5           Auf gleicher Höhe in gegenseitiger Unterstützung

Sophie Scholl musste sich als junge Frau und Jüngste im Widerstandskreis sicherlich anfangs einen gewissen Platz zur Anerkennung innerhalb der Kommilitonen-Domäne schaffen. Vielleicht liegt hier ein wesentlicher Grund neben ihren unterschiedlichen Tätigkeiten vor, warum sie so viele Details der Nachwelt hinterlassen konnte. Sie musste sich für die technische Umsetzung der Flugblatt-Herstellung interessiert haben, sonst hätte sie ihre Kenntnisse nicht so exakt mitteilen können. Die Rekonstruktion der Flugblatt-Herstellung führte nur deshalb zu einem so präzisen Ergebnis, weil entscheidende Details von Sophie Scholl erinnert wurden. Trotz ihres Besuchs bei den Eltern in Ulm, war Sophie Scholl über die weiteren Vorgänge zur Flugblatt-Herstellung in München unterrichtet.[2498]

    Hans Scholl gilt als die treibende Kraft ihres Widerstands und als wesentliche Instanz für Entscheidungen. Doch dürften Hans Scholl und Sophie Scholl, abgesehen davon, wer die Entscheidungen letztendlich traf, auf gleicher Höhe gestanden haben. Unterschiedliche Erkenntnisse sprechen für eine Ideengeberin Sophie Scholl. Im Mai 1942 bittet Sophie Scholl ihren Lebensgefährten Fritz Hartnagel um einen Bezugschein zum Kauf eines Vervielfältigungsapparates.[2499] Die Geschwister Scholl dürften sich über die Möglichkeit einer Flugblatt-Herstellung ausgetauscht haben, denn bereits Ende Juni 1942 beginnen Hans Scholl und Alexander Schmorell klammheimlich mit der Flugblatt-Herstellung ohne Sophie Scholl darüber in Kenntnis zu setzen.[2500] Während die Studenten in Russland ihre Famulatur im Kriegseinsatz ableisten, lotet Sophie Scholl in dieser Zeit, zwischen August und Oktober 1942, die politische Gesinnung von Eugen Grimminger aus, ob dieser als mitwirkende Unterstützung in finanzieller und materieller Hinsicht für ihre Flugblatt-Herstellung in Betracht kommen würde.[2501] Dies geschah während der Zeit, als Eugen Grimminger ihren Vater Robert Scholl vertrat, als sich dieser in Haft befand.[2501], [2502], [2503] Als Nächstes bittet Sophie Scholl Hans Hirzel um die Beschaffung eines Vervielfältigungsapparats mit allem notwendigen Zubehör.[2504], [2505] Zutreffend könnte auch sein, dass Sophie Scholl Hans Scholl als Lektorin beim V. Flugblatt unterstützte.[2506] Nachdem sich die Geschwister über den ausbleibenden Erfolg ausgetauscht haben dürften, bringt Sophie Scholl vor dem 4. Februar 1943 die Idee zur Anbringung von Wandparolen ein.[2507] Kaum gesagt, folgte durch ihren Bruder und mit Unterstützung ihrer beiden Freunde Alexander Schmorell und Willi Graf die Umsetzung. Sophie Scholl wurde wieder nicht eingeweiht und sieht erstmals das Ergebnis am 4. Februar 1943.[2508], [2509] Dieser Idee folgen weitere zwei Aktionen ebenfalls in der Innenstadt Münchens.[2509] Am 18. Februar 1943 konnte ihr Bruder seine Schwester von einer Mitwirkung in der Universität nicht mehr abhalten. Die Flugblattstreuung wird von beiden innerhalb der Universität durchgeführt.[2510] Die Flugblattstreuung könnte wiederum die Idee von Sophie Scholl gewesen sein, denn sie legte zuvor heimlich in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1943 und dem 5. Februar 1943 alleine Flugblätter aus, auch in der Universität.[2511], [2512] Hinweise, dass Sophie Scholl ihren Bruder bei ihrem Alleingang einweihte, liessen sich nicht finden. Die Umsetzung der Aktion innerhalb der Universität könnte vermuten lassen, wer diesen Plan massgeblich so akribisch ausarbeitete.[2513] Wer die Idee zum Flugblatt-Abwurf von der Balustrade in den Lichthof einbrachte? Aufgrund der Antwort, dürfte derjenige, der den inszenierten Flugblatt-Stoss in den Lichthof beförderte, auch die Idee eingebracht haben. Nicht zu vergessen, dass vermutlich beide Geschwister am Flugblatt-Abwurf in den Lichthof beteiligt waren. Selbst die Durchführung ihrer Kurierfahrt nach Augsburg und Ulm mit einem Gewicht von ca. 18 kg Flugblattpost könnten von Sophie Scholl durchgesetzt worden sein.[2514] Ihr Bruder hätte ihr diese Aktion sicherlich nicht aufgebürdet, denn das Risiko erwischt zu werden, war extrem hoch. Ob die Ideengeberin Sophie Scholl bis zuletzt und wie im Allgemeinen angenommen wird, im Januar und Februar 1943 immer noch die zurückhaltende und stille Widerstandskämpferin gewesen sein soll, darf rückblickend aufgrund ihres Engagements neu überdacht werden. Spätestens nach den handschriftlichen Adressennotierungen für das V. Flugblatt Charge-1, von denen 3200 maschinenschriftliche Adressierungen für die Briefumschläge verwendet wurden,2514 muss allen klar gewesen sein