2.1 Greif-Vervielfältiger
Aus der Vernehmungsniederschrift, die von Beamten der Geheimen
Staatspolizei München inhaltlich aus den Mitteilungen und eigener
Wortwahl festgehalten wird, ist vom 20. Februar 1943 über
Hans Scholl bekannt:
«Den Vervielfältigungsapparat
besorgte ich mir kurz vor der Herausgabe des ersten Blattes und zwar
bei der Firma Beierle. Es war ein Greif-Vervielfältiger mit
Handabzug für 32 RM.»[474]
Am 21. Februar 1943 berichtigt Hans Scholl seine
Aussage: «Den Abziehapparat Marke Greif habe ich bei der Fa. Baierle gekauft.
Er kostete nicht RM 32.- sondern 36.- RM. Dieser Apparat wurde in
die Wohnung von Schmorell verbracht; ob wir beide ihn
dorthin beförderten weiss ich heute nicht mehr. Auch kann ich nicht
sagen, ob wir oder ich alleine diesen zunächst in mein Zimmer
verbrachten.»[475] Alexander Schmorell teilte
inhaltlich bei seiner Vernehmung am 25. Februar 1943 mit: «Um
das Flugblatt "Weisse Rose" massenhaft herstellen zu können, habe ich im Sommer 1942 in der
Sendlingerstr. (glaublich Fa. Baierl)
einen Vervielfältigungsapparat gekauft. Diesen verbrachte ich in
meine Wohnung, wo wir - also Scholl und
ich - gemeinschaftlich etwa
100 Abzüge hergestellt haben.»[476]
Eine Einordung der beiden Aussagen gestaltet sich schwierig. Beide
versuchen offensichtlich den anderen zu entlasten. So handeln echte
Freunde. Offen, ehrlich, verlässlich. Am Ende waren Hans
Scholl und
Alexander Schmorell gemeinsam
im Fachgeschäft, um den Greif-Vervielfältiger zu
kaufen.
Greif-Vervielfältiger, Hersteller waren die Greif-Werke in Goslar am Harz. Welcher Schelm jetzt an etwas ganz anderes denkt, liegt mit dem bekannten Harzer Roller ganz richtig. Der damalige Greif-Vervielfältiger wurde mit dem Werbeslogan angepriesen: «Der Vervielfältiger für Jedermann». Ein manuelles Handabzugsgerät ohne mechanisches Kurbelgetriebe und kann infolgedessen nicht als Handkurbelgerät bezeichnet werden. Der Greif-Vervielfältiger hat die Masse 37 x 48,5 x 17 cm (B x T x H) und wiegt ca. 6 kg ohne Farbtube. Der Deckel eines baugleichen original Greif-Vervielfältigers enthält die Aufschrift "Deutsches Reichs-Patent". Weil die Greif-Vervielfältiger keine Seriennummern haben, muss zur Altersbestimmung ein Umweg genommen werden. Das Deutsche Patentamt wurde 1919 zum Deutschen Reichs Patentamt umbenannt.
Aus der
Firmengeschichte[477],
[478]
der Greif-Werke geht hervor, dass die Produktion von
Vervielfältigungsapparaten in Goslar am Harz ab 1912 begann.[479] Nach 1921 wurde der Vervielfältigungsbereich nach
Königslutter am Elm ausgegliedert. Die gebauten
Greif-Vervielfältiger wurden
mehrfach modifiziert. Das zeigt sich insbesondere bei den
Restaurationen. Das betrifft auch den Firmenschriftzug am
Vervielfältiger selbst. Der Schriftzug Greif war anfänglich
goldfarben verziert, mit Schwarzanteilen unterlegt und später
goldfarben mit roter Umrahmung versehen. Modelle ohne Aufschrift
"Deutsches Reichpatent" wurden zwischen 1912 und 1919
produziert. Eine andere Version hatte auf dem Holzdeckel des
Vervielfältigers die Aufschrift "Deutsches Reichspatent" stehen.
Diese Modelle wurden ab 1919 bis 1921 in Goslar hergestellt,
möglicherweise modifiziert auch noch eine gewisse Zeit nach dem
II. Weltkrieg. Eine Greif-Version hatte auf ihrem Holzdeckel in
schwarzer Farbe mit goldener Verzierungen nur die Aufschrift
"Greif". Denkbar wäre, dass dieser Apparat zu den erstgebauten
Greif-Vervielfältigern gezählt
werden kann, auch wegen auffallend schlichter Bedienelemente.
