2.2.3           Lebensgefährliche Einkäufe – Rechtslage

Der Besitz von Vervielfältigungsapparaten war ab Kriegsbeginn unter den National­sozialisten insbesondere ohne korrekte Abwicklung durch einen Bezugschein nicht unproblematisch und konnte im Einzelfall vor dem Volksgerichtshof in einem Prozess schnell zur Todesstrafe führen.[555] Für die im "Reich" lebenden Juden erging ab 13. November 1941 die Anordnung: «Sämtliche in jüdischem Privatbesitz befindliche Schreibmaschinen, Rechenmaschinen, Vervielfältigungsapparate, Fahrräder, Photoapparate und Ferngläser sind zu erfassen und abzuliefern[556] Abbildung 124 zeigt einen Muster-Bezugschein vom 22. September 1944. Der Bezugschein wurde auf die Rechnung aufgeklebt. Der Lieferschein von Abbildung 125 bestätigt die Lieferung von 6 Sack Weizenmehl, die an eine Empfängerin durch die Firma Josef Neumann Stadtmühle in Zwickau im Sudetenland (Böhmen) geliefert wurde.

    Nach dem Krieg berichtete Fritz Hartnagel, der Lebensgefährte von Sophie Scholl, sie habe ihn zur Beschaffung eines Vervielfältigungsapparates um einen Bezugschein gebeten.[557] Wie im Beispiel der Bestellung von Weizenmehl, brauchte Sophie Scholl durch Abstempeln mittels Wehrmachtstempel einen Bezugschein und soll bereits im Mai 1942 ihrem Geliebten von einer beabsichtigten Flugblatt-Herstellung in München berichtet haben.[558] Fritz Hartnagel konnte sicherlich einen abgestempelten Bezugschein nicht gefahrlos liefern, dafür war seine Unterschrift als Offizier notwendig, vorausgesetzt er besass dafür eine Berechtigung. Zusätzlich dürfte eine Akteneintragung zum Anlass zur Beschaffung fällig gewesen sein. Die offizielle Vorgehensweise wäre gewesen, sich an eine amtliche Bezirksstelle in München zu wenden. Davon abgesehen, dass der Widerstandskreis für private Gründe vermutlich keinen Bezugschein für den Kauf eines Vervielfältigungsapparates erhalten hätte. Hinzukommt, dass bei einem Bezugschein zum Erwerb eines Vervielfältigungsapparates die zuständige Behörde auf das Vorzeigen eines gültigen Personalausweises bestanden haben dürfte.

Beispiel eines Bezugscheins, 22.9.1944, Privatbesitz

Abbildung 124: Beispiel eines Bezugscheins, 22.9.1944, Privatbesitz

Lieferschein für Bezugschein vom 22.9.1944, Privatbesitz

Abbildung 125: Lieferschein für Bezugschein vom 22.9.1944, Privatbesitz

In jedem Fall wäre ein Bezug über Fritz Hartnagel sehr gefährlich gewesen. Fritz Hartnagel wird bei der Offiziersausbildung die Reichsgesetzblätter, die seine Ausbildung betreffen, kennengelernt haben. Zunächst einen Eindruck über die Verfahrensweise des Volksgerichtshofes unter dem Vorsitz von Roland Freisler. «Nicht mehr der Unrechtsgehalt der Tat und die Schuld des Angeklagten waren ausschlaggebend, sondern vielmehr dessen Einstellung zur nationalsozialistischen Weltanschauung. Eine staatsbejahende Lebenseinstellung und Verdienste in der nationalsozialistischen „Bewegung“ bewahrten vor dem Tod, während politische Unzuverlässigkeit keine Nachsicht verdienen durfte. Schuldminderungsgründe waren daher prinzipiell ausgeschlossen.»[559]]Durch diese Einschätzung wird unmissverständlich, wer sich vor dem Volksgerichtshof gegenüber Roland Freisler für eine aufrichtige Verteidigungsstrategie entschied wie beispielsweise Hans Scholl, Sophie Scholl mit Inschutznahme von Christoph Probst und Professor Kurt Huber mit seiner 10 bis 15-minütigen Verteidigungsrede unter Einbeziehung der Mitangeklagten, konnte kaum ein Todesurteil und die anschliessende Ablehnung des Gnadengesuchs abwenden. In beiden Prozessen dürfte im Vorfeld aufgrund der genannten Gründe festgestanden haben, wer zum Tode verurteilt wird..[560]]Eine andere Stra­tegie hätte vermutlich keinem geholfen. So konnten die zum Tode Verurteilten, sich ihre Würde selbst bewahren. Ähnlich soll das Professor Kurt Huber gegenüber Roland Freisler geäussert haben: «……meine Würde können sie mir nicht nehmen……»[561]]

