale der Flugblätter befinden sich im Bundesarchiv Potsdam NJ 1704 Bd. 32».

    Aufgrund der angewendeten Vervielfältigungstechnik mittels Mimeographen dürften die von 1942 und 1943 gefertigten originalerhaltenen Flugblätter heute noch in bestem Erscheinungsbild vorliegen. Wären die Flugblätter mit Hektograph oder Matrizen­drucker hergestellt worden, würden die Flugblätter nach so vielen Jahren nahezu unleserlich sein und bei der Archivierung bezüglich der Haltbarkeit grosse Probleme hervorrufen.[707], [708] Das fünfte und sechste Flugblatt stechen, was die schreibmaschinentechnische Formatierung betrifft, von allen Flugblättern besonders hervor.[709] Bei der Vervielfältigung traten mehrere Schablonenabrisse auf,[710] sodass die neugestaltete, auch in Abhängigkeit, wer sie fertigte, mit anderen bzw. im Wesentlichen mit Leerzeichenfehlern behaftet gewesen sein dürfte. Auch im Institut für Zeitgeschichte in München finden sich alle bekannten Flugblatt-Variationen auf Mikrofilm.[711]

    Auf den nächsten Seiten, 264 bis 276, werden alle Flugblätter I-VI mit dem jeweilig markanten Schreibmaschinenanschlag gezeigt. Alle Auffälligkeiten wurden mit grauen Markierungen versehen. Die grauen Markierungen treten in unterschiedlichen Konzentrationen auf und machen deutlich, wann ein Wechsel des Schreibmaschinenanschlags stattfindet. Die Flugblätter I bis V hatten eine Vorder- und Rückseite, dass VI. Flugblatt von ihrem Professor nur eine Vorderseite mit gut über­legtem Grund, dazu später mehr.[712] Aufgrund irregulärer Schablonenabrisse entstanden verschiedene Versionen beim V. und VI. Flugblatt.

 

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