Eine spätere Patentschrift[480]
beschreibt die mechanische Positionierung von
Vervielfältigungspapier mittels mechanischer Führungen. Durch
diese Massnahme kann das Vervielfältigungspapier exakt für eine
Vervielfältigung ausgerichtet werden. Frühe Modelle zeigten bei
der Restauration diese Option nicht. Diese Modelle hatten noch
keine herausgeführten Steuerelemente, wie sie Abbildung
65 rechtsseitig (y, r, r)
zeigt. Für die Papierpositionierung musste vorher direkt an der
Mechanik, wo sie aus dem schwarzen Holzgehäuse ein wenig
herausragte, angesetzt werden, um diese mit der Hand zu
verschieben. Die ersten Weisse Rose Flugblätter Münchens, wurden
ab Juni 1942 mit dem Greif-Vervielfältiger iin
Umlauf gebracht.[481]
Laut der Vernehmungsniederschrift von Hans Scholl hatte
sich der Widerstandskreis einen solchen
Handvervielfältiger einfacher Art gekauft.[482]
Vervielfältiger, Abzugsapparat und Schablonenvervielfältiger sind
als Begriffe für diesen Vervielfältigungsapparat vorzufinden. Auch
kleine Greif-Vervielfältigungsapparate für Postkartengrösse und auch
Modelle bis Übergrössen von A4 Papierformat waren erhältlich. Laut
Vernehmungsakte von Hans Scholl «Es
war ein Greif-Vervielfältiger mit
Handabzug.»
Und: «Jedenfalls
wurden die Flugblätter "Die Weisse Rose", und zwar
Teil I bis IV jeweils im Zimmer des Schmorell von
beiden gemeinschaftlich angefertigt.»[483]
Alte
Farbverteilungswalzen der Greif-Vervielfältiger lösen
sich nach Jahrzehnten allmählich auf. Bei der Restauration
erweisen sich die meisten als unbrauchbar und müssen ersetzt
werden. Das Material der elastischen Walzenfläche bestand bei
den ersten Greif-Vervielfältigern nicht
aus Kautschuk oder gar Gummi. Die Herstellung einer solchen
Farbverteilungswalze kann mit einfachen Hausmitteln hergestellt
werden und entspricht ungefähr auch der Vorgehensweise durch die
damaligen Greif-Werke in Goslar, nur mit moderneren
Produktionstechniken. Die ersten Farbverteilungswalzen bestanden
aus einer gedrechselten Holzwelle an dessen Enden, während des
Herstellungsprozesses, eine Holzscheibe mit zentrischer Bohrung
aufgeschoben wird.
Eine der Scheiben hat zwei runde Öffnungen. Eine dient als Flüssigkeitseinlass, die andere als Entlüftung für entweichende Luft. Auf der Holzwelle wird eine dicke Kordel wendelförmig aufgebracht, die beiden Enden der Kordel mit Schrauben auf der Achse fixiert. Auf einem separaten Rundholz, das dem Durchmesser der beiden Holzscheiben entspricht, werden mehrere Windungen Pergamentpapier zu einer Papierrolle aufgewickelt und das Seitenende des Pergamentpapiers mittig mit Klebestreifen fixiert, sodass die Papierrolle sich nicht selbständig abwickeln kann. Nach dem Abziehen der Pergamentrolle vom Rundholz, wird die Holzkonstruktion mit den beiden Holzscheiben in die Pergamentröhre hineingeschoben. Die Holzscheiben schliessen bündig mit der Pergamentröhre. Weil die Pergamentröhre etwas kürzer ist als die Holzkonstruktion, kann die Pergamentröhre durch Klebeband rundum an den Scheiben fixiert werden.[489] Nun folgt die Herstellung einer Masse. Dazu wird in einem Tuch 400 g Kölnerleim mit einem Hammer zerkleinert und in einen Topf mit ½ l Wasser gegeben. Innerhalb von 12 Stunden quirlt die Masse auf und saugt das Wasser in sich auf. Hinzu kommen 200 g Glyzerin und 120 g Sirup, auch Melasse genannt. Unter Erhitzen wird solange die Masse umgerührt, bis die Flüssigkeit im Topf klar und braun erscheint. Anschliessend wird die Masse durch eine der beiden Öffnungen der Holzscheibe hindurchgeträufelt. An der anderen kann während des Einfüllens der Masse die Luft entweichen. Die Pergamentröhre wird vollständig gefüllt. Nach etwa 12 Stunden werden Pergamentrolle und Holzscheiben rechts und links abgenommen. Die beiden Achsenden der Walze werden an einem u-förmigen Bügel, der mit einfachen Gleitlagern und einem Handgriff ausgestattet ist, montiert. Mit den Jahrzehnten zersetzen sich die gegossenen Walzen, das Oberflächenmaterial wird weich bis schmierig und löst sich auf.[490] Die Masse, wie auch die mit dicker Kordel umwickelte Holzkonstruktion, sind bei alten Greif-Farbverteilungswalzen identisch. Die Verwendung einer Kordel dient lediglich zur besseren Fixierung der Masse auf der Holzachse. Mit einer solchen Farbverteilungswalze arbeiteten zur Flugblatt-Herstellung die miteinander befreundeten Studenten Hans Scholl und Alexander Schmorell.