   Im Reichsgesetzblatt Teil I von 1938 lautet Artikel 424: «Kundmachung des Reichs­statthalters in Österreich, wodurch die Verordnung über die Aufhebung österreichischer Bundes­gesetze zur Ahndung von Sprengstoffverbrechen und zur Bekämpfung staatsfeindlicher Druckwerke vom 27. August 1938 bekannt gemacht wird.»[562] Dazu Artikel 38, §1 vom Februar 1938: «Wer eines der in den §§ 300, 305 und 308 des Strafgesetzes bezeichneten Vergehen durch ein Druckwerk begeht, wird mit strengem Urteil von einem bis zu zwei Jahren bestraft, wenn die Herstellung oder Verbreitung des Druckwerkes der Behörde verborgen gehalten wird oder werden soll[563] Sobald ein Vergehen von einem Sondergericht aufgegriffen wurde, galt diese Rechtsprechung nicht mehr.[564] Aus dem ersten Teil des Reichsgesetzblattes wird erkenntlich, das für Österreich und Deutschland die Reichsgesetze rechtsverbindlich waren. Aus Artikel 38, §1 geht hervor, dass der nationalsozialistische Staat sich eine vollumfängliche Einsicht in sämtliche Druckwerke wie beispielsweise Zeitungsartikel, Bücher und zu Massen­schriften jeder Art vorbehielt. Diesbezüglich existieren viele Berichte über kirchliche Einrichtungen, die von der regionalen Geheimen Staatspolizei häufig ihre Schreibmaschinen und Vervielfäl­tigungsapparate ersatzlos und ohne ersichtlichen Grund beschlagnahmt bekamen. Geringste Mutmassungen reichten für eine grundlose Beschlagnahmung und weiteren Repressalien an Unschuldigen aus. Mit Kriegsbeginn verfügte die Reichsführung durch die Einführung einer Planwirtschaft, wer Waren, zu welchem Zweck und in welcher Grössenordnung erhält. Der Student Christian Hess schreibt dazu in seiner Ausarbeitung: «Die Preisüberwachung wurde von den örtlichen Polizeibehörden durchgeführt, die den Einzelhandel, das Handwerk und - sofern noch gestattet - den Direktverkauf der Landwirte an die Verbraucher kontrollierten. Daneben verfügten die Preisüberwachungsstellen über besonders geschulte polizeiliche Spezialtrupps sowie Wirtschaftssachverständige insbesondere zur Prüfung des Großhandels, der gewerblichen und industriellen Erzeugung.» Mit Einführung der Planwirtschaft wurde gleichgültig, wie hoch das persönliche Einkommen war.[565] Entweder wurden zu bestimmten Gütern keine Bezugscheine ausgestellt, der gewünschte Artikel war vergriffen oder das Datum für den Bezug verstrichen. Aus diesem Grund bildeten sich bei raren Waren nicht selten lange Schlangen vor den Geschäften. Tauschen von Bezugscheinen war verboten. Auch sogenannte Schwarzschlachtungen standen unter Strafe.[565] Gänzlich dürften Vervielfältigungsapparate nicht grundsätzlich verboten gewesen sein, doch konnte mit der Aushändigung eines Bezugscheines bestimmt werden, wer einen solchen, zu welchem Zweck erhielt. Jürgen Wittenstein zum Erwerb von Vervielfältigungsapparaten: «Vervielfältigungsapparate zu bekommen war praktisch unmöglich, wenn man nicht irgendeine offizielle Funktion hatte, deswegen wurden die ersten Flugblätter auf der Schreibmaschine getippt.»[566] Hätte ein grundsätzliches Verbot bestanden, hätte kein explizites Verbot gegenüber Juden gesetzlich geregelt werden müssen.[567] Als Sophie Scholl 1942 ihren Lebensgefährten um die Legitimation eines solchen Bezugscheins bat, waren Apparate zur Herstellung von Schriften bereits nicht mehr frei zugänglich. Wenn Hans Scholl und Alexander Schmorell und später auch Hans Hirzel Vervielfältigungsapparate dennoch käuflich erwerben konnten, dann nicht auf legalem Weg. Von Hans Hirzel ist bekannt, dass er für den Erhalt eines Vervielfältigungsapparates seinen Namen nennen musste.

