8           Ungesühnt

Abbildung 282 und Abbildung 283 zeigen das Flugblatt G.29 der Alliierten mit dem Titel "Deutschland nach dem Krieg". Dieses Flugblatt wurde von den Engländern zwischen dem 23. Mai 1943 und dem 20. November 1943[2533] über Deutschland per Flugzeug abgeworfen. Die Geheime Staatspolizeileitstellen waren mit dem Flugblatt gewarnt, denn die Alliierten machten unmissverständlich deutlich, dass neben den Hauptverantwortlichen des nationalsozialistischen Unrechtsstaats auch die "Gestapo" nach Kriegsende zur Verantwortung gezogen werden würde. Am Ende des Dokumentationsfilms von Katrin Seybold[2534] erfahren wir die bittere Wahrheit. Aus dem gerechten Vorhaben ist nicht viel geworden. Einige kamen gegen Kriegsende im Bombenhagel in Berlin ums Leben oder wurden durch eigene Leute beseitigt. Ausser dem Universitätspedell kamen alle, die am Weisse Rose Prozess in München beteiligt waren, straffrei aus. Sie mussten nicht einmal Sühne in Form von Sozialstunden für den Wiederaufbau leisten. Hier hätten sie in vorderster Linie endlich etwas Sinnvolles tun können, um währenddessen zu verinnerlichen, welche Grausamkeit, welches Elend und Schicksal sie der Menschheit weltweit über Jahre aufbürdeten.

    Zu wenige des deutschen Bürgertums sagten im entscheidenden Moment NEIN. Nur ganz wenige waren bereit, wortwörtlich gesprochen, alles zu geben. Zu viele haben etwas nicht verstanden oder wollen nicht verstehen, woran sie sich beteiligten, wenn sie sagen: "Ich habe doch nur meine Pflicht getan". Richtig, zu mehr waren sie auch nicht bereit. Eine Meinungsstudie führt nach dem II. Weltkrieg zu dem beschämenden Ergebnis: «Zwischen November 1945 und Dezember 1946 wurden elf Umfragen durchgeführt, bei denen durchschnittlich 47 Prozent der Befragten der Meinung waren, dass der Nationalsozialismus eine prinzipiell gute Idee war, die lediglich schlecht ausgeführt wurde. Im August 1947 stieg die Zahl derer, die diese Meinung vertraten, auf 55 Prozent und blieb dann relativ konstant (im November 1945 waren es 53 Prozent, im Juli 1946 42 Prozent und im August 1947 55 Prozent). Im Jahr 1948 waren es durchschnittlich 55,5 Prozent. Der Anteil derer, die den Nationalsozialismus für eine schlechte Idee hielten, fiel von 41 auf circa 30 Prozent (November 1945: 41 Prozent, Juli 1946: 48 Prozent, August 1947: 35 Prozent).»[2535] Irgendwie kommt einem das bekannt vor, wenn auch heute noch über Adolf Hitler behauptet wird, er habe auch gute Seiten an sich gehabt... Das mag für jeden Menschen zutreffen, sie müssen bei Adolf Hitler sicherlich nicht explizit gesucht werden.

    So tragisch dies erscheinen mag, unterschiedliche Studien belegen, alles was der Nationalsozialismus anrichtete, lässt sich jederzeit wiederholen. Massenpsychologie macht das möglich. Massenpsychologie funktioniert immer, im Frieden, im Krieg und unabhängig unter welcher Staatsform. Massenpsychologie erreicht uns tagtäglich, durch Werbung, bei Wahlen, Interessenbewegung und in vielen weiteren Bereichen. Ohne Presse würden die skurrilen Methoden, die teilweise von Politik, Arbeitswelt, Industrie und anderen Lebensbereichen herrühren, kaum an die Öffentlichkeit gelangen. Jeder muss differenziert mitdenken, auch für andere, andere Generationen und für eine vielversprechende und anhaltende Wertegemeinschaft nach den Regeln der Genfer Menschenrechtskonventionen. Und dazu gehört, wer sich in Not befindet, dem muss geholfen werden. Jeder könnte davon betroffen sein, jeder. An der Wertegemeinschaft muss noch sehr viel gearbeitet werden.

    Anlässlich des 70. Jahrestages der UN-Menschenrechtserklärung zeigen die Journalistin Angela Andersen und der Jurist und Journalist Claus Kleber eine globale Bestandsaufnahme. Wohin steuert unsere Zivilisation? Gibt es Hoffnung? Titel: "Unantastbar", "Der Kampf für Menschenrechte". Ein sehr gelungener und bewegender Dokumentationsfilm, der die Ursachen, das Leid und die Verursacher nennt.[2536]

Flugblatt G.29 Vorderseite, dankend gestiftet von Reinhard Danner

Abbildung 282: Flugblatt G.29 Vorderseite, dankend gestiftet von Reinhard Danner

Flugblatt G.29 Rückseite, dankend gestiftet von Reinhard Danner

Abbildung 283: Flugblatt G.29 Rückseite, dankend gestiftet von Reinhard Danner