4.3 Matrizendrucker – Wilhelm Ritzerfeld ORMIG
Wilhelm Ritzerfeld, Chef der Berliner ORMIG-Organisationsmittel GmbH,
führte 1923 den Matrizendrucker ein.[186]
Er hat aus dem Hektograph einen Rotationsvervielfältiger mit
speziellem Farbblatt entwickelt. Trotz einer neuen Erfindung, hat
sich der Name Hektograph in der Öffentlichkeit weitgehend gehalten,
insbesondere in Deutschland und nicht so sehr in den Vereinigten
Staaten von Amerika. Wilhelm Ritzerfeld verwendete
als Vervielfältigungsvorlage ein einseitig beschichtetes Farbblatt,
das eine Anilintintenmischung als Farbstoff enthielt. Dem Farbblatt
folgte bald eine Version mit einer Farbwachsschicht.[187]
Sehr viel später, nach dem II. Weltkrieg, wurde die
Anilintintenmischung durch andere Farben ersetzt, die höhere
Vervielfältigungsauflagen leisten konnten.[188]
Erst in den 50er/60er Jahren folgte eine Vervielfältigungsvorlage
mit der bekannten Bezeichnung Spirit Carbon Umdruck-Farbsätze.[189]
Die färbende Seite eines Farbblattes befand sich unter einem
Deckblatt, das aus einer feuchtigkeitsundurchlässigen Schicht
bestand und vom Hersteller als Umdruckoriginal[190]
bezeichnet wurde. Beim Beschreiben oder Zeichnen der beiden Papiere
mit Stift oder Schreibmaschinenanschlag entsteht eine
spiegelverkehrte wachsartige Verfärbung auf der Rückseite des
Umdruckoriginals. Das Umdruckoriginal wird nach Fertigstellung auf
der Drucktrommel des Matrizendruckers so befestigt, dass die
wachsähnlich gefärbte Rückseite spiegelverkehrt sichtbar ist.[191]
Bei Tippfehlern musste die wachsartige Farbschicht der betroffenen
Stelle mühsam vom Umdruckoriginal abgekratzt werden und war mit
einer unangenehmen Schmiererei verbunden.[192]
Die zu vervielfältigenden Papiere werden während des Einzugs in die
Maschine an ihrer Vorderseite von einem Eingangsfilz mit einer
Spiritusmischung leicht befeuchtet. Kommt ein befeuchtetes Papier
mit dem Umdruckoriginal
während des Vervielfältigungsprozesses in Berührung, wird durch das
Spiritusgemisch die dünne wachsartige Farbschicht, die aus Text
und/oder Graphik bestehen kann, vom Umdruckoriginal
auf das Umdruckpapier abgefärbt, solange, bis die Farbschicht vom
Umdruckoriginal
verbraucht ist.[193]
Das Trägermaterial des Umdruckoriginals
muss aus einer feuchtigkeitsabstossenden Folie bestehen, weil ein
saugfähiges Papier den Spiritus aufsaugen und somit die
Wachsfarbschicht des Umdruckoriginals,
die den Informationsgehalt, bestehend aus Text oder Grafik, anlösen
würde.[194]
Bekannt wurde das Verfahren unter dem Unternehmen
ORMIG-Organisationsmittel GmbH in Berlin, das 1923 gegründet wurde.[195]
Gleiche Verfahren nannten sich Ditto[195]
in den USA und Banda[196],
[197]
in Grossbritannien.