München Stadtkarte von 1894, Wohnorte, Einkaufsquellen und historische Gebäude, Privatbesitz

Abbildung 126: München Stadtkarte von 1894, Wohnorte, Einkaufsquellen und historische Gebäude, Privatbesitz

Ohne Bezugschein, Postkarte gelaufen 15.7.1917, Privatbesitz

Abbildung 127: Ohne Bezugschein, Postkarte gelaufen 15.7.1917, Privatbesitz

Er gab sich laut eigener Aussage als Georg Friedrich aus.[568] Herr "Friedrich" musste sich nicht einmal ausweisen. Hans Hirzel ging davon aus, dass er ohne weiteres einen Vervielfältigungsapparat käuflich erwerben könne. Dafür war allerdings üblicherweise ein Bezugschein notwendig. Völlig unklar bleibt, warum zu damaliger Zeit ein junger Schüler der kurz vor dem Abitur stand so unbedarft, unbekümmert und unbefangen einen Vervielfältiger erwerben konnte, als ob sich jemand eine Butterbemme kaufen wolle. Auch die Geheime Staatspolizei muss verwundert gewesen sein. Dies geht aus der Antwort von Hans Scholl hervor: «Das Saugpapier hatte ich in verschiedenen Geschäften eingekauft, und zwar in kleineren Mengen. Ich bekam sie ohne weiteres, vielleicht weil ich meist in Uniform gegangen bin[569] Die erwähnten "Kleinmengen" an Saugpostpapieren bestanden aus Paketen von Kaut-Bullinger mit 2000 und bei Franz Beierl mit 3000 Blatt und machten das Vorhaben alles andere als unverdächtig.569 Bürgerinnen und Bürger mussten bei örtlichen Behörden für einen Bezugschein entsprechende Anträge stellen. Die Planwirtschaft regelte nicht alles, überwiegend alltägliche Sachgüter zum Teil einfachster Art, vor allem auch Grundnahrungsmittel. Während des II. Weltkrieges soll im Grossen und Ganzen die Bevölkerung soweit "gut" versorgt gewesen sein. Nach Kriegsende war das natürlich vollkommen anders. Wer dennoch unter der Hand Vervielfältigungsapparate schwarz verkaufte, musste mit schweren Strafen rechnen. Trotz zum Teil drakonischer Strafen wurde so manches getauscht und schwarz verhökert, sicher manches auch zu utopischen Preisen. Umso schlimmer durften die Folgen sein, wenn Betroffene aufflogen, wenn Flugblätter massenhaft verbreitet wurden, wie im Fall Weisse Rose München. Postkarte der Abbildung 127 spiegelt die damalige Zeit mit dem Umgang von Rationierungsmassnahmen und Bezugscheinen. Die gezeigte Postkarte wurde zwar schon 1917 versendet, doch waren die Motive der Postkarten zum Thema Bezugscheine während des II. Weltkrieg nicht anders. Nicht jeder Wunsch erfüllte sich, mancher innigste dann doch.

