2.2.5           Weisse Rose – Kunde bei Kaut-Bullinger

Laut Vernehmungsniederschrift von Hans Scholl soll das Unternehmen für Bürowaren «Kauth und Bullinger» in München in der Dienerstrasse sich befunden haben.[611] In der Vernehmungsniederschrift von Hans Scholl liegen zum Firmennamen zwei Schreibweisen vor, "Kaut und Bullinger" und "Kauth und Bullinger" und machte zunächst das Auffinden des Unternehmens etwas schwierig, zumindest für eine Person, die nicht aus München stammte. Die Geheime Staatspolizei notiert über Hans Scholl: «Die Matrizen habe ich im Schreibwarengeschäft Kauth und Bullinger, Dienerstraße, gekauft. Es war ein voller Karton mit glaublich 10 Stück.»[612] «Ich bekam sie ohne weiteres, vielleicht weil ich meist in Uniform gegangen bin. Zum Beispiel bei Kaut und Bullinger bekam ich auf einmal 2000 Stück Saugpapier[613]

KAUT-BULLINGER CO G.M.B.H. in München Residenzstrasse 6, 1929, © Familie Egerer (Prof. Dr.), Familie Schambec

Abbildung 131: KAUT-BULLINGER CO G.M.B.H. in München Residenzstrasse 6, 1929, © Familie Egerer (Prof. Dr.), Familie Schambeck

   In der Vernehmungsniederschrift wurde der Begriff Matrize verwendet, gemeint sind Schablonen.[614] Bei seiner Vernehmung sagte Alexander Schmorell aus: «Dagegen kann ich mit Bestimmtheit angeben, dass die bei mir sichergestellte Quittung vom 28. Jan. 43, ausgestellt von der Fa. Kaut-Bullinger u. Co., den Einkauf von Matrizen bestätigt.»[615]

KAUT-BULLINGER CO G.M.B.H. in München Residenzstrasse 6, 1929, © Familie Egerer (Prof. Dr.), Familie Schambec

Abbildung 132: KAUT-BULLINGER CO G.M.B.H. in München Residenzstrasse 6, 1929, © Familie Egerer (Prof. Dr.), Familie Schambeck

    Auf Anfrage vom 30. März 2014 zum historischen Sachverhalt, ob laut Vernehmungsniederschrift von Hans Scholl die damalige Firma "Kauth und Bullinger" dem heutigen Unternehmen KAUT-BULLINGER & CO GmbH & Co. KG gemeint sein könnte, teilte das Unternehmen dankend durch Christel Schambeck mit: «Ich bin ganz sicher, dass mit Kauth und Bullinger nur unser Geschäft Kaut-Bullinger gemeint sein kann. In München gab es nie eine ähnlich lautende Büro- und Schreibwarenhandlung als nur Kaut-Bullinger. Mein Großvater, Prof. Dr. Heinz Egerer, hat 1927 diese Firma gekauft und sie ist seit dieser Zeit im alleinigen Familienbesitz. Seit 1927 bestand unsere Firma in der Residenzstr. 6 bis wir 1943 total ausgebombt wurden und in die Dienerstraße, dem heutigen Haus von Betten-Rid eingewiesen wurden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir im Frühsommer 1943 noch in der Residenzstraße 6 in unserem Geschäft waren und erst im Herbst 1943 ausgebombt wurden. Dort hat 1944 wieder ein Bombenangriff alles total zerstört und wir wurden in das Café in der Rosenstraße 10 einquartiert. 1971 sind wir dann in unseren Neubau Rosenstr. 8 endgültig eingezogen.

KAUT-BULLINGER CO G.M.B.H. in München Residenzstrasse 6, 1929, © Familie Egerer (Prof. Dr.), Familie Schambec

Abbildung 132: KAUT-BULLINGER CO G.M.B.H. in München Residenzstrasse 6, 1929, © Familie Egerer (Prof. Dr.), Familie Schambeck

   Wir hatten immer auch diverse Büromaschinen und das entsprechende Verbrauchsmaterial und auch eine Büromaschinen-Werkstatt. Welche Maschinen dort verkauft wurden, kann ich mich nicht erinnern. Hauptsächlich natürlich Schreibmaschinen und Buchungs­maschinen. Kurz nach dem Krieg kann ich mich noch an diverse Rotationsmaschinen mit Matri­zen erinnern, ich glaube Fa. Roto. Ich kann mich noch an die Bombardierung des Nationaltheaters gleich gegenüber der Residenzstr. 6 erinnern, da wir an diesem Tag bei meiner Mutter im Geschäft waren und nach der Entwarnung die Flammen aus dem Nationaltheater lodern sahen. Meine Mutter hatte mit der SS auch Probleme, da sie diesen Leuten meist weniger Ware gab, da sie auch die normalen Kunden bedienen wollte; das brachte ihr fast eine Einweisung nach Dachau ein. Ich glaube es war 1939 oder 38 als wir ans Schaufenster von der SS ein Plakat "Jude" angeklebt bekamen und die Androhung unseren Laden zu schließen. Da wurde mein Vater gezwungen Mitglied bei der NSDAP zu werden um das Geschäft weiterführen zu können. Mein Vater wurde sehr schnell nach dem Krieg "entnazifiziert", da er ja zur Mitgliedschaft gezwungen worden war. Ich bin sicher, dass die gekauften Materialien für die Flugblätter nur von unserer Firma stammen konnten[616]

KAUT-BULLINGER CO G.M.B.H. in München Residenzstrasse 6, 1929, © Familie Egerer (Prof. Dr.), Familie Schambec

Abbildung 134: KAUT-BULLINGER CO G.M.B.H. in München Residenzstrasse 6, 1929, © Familie Egerer (Prof. Dr.), Familie Schambeck

    Am Beispiel der Familiengeschichte von Familie Egerer und Familie Schambeck zeigt sich, wie auch an anderer Stelle bereits hingewiesen, dass eine Mitgliedschaft bei den Nationalsozialisten nicht gleich etwas Tiefgreifendes bedeuten muss und wie wichtig deshalb eine neutrale Differenzierung notwendig ist.[617]

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Abbildung 135: KAUT-BULLINGER CO G.M.B.H. in München Residenzstrasse 6, 1929, © Familie Egerer (Prof. Dr.), Familie Schambeck