4.4          Mimeograph – Thomas Alva Edison

Die folgenden Kapitel enthalten Erklärungen und Nachweise, mit welchem Vervielfältigungsverfahren der Widerstandskreis Weisse Rose ihre Flugblätter herstellte.

    In der Literatur als Mimeograph oder Wachsschablonen-Vervielfältiger, Mimeo, Low Cost Druckmaschine, und gelegentlich auch als Schablonendrucker oder Schablonenvervielfältiger und im englischen Stencil Duplicating Machine, stencil duplicator, Mimeograph machine, oder als Memo bezeichnet. Eigentlich waren die vielen Begriffe zur gleichen Sache wenig nützlich und sorgten eher für Verwirrung, insbesondere im Zusammenhang mit anderen Vervielfältigungsapparaten anderer Hersteller. Derartige Liebkosungsworte entstanden in einer Zeit, wo noch niemand an DIN-Normen und eindeutige Fachbegriffe dachte, wo eine "Elle" noch genau genug erschien.

    Thomas Alva Edison entwickelte seinen Mimeographen im Jahre 1876.[228, [229] Seine damalige Erfindung erreichte eine neue Vervielfältigungsqualität mit verhältnismässig geringem Aufwand und hoher Vervielfältigungsauflage. Der Begriff Mimeograph wurde von Albert Blake Dick geprägt.[230], [231] Zwischen beiden bestand eine berufliche Kooperation.[232] "Mimeo"[233] wird gerne als Kosewort in englischsprachigen Regionen verwendet und bezieht sich auf ein unveröffentlichtes oder wissenschaftliches Dokument. Graphie kommt ursprünglich aus dem Griechischen[234] und beschreibt die Druckart von Dokumenten, beispielsweise handschriftlich oder durch ein bestimmtes Vervielfältigungsverfahren. Die Verfahrensweise entspricht der heutigen Siebdrucktechnik.[235] Beim Siebdruck werden zwar keine Wachsschablonen, keine Caseinschablonen oder Schablonenpapiere mit anderen beschichteten Alligationen als Vervielfältigungsvorlage verwendet, doch die Vorgehensweise ist physikalisch betrachtet gleich. Anstatt mit Schreibmaschine eine Schablone zu bearbeiten, geschieht dies heute fototechnisch. Am Ende wird durch eine Siebvorlage bunte Farbe mit einer Rakel, beispielsweise auf ein Textiltuch, oder auf eine Gerätefront zur Beschriftung durchgepresst. Bei einem Mimeographen bzw. Schablonenvervielfältiger wird Farbe durch das Schablonenpapier gepresst.[236], [237] Herstellerübliche Bezeichnung der Vervielfältigungsvorlagen lauten Schablone, Wachsschablone, Dauerschablone und in englischsprachigen Räumen Stencil.[238] Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied im Vergleich mit den Umdruckverfahren Hektograph und Matrizendrucker, die im übertragenen Sinn, wie bei einem Stempel oder Typenvervielfältiger[239] durch Berührung ihre Farbe auf ein unbenutztes Papier übertragen und dies manchmal als Abklatschen bezeichnet wird. Standardschablonen für Mimeographen konnten damals bis zu ± 3000[240] Vervielfältigungen erreichen und bei guter Pflege manchmal auch mehr, bevor sie üblicherweise im oberen Bereich, unterhalb der Aufnahmebefestigung am Seidengaze abrissen. Auch Spezialschablonen waren mit höheren Auflagen erhältlich.240 Mit zunehmendem Vervielfältigungszyklus zeigt sich der Verschleiss des Schablonenpapiers auf jedem vervielfältigten Saugpostpapier. Die Schablone wird mit zunehmendem Vervielfältigungszyklus geringfügig in die Länge gezogen, die Zeilen sacken dadurch leicht ab, insbesondere am Schablonenanfang, wo sie am Seidengaze eingespannt ist, stärker. Das zeigt sich auch auf den Münchner Flugblättern. Durch das Absacken kündigt sich ein Schablonenabriss an. Mehrere Abrisse gehen aus den Vernehmungsniederschriften und aus einem Dokument der Geheimen Staatspolizei Münchens hervor. Die Geheime Staatspolizei fand mehrere abgerissene Schablonen.[241], [242] Bei mit Mimeographen vervielfältigten Flugblättern sind alle mechanischen Veränderungen, die an der Schablone durch Vervielfältigungsrotation entstehen, auch auf den Flugblättern sichtbar. Ein Kartenkino,[243] das aus einer grösseren Flugblatt-Menge besteht, zeigt wie bei einem Zeichentrickfilm die Veränderungen des Schablonenpapiers. Über eine Analyse der vervielfältigten Papiere lässt sich das zugrundeliegende Vervielfältigungsverfahren feststellen. Zum einen welche Papiersorte wurde verwendet, ist Fliesscharakter der Farbe feststellbar und welche Zusammensetzung der Farbe liegt vor. Aus den Merkmalen ergeben sich Rückschlüsse zum Vervielfältigungsverfahren. Lang durchgezogene Linien als Wortunterstreichung waren von den Schablonenherstellern unerwünscht.[244] Für langgezogene Linien wurde deshalb spezielles Schreibwerkzeug verwendet. Eine essentielle Eigenschaft der Vervielfältigung mit Mimeographen: Eine Schablone wird durch die Bearbeitung mit Schreibmaschinenanschlag an den geschriebenen Stellen des Textes für Vervielfältigungsfarbe durchlässig. Die Vervielfältigungsfarbe kann an den Durchlassstellen auf Vervielfältigungspapier mit maschineller Unterstützung hindurchgepresst werden.[245] Entweder werden die Vervielfältigungen mit einem einfachen Vervielfältigungsapparat manuell oder mit einem automechanisch funktionierenden Apparat vervielfältigt. Letzteres auch mit Elektromotor unterstützt. Modernere Mimeographen gegen Endes des 18. Jahrhunderts konnten bereits zwei Drucktrommeln aufweisen. Über die Drucktrommeln ist eine Seidengaze, also ein Textiltuch mit 250 µm Maschenabstand, aufgespannt. Schematisch dargestellt auf Seite 171 Abbildung 87. Die Seidengaze nimmt zur Vervielfältigung das hochempfindliche Schablonenpapier auf, führt und schützt dieses und nimmt gleichzeitig Vervielfältigungsfarbe an. Die Seidengaze bezeichnete der Vervielfältigungsapparate-Hersteller ROTO als Farbträger.[246] Eine rotierende Farbverteilungsrolle die sich zwischen den Drucktrommeln befindet, verteilt gleichmässig ölhaltige Vervielfältigungsfarbe während des Vervielfältigungsvorganges auf beiden Drucktrommeln und dadurch auch über die Seidengaze. Durch eine gummiartige Andruckwalze, die gegen die untere Drucktrommel über eine Kurvenscheibe oder einer anderen Steuerungsmechanik kontrolliert andrückt, gelangt die Druckfarbe von der Oberfläche der Drucktrommeln und der Seidengaze durch die Schablone auf dazwischengeschobenes Saugpostpapier. Die Vervielfältigungen sind gestochen scharf, nahezu wie beim modernen Buch- und Zeitungsdruck und eine Ewigkeit haltbar. Mimeographen-Schablonen sind insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass sie früher oder später im oberen Bereich, wo sie fixiert sind, abreissen. Schablonenabrisse sind das Kennzeichen der Mimeographen überhaupt.