    Laut Vernehmungsniederschrift[570], [571], [572] wurden die ersten vier Flugblätter mit einem Greif-Vervielfältiger hergestellt und die letzten zwei Flugblätter mit einem ROTO-PREZIOSA. Gemäss der Vernehmungsniederschrift[573] wurde der Greif-Vervielfältiger vor dem 26. Juni 1942[574] für 36 RM gekauft und für den ROTO-PREZIOSA zwischen 230 und 240 RM bezahlt.[575] Die Vorbereitungen zur Vervielfältigung des ersten Flugblattes müssen vor dem 26. Juni 1942, also vor der eigentlichen Bezahlung des Greif-Vervielfältigers, stattgefunden haben.[576], [577] Der Vervielfältiger war vor der Bezahlung bereits im Besitz von Hans Scholl und Alexander Schmorell. Möglicherweise bestand ein Vertrauensverhältnis zwischen den Studenten bzw. Soldaten und der Verkäuferin bzw. dem Verkäufer der Firma Franz Beierl. So klein kann manchmal die Welt sein. Bei der 25 jährigen Jubiläumsfeier der Marke ROTO feiern die ROTO-Werke Königslutter diese im Jahre 1938. Zum Anlass werden alle Geschäftsfreunde, sprich Handelspartnerinnen und Handelspartner mit Portrait gezeigt. Darunter ein fescher junger Mann aus München, um die 38 Jahre alt, Franz Beierl. In den Unterlagen der Geheimen Staatspolizei München wird der Nachname unterschiedlich geschrieben. Die ROTO-Werke dürften die korrekte Schreibweise verwendet haben, denn sehr gut erhaltene Briefumschläge aus den Kriegsjahren weisen die Anschrift auf, "FRANZ BEIERL Fachgeschäft für moderne Büromittel München 2, Sendlingerstraße 49".[578] Bei der Sichtung von Posteinlieferungsscheinen, die vom Beginn des 20. Jahrhunderts stammen, fällt auf, dass bei Geldtransfers üblicherweise kein Grund für die Geldleistung auf dem Schein angegeben wurde. Demnach wären die Erfolgsaussichten der Geheimen Staatspolizei in München nicht sehr gross gewesen, wenn sie die Buchhaltung aller Bürohandelsunternehmen in München und Umland kontrolliert hätten, wenn die Ware inoffiziell verkauft wurde.

    Hans Scholl gab bei seiner Vernehmung an, wie hoch seine studentischen Ein- und Ausgaben monatlich waren. Im Reichsgesetzblatt ist die Besoldung von Wehrmachtsangehörigen geregelt. Die sogenannten Gebührnisse wurden von Zeit zu Zeit durch Reichsgesetze modifiziert, vor allem gegen Kriegsende ab 1944. Die Gebührnisse sind dem Reichsgesetzblatt Teil 1, Nr. 157, Gesetzestext 1557, Seite 395, vom 1. September 1939 entnommen. §2 Wehrsold: Anspruch auf Wehrsold beginnt mit der Angehörigkeit bei der Wehrmacht. Ab §20 folgen die Ausführungen zur Frontzulage. Kriegsgeld wurde täglich während eines Einsatzes berechnet und an vorgesehenen Tagen ausbezahlt.[579] Reichsgesetzblatt 1940 Teil 1, Gesetzestext 1234 §1 Absatz 1: «Als Ausgleich für die verschlechterten Lebensbedingungen, denen die Angehörigen der Wehrmacht bei besonderem Einsatz durch Kampfhandlungen oder Feindnähe ausgesetzt sind, wird eine Frontzulage gewährt. Die ist keine Kampf- oder Gefahrenzulage[579]