Die Bedienung
eines Matrizendruckers ist, auch in qualitativer Hinsicht,
angenehmer als bei einem Hektographen. Dieser hatte jedoch bis in
die 50er, 60er Jahre die gleichen Schwierigkeiten mit der
Lichtempfindlichkeit und der schlechten Haltbarkeit für die
Archivierung von vervielfältigten Dokumenten.[195],
[198],
[199]
Heutige Archive haben extrem grosse Probleme, insbesondere die neuen
Bundesländer der Bundes Republik Deutschland, weil während der Zeit
der Deutschen Demokratischen Republik vielfach der Matrizendrucker
zur Vervielfältigung eingesetzt wurde. Die Erhaltung alter Dokumente
für nachfolgende Generationen, die nach dem ORMIG Verfahren
vervielfältigt wurden, gestaltet sich sehr schwierig.[200],
[201],
[202]
Im Jahre 1965 wurde ein neues Patent auf den Weg gebracht, das
letztendlich bestätigt, dass seit der Erfindung von 1923 die
Haltbarkeit von Dokumenten, die mit einem Matrizendrucker
hergestellt wurden, Probleme bereiteten. So schreibt der Erfinder
Gerhard Ritzerfeld[203] in
der genannten Patentschrift: «Der
Nachteil beim Spiritusumdruckverfahren ist jedoch, dass die hierbei
verwendeten Triphenylmethanfarbstoffe bei Einwirkung von Sonnenlicht
stark verblassen. Diesem Nachteil stärker entgegenzuarbeiten und die
Abzüge wenigstens eine bestimmte Zeit dem Licht widerstandsfähig zu
erhalten, z. B. bei Aushängen, ist Gegenstand der vorliegenden
Erfindung.»[204]
Das neue Patent schaffte Abhilfe. Erstmals um 1965 konnten auch mit
Matrizendruckern erstellte Vervielfältigungen jahrzehntelang
gelagert werden.[205]
Die Erfindung von Wilhelm Ritzerfeld zählt
zum Umdruckverfahren,[206]
weil nicht eine Originalvorlage zur Anwendung kommt. Das
Umdruckoriginal besteht aus einer vollständig glatten Druckvorlage.
Merkmale ORMIG
Matrizendrucker: Korrekte Herstellerbezeichnung für die
Vervielfältigungsvorlage ist Umdruckoriginal, ab den 50er/60er
Jahren folgte die Bezeichnung der verbesserten
Vervielfältigungsvorlagen ORMIG Spirit Carbon Umdruck-Farbsätze, vor
den 60er Jahren waren Vervielfältigungen stark behaftet mit
Rauschen, Textunschärfe, Lichtempfindlichkeit, schwierig über
Jahrzehnte archivierbar, grundsätzlich mit
jeder Vervielfältigung heller werdende Schriftzüge,[207],
[208]
kennt keine Abrisse der Umdruckoriginale,[209]
während des II. Weltkrieges bis zu 150 Rotationsvervielfältigungen
meist mit handelsüblichem, automechanischem Papiereinzug, durch
Weiterentwicklung sehr viel später nach dem II. Weltkrieg bis
quantitativ und weniger qualitativ bis 500 Vervielfältigungen. Ein
Vervielfältigungsverfahren für kleine Auflagen. Erst in den 50er
bzw. 60er Jahren verbesserte sich die Haltbarkeit vervielfältigter
Dokumente und vor allem reduzierte sich deutlich die
Lichtempfindlichkeit. Insgesamt betrachtet, wurde eine grosse
Qualitätsverbesserung ab diesem Zeitpunkt erreicht.
Die Idee zur
Erfindung des Matrizendruckers gilt nicht als gesichert. Über
Wilhelm Ritzerfeld wird
berichtet, ihm sei ein Schnapsglas über ein beschriebenes Papier
ausgelaufen und dabei hätte sich die Schriftfarbe auf die
darunter befindliche Fläche abgefärbt.[210]
Nun wird vielleicht verständlicher, warum zu damaliger Zeit
Schweizer Schüler die Umdruckoriginale als Schnapsmatrizen
bezeichneten.[211]
Abbildung 20: Matrizendrucker ORMIG-V, mit Papierzuführungsblech, rechts Kurbel und linksseitiges Gefäss für Spiritus, in der Mitte die Drucktrommel, Privatedition