    Merkmale Mimeograph: Seidengaze, Vervielfältigungsvorlagen werden als Schablonen oder anfangs als Wachsschablonen bezeichnet, Farbverteilungswalze, ölhaltige Vervielfältigungsfarbe, gestochen scharfe und lang haltbare Vervielfältigungen, jegliche Veränderungen der Schablone im Abzug sichtbar,[247] unausweichlicher Schablonenabriss am Schablonenanfang früher oder später, Standardschablonen bis zu 3000 Handabzüge oder Rotationsabzüge mit automechanischem Papiereinzug, Spezialschablonen bis zu 5000,[248] 10000 oder 20000 Vervielfältigungen,[249] extrem selten ohne automechanischem Papiereinzug jedoch dann mit Papieranschlag (Papierstopper), ein Vervielfältigungsverfahren für grosse Vervielfältigungsauflagen.

    Beim Handabzugsapparat wie bei einem Greif-Vervielfältiger wird ein Handfarbroller zur Verteilung der Vervielfältigungsfarbe verwendet, ansonsten gilt das Gleiche wie beim Rotationsvervielfältiger. Der Handabzugsapparat ist für den täglichen Bedarf geeignet, bei dem gleiche Dokumente über einen längeren Zeitraum vervielfältigt werden, oder auch für kleinere Auflagen. Die automechanischen Rotationsvervielfältiger waren vielfach mit einer automatischen Farbzuführung ausgestattet.