    Die Studenten waren während ihres Studiums in der Bergmann-Schule in München kaserniert und dürften deshalb weitere Gebührnisse als Wehrsold gehabt haben, Verpflegung und Unterkunft inbegriffen. Die Kosten für private Anmietungen dürften nicht übernommen worden sein, wenn eine gestellte Unterkunft durch die Wehrmacht vorlag. Hans Scholl erhielt täglich laut eigenen Angaben 1,80 RM Wehrsold, täglich 2,10 RM Verpflegungsgeld, die Auslagen für Studienkosten übernahm der Vater Robert Scholl. Alexander Schmorell bekam noch im März 1943 einen Kriegssold von 133,1 RM vergütet, durfte aber als Häftling darüber nicht verfügen.[580] Hans Scholl dürfte wie Alexander Schmorell monatlich einen Kriegssold von ungefähr 135 RM erhalten haben. Der täglich berechnete Kriegssold wurde laut Reichsgesetz nur für Fronteinsätze ausbezahlt. Dennoch erhielten sie laut Aussage von Alexander Schmorell insgesamt 253 RM monatlich.[581] In der Franz-Joseph-Strasse wurden zwei Zimmer für 120 RM angemietet, für das Benutzen des Bades (einmal die Woche ausgiebig baden oder duschen) kam 1 RM hinzu und anfallende Telefonkosten. Für ein Essen in einem Lokal fielen 1,50 RM an. Die Gesamtausgaben für Essen lagen am Tag bei 2,50 RM.[582] Mit durchschnittlich 30 Tage pro Monat gerechnet und fünfmaliger Badbenutzung innerhalb eines Monats, hatte Hans Scholl etwaige Unkosten im Monat von 200 RM zu bewältigen und weitere Kosten für Persönliches wie den Kauf von Büchern und Konzertbesuchen usw. Hinzu kämen noch semesterweise die Studiengebühren und etwaige Nebenkosten fürs Studium. Für Hans Scholl entstanden zusätzliche Kosten, weil er eine eigene Wohnung unterhielt und oft auswärts seine Mahlzeiten einnahm. Sophie Scholl gab bei ihrer Vernehmung an, sie erhalte monatlich für ihren Lebensunterhalt und fürs Studium von ihrem Vater 130 RM.[583] Zum Vergleich, ihr Lebensgefährte Fritz Hartnagel bekam als Offizier eine Vergütung von 300 RM.[584] Für die letzten Wochen teilt sie ferner mit: «Mein Bruder, der in München nun im 9. Semester Medizin studiert, bedarf keiner weiteren Unterstützung seitens der Eltern, da er seine Löhnung als Sanitätsfeldwebel bezieht, womit er sowohl seinen Lebensunterhalt als auch sein Hörgeld bezahlen kann.»[585]


Zweck

Einzelbetrag

[RM]


Zeit

Einnahmen

[RM]

Ausgaben

[RM]

Wehrsold

1,80

30 Tage

54

Kriegssold

135

 

135

 

Verpflegungsgeld

2,10

1 Monat

64

Miete 2 Personen

-120

1 Monat

-120

Badbenutzung

-1

1 Monat

-5

Essenskosten

-2,5

30 Tage

-75

Hörgeld

?

 

 

?

Private Ausgaben

?

 

 

?

 

253 RM

-200 RM

 

53 RM

Tabelle 8: Monatliche finanzielle Situation von Hans Scholl

 

    Ungeklärt bleibt, warum Hans Scholl zur Finanzierung des Greif-Vervielfältigers von 36 RM die Zahlungsmodalität Postgeldsendung verwendete und keine Barzahlung vornahm. Bei Postgeldsendung kann ein Geldbetrag versichert bis 40 RM an einen Empfänger ausbezahlt werden. Die Reichspost erteilte bei Postgeldsendungen einen Posteinlieferungsschein. Bei Verlust der Geldsendung bis 40 RM, leistete die Reichspost durch Vorlegen des Posteinlieferungsscheins Ersatz. Zuvor wurde bei der örtlichen Reichspoststelle ein Geldbetrag einbezahlt und von der Reichspoststelle am Wohnort des Empfängers ausbezahlt.[586] In diesem Fall war der Empfänger Firma Franz Beierl. Auf welchem Weg Hans Scholl und Alexander Schmorell den Greif-Vervielfältiger erhalten haben, bleibt ebenfalls offen. Hingegen ist geklärt, dass der Greif-Vervielfältiger erst zum 30. Juni 1942 bezahlt wurde.[587] Die Entfernung zwischen Firma Franz Beierl und dem Wohnort von Hans Scholl betrug 3,6 km und entspricht einem Fussweg von etwa 3600 * 0,9 s 60 = 54  Minuten, mit Rückweg etwa 2 Stunden. Letztendlich konnte Hans Scholl als Medizinstudent ohne regelmässiges studentisches Einkommen den Vervielfältigungsapparat nicht so ohne weiteres bezahlen. Der Kauf war sicherlich an Sparmassnahmen bzw. gesonderte Einnahmen gekoppelt.

Posteinlieferungsschein, doppelseitig, blanko, Privatbesitz

 

Posteinlieferungsschein, doppelseitig, blanko, Privatbesitz

Abbildung 128: Posteinlieferungsschein, doppelseitig, blanko, Privatbesitz

    Aus der Gerichtsakte von Hans Scholl ist ersichtlich, dass er 300 RM bis Juni 1942 von Professor Carl Muth[588] zugewandt bekam. In den Semesterferien arbeitete Hans Scholl 1939/1940 für einige Wochen bei der Münchner Strassenbahn als Werkstudent. Der Lohn betrug 70 Pfennige die Stunde.[589] Hans Scholl hätte 52 Arbeitsstunden für die Finanzierung des Vervielfältigers arbeiten müssen. Bei einem 10-Stunden-Tag etwa eine Woche. Warum der Verkäufer den Apparat ohne Bezugschein unzulässigerweise verkaufte, könnte plausibel verstanden werden, der Apparat wurde an der Buchhaltung "vorbei" verkauft. Das Geld sass bei den Bürgerinnen und Bürgern 1942 nicht mehr so locker. Durch die Planwirtschaft diktierte der nationalsozialistische Staat, wer was und wie viel zu bekommen hatte. Erschwerend zeigte sich, viele Güter waren rationiert, vergriffen oder nur durch die Vorlage eines Bezugscheins erhältlich. Also dürfte der Verkäufer die Stunde der Gelegenheit genutzt haben. Vermutlich hat auch das Auftreten von Hans Scholl keine unbedeutende Rolle gespielt. Jürgen Wittenstein, der Hans Scholl gut kannte, beschrieb ihn einmal in einem Interview. Sinngemäss zitiert: Hans Scholl hatte auf seine Mitmenschen eine gewisse Ausstrahlung, von der er auch gewusst habe.[590] Womöglich hat er dann in Uniform beim Kauf diese zugeschriebene Eigenschaft mit einfliessen lassen.

Professor Carl Muth, Herausgeber und Publizist der Monatsschrift Hochland. Erstausgabe stammte von 1904. Gezeigt wird hier eine Monatsschrift vom August 1935, Privatbesitz

Abbildung 129: Professor Carl Muth, Herausgeber und Publizist der Monatsschrift Hochland. Erstausgabe stammte von 1904. Gezeigt wird hier eine Monatsschrift vom August 1935, Privatbesitz

    Auch Alexander Schmorell wurde bei seiner Vernehmung über seine Einkünfte befragt: «[H]abe bis jetzt einen monatlichen Kriegssold von RM 135.-, einen Wehrsold von monatlich RM 54.- und ein monatliches Verpflegungsgeld von RM 64.-, = 253.- RM, erhalten.» Wie bei den Geschwistern Scholl wurde Alexander Schmorell für sein Studium vom Vater unterstützt und wohnte auch dort.[591] Insgesamt hatte Alexander Schmorell wie sein Freund Hans Scholl monatliche Einnahmen von 253 RM. Mit den Einnahmen konnte Alexander Schmorell den Widerstandskreis mitfinanzieren. Alexander Schmorell bezahlte grösstenteils die Fahrtkosten mit dem Zug für seine Kurierfahrten selbst.[592] Zu den finanziellen Verhältnissen des Widerstandskreises gab Professor Kurt Huber am 1. März 1943 in seiner Vernehmung zwei Anmerkungen zu Protokoll: «Ich versichere, dass ich über die Finanzierung als solche keinerlei Kenntnisse habe. Ich sehe ein, dass sie unbedingt einen Finanzmann haben mussten, kann aber bei besten Willen und nach besten Wissen und Gewissen hierüber keine Aussagen machen.»[593] Der Vernehmer bedrängt Professor Kurt Huber, der daraufhin antwortet: «Auf die ausdrückliche und eingehende Frage über mein Wissen hinsichtlich der Finanzierung des illegalen Unternehmens kann ich nur nochmals die Versicherung abgeben, dass ich in diesem Punkte keine weiteren Angaben machen kann. Über die Finanzierung ist zwischen Scholl oder anderen Beteiligten und mir nie gesprochen worden. Im Übrigen hielt ich Scholl und Schmorell finanziert so gut situiert, dass sie eine finanzielle Hilfe nicht nötig hatten.»[594] Am 4. März 1943 wird die Finanzierung abermals zum Thema: «Auf entsprechende eindrückliche Frage hinsichtlich meines Wissens über die Finanzierung der ganzen Aktion wiederhole ich nochmals, dass ich in diesem Punkte nichts auszusagen in der Lage bin. Wenn mir in diesem Zusammenhang der Name Grimminger genannt wird, so muss ich erklären, dass mir der Name völlig fremd ist.»[595] Ergänzend sei an dieser Stelle noch erwähnt, der Familienvater Christoph Probst hatte monatlich netto 255 RM, 54 RM Wehrsold und 90 RM Verpflegungsgeld.[596]

    Hans Scholl und Alexander Schmorell, so stellt sich ihre Situation dar, dürften beide an der Organisierung des Rotationsvervielfältigers beteiligt gewesen sein.[597] Dies wird an anderer Stelle untersucht.[598] Laut Vernehmungsniederschrift hat Hans Scholl beim Einkauf Feldwebeluniform getragen und auf die Frage des Geschäftsinhabers, da der grundlose Besitz eines Vervielfältigungsapparates und deshalb ohne Zuweisung eines Bezugscheines unzulässig und deshalb strafbar werden konnte, zu welchem Zweck der Apparat benötigt werde, soll Hans Scholl zur Antwort gegeben haben «für studentische Zwecke».[599] Die Maschine wurde über den Tisch "gewunken" und wechselte unerlaubt seinen Besitzer. Beide Apparate wurden in der Sendlingerstrasse 49 bei Firma Franz Beierl gekauft.[600] Ein Vervielfältigungsapparat sei wiederverkauft worden. Angesichts des Preises, könnte der Greif- Vervielfältiger gemeint sein, weil Hans Scholl 15 oder 20 RM durch die Firma Franz Beierl zurückerhalten haben soll.[601] Vielleicht versuchte Hans Scholl eine andere Person zu schützen, weil der Greif-Vervielfältiger möglicherweise anderweitig im Einsatz oder für einen solchen eingeplant war. Hans Scholl musste davon ausgehen, dass die Geheime Staatspolizei seine Angaben überprüfen würde. Der ROTO-PREZIOSA wurde später von der Geheimen Staatspolizei München beschlagnahmt. Für den Begriff PREZIOSA liegen in den Gerichtsunterlagen unterschiedliche Schreibweisen vor.[602], [603] Die Angaben erweisen sich heute als Quellennachweis von hoher Wichtigkeit.[604]