1.2           Erika 6

Für die Adressierung der Briefumschläge wurde zur Versendung der Flugblätter eine Erika 6 Kleinschreibmaschine des Herstellers Fahrräder- und Nähmaschinenfabrik Seidel & Naumann AG Dresden, laut der Münchner Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle mit der Seriennummer 50‌‌540/6 eingesetzt. Aus dem Untersuchungsbericht geht hervor, dass mit der Erika 6 ein grosser Teil von insgesamt 3000 bis 4000[438] Briefumschläge beim V. und VI. Flugblatt adressiert wurden. Meine rechnerische Untersuchung ergab 4310 Wurfsendungen für die letzten beiden Flugblätter V und VI.[439] Weil die bis zu 4310 Umschläge bzw. zum Teil zum Umschlag gefalzten Flugblätter (nur Flugblatt VI) kaum einer alleine adressieren konnte, wenn auch auf mehrere Arbeitstage verteilt, musste der Widerstandskreis das Arbeitsaufkommen nach praktischen Überlegungen aufteilen. In der Niederschrift von Sophie Scholl findet sich folgende Festhaltung: «Ich benützte meistens die Schreibmaschine der Frau Schmidt und schrieb jene Adressen, bei denen Anrede, Name und Wohnort nicht untereinander, sondern auf dem Briefumschlag nach rechts abgestuft, niedergeschrieben sind. Mein Bruder dagegen benützte die Schreibmaschine des "Alex" und schrieb auf den Umschlägen Anrede, Name und Ort genau untereinander.»[440] Weiter aus der Akte von Sophie Scholl: «Lediglich beim Zukleben der Wurfsendungen war uns Schmorell am letzten Sonntag (14.2.43) insoweit behilflich, als er die zusammengefalzten und mit einer Adresse versehenen Flugblätter auf der Rückseite mit braunem Klebestreifen verschloss[441] Sophie Scholl versucht ihren Kommilitonen und Freund Alexander Schmorell vor der nationalsozialistischen Herrschaftsmacht zu schützen.

Umschlag vom 25.1.1943, sehr wahrscheinlich wegen der Einrückung geschrieben von Sophie Scholl für Augsburg auf Erika 6, © Katrin Seybold, Dokumentations-DVD

Abbildung 58: Umschlag vom 25.1.1943, sehr wahrscheinlich wegen der Einrückung geschrieben von Sophie Scholl für Augsburg auf Erika 6, © Katrin Seybold, Dokumentations-DVD

Dies geschieht auch umgekehrt, denn aus der Vernehmungsniederschrift des Kavaliers Alexander Schmorell geht hervor, er bezog sich hierbei auf das V. Flugblatt vom 20. Februar 1943: «Die Adressen auf die Briefumschläge haben Scholl und ich geschrieben. Von dieser Schrift dürften wir einige Tausend (ca. 2-3000) hergestellt haben.»[442] Noch deutlicher zu Beginn seiner Vernehmung redet der gemeinsame Freund Alexander Schmorell seine Kommilitonin ganz klein und unscheinbar, «Was Sophie Scholl anbelangt, kann ich nur angeben, dass sie keinen besonderen Beitrag geleistet haben dürfte.»[443] Solche Freunde sind sehr selten. Tatsächlich waren an der Adressierung der Postsendungen Sophie Scholl, Hans Scholl und Alexander Schmorell beteiligt, zeitweise bestimmt auch Willi Graf. Wegen der hohen Auflage ist das auch nicht anders vorstellbar.

   Die klassische Erika Schreibmaschinenreihe Modell 6 wurde ab 1933 und modifiziert bis 1949 gebaut. Sie hat 44 Tasten und verfügt über Setzkolonnensteller zur Benutzung der Tabulatoren. Die Seriennummer der Originalmaschine Erika 6 ergibt ein Baujahr zwischen 1934 und 1935, in Abhängigkeit der jeweiligen Fabrikationsliste.[444], [445] Hiesiges Vergleichsmodell Erika Serie No 6 mit Seriennummer 5‌/ 4‌1‌9‌4‌4‌/‌66 wurde ebenfalls zwischen 1934 und 1935 hergestellt. Das genaue Herstellungsjahr kann wegen einer Unstetigkeit in den Fabrikationsnachweisen nicht exakter ermittelt werden.

Umschlag vom 27. oder 28.1.1943, wegen der Einrückung sehr wahrscheinlich von Sophie Scholl für Salzburg auf Erika 6 geschrieben, © Katrin Seybold, Dokumentations-DVD

Abbildung 59: Umschlag vom 27. oder 28.1.1943, wegen der Einrückung sehr wahrscheinlich von Sophie Scholl für Salzburg auf Erika 6 geschrieben, © Katrin Seybold, Dokumentations-DVD

Seidel & Naumann liess was die Seriennummern betraf zu wünschen übrig. Bei manchen Modellen verwendete das Unternehmen innerhalb einer Baureihe mehrmals dieselbe Seriennummer. Die betroffenen Schreibmaschinen sind dann unter Umständen nicht mehr so ohne Weiteres vollständig identifizierbar, was im Einzelfall zum Problem führen kann.[446] Mit der Modifikation vvon Schreibmaschinenmodellen wurde teilweise bei der Seriennummernvergabe mit Ziffer 1 von Neuem begonnen. Liegen innerhalb einer Baureihe mehrere Modifikationen vor, überschneiden sich die Seriennummern. Etwa ab 1934 wurden die Seriennummern fortlaufend hochgezählt. So erhält jede Maschine eine eindeutige Identifikationsnummer. Die Nummern dienen zur Bestimmung des Baujahrs und zur Typbezeichnung.

Erika 6

Abbildung 60: Erika 6, Seidel & Naumann AG, Dresden, 541944/6, Privatbesitz

   Die Erika 6 Schreibmaschine wurde in der gemeinsamen Wohnung der Geschwister Scholl iin München in der Franz-Joseph-Strasse 13 beschlagnahmt.[447] Sie gehörte ihrer Ver­mieterin. Sie befand sich häufig nicht in München und wurde mit der Beschlagnahmung ihrer Schreibmaschine, durch die Geheime Staatspolizei München, vor vollendete Tatsachen gestellt. Frau Schmidt erhielt die Schreibmaschine nicht mehr zurück und bekam sie von der Familie Scholl ersetzt.[448]

Umschlag vom 16.2.1943, wegen des Schreibmaschinenanschlags und weil die Adressierung auf der Schreibmaschine Erika 6 stattfand, vermutlich von Alexander Schmorell für München erstellt,© Katrin Seybold, Dokumentations-DVD. Beigefügter Auszug aus einem Studentenverzeichnis von 1942/1943.

Umschlag vom 16.2.1943, wegen des Schreibmaschinenanschlags und weil die Adressierung auf der Schreibmaschine Erika 6 stattfand, vermutlich von Alexander Schmorell für München erstellt,© Katrin Seybold, Dokumentations-DVD. Beigefügter Auszug aus einem Studentenverzeichnis von 1942/1943.

Abbildung 61: Umschlag vom 16.2.1943, wegen des Schreibmaschinenanschlags und weil die Adressierung auf der Schreibmaschine Erika 6 & stattfand, vermutlich von Alexander Schmorell für München erstellt,© Katrin Seybold, Dokumentations-DVD. Beigefügter Auszug aus einem Studentenverzeichnis von 1942/1943.

In einem Brief von Robert Scholl an seine älteste Tochter Inge Scholl, bat ihr Vater, sich mit Frau Schmidt gütig zu einigen.[449] Offensichtlich ergab sich eine gewisse Diskrepanz bei der Einigung.

    Aus der Vernehmungsniederschrift von Sophie Scholl: «Hier kann ich nur wiederholen, dass zum Schreiben der Anschriften bei den zahlreichen Briefen (zwischen drei- und viertausend) nur zwei verschiedene Schreibmaschinen, und zwar jene der Frau Schmitt (kleine Erica) und die Schreibmaschine, die Schmorell besorgt hat, benützt wurden.»[450]

Schriftprobe Erika 6, Privatbesitz

Abbildung 62: Schriftprobe Erika 6, Privatbesitz

   Der Name der Schreibmaschine "Erika" wird in der Literatur mit dem Enkelkind des Firmengründers Bruno Naumann begründet, sie hiess angeblich Erika.[451] Abbildung 61 zeigt einen Briefumschlag für einen Empfänger in München, der ebenfalls mit einer Erika 6 geschrieben wurde. Der Empfänger, Student der Ludwig-Maximilians-Universität Helmut M. Sehrbruch, wohnhaft in der Adalbert­strasse 33/2 L, ist im Studentenverzeichnis von 1942/1943 gelistet. Ihr Kommilitone erhält am 16. Februar 1943 per Post vom Widerstandskreis das VI. Flugblatt. Aufgrund des Schreibmaschinenanschlags, könnte den Brief Alexander Schmorell adressiert haben.[452], [453] Abbildung 63 müsste, wegen der eingerückten Adressierung für einen Adressaten in Frankfurt, durch Sophie Scholl geschrieben worden sein.

Umschlag vom 27.1.1943, wegen der rechtsseitigen Einrückung vermutlich geschrieben von Sophie Scholl für Frankfurt auf Erika 6, © Katrin Seybold, Dokumentations-DVD

Abbildung 63: Umschlag vom 27.1.1943, wegen der rechtsseitigen Einrückung vermutlich geschrieben von Sophie Scholl für Frankfurt auf Erika 6, © Katrin Seybold, Dokumentations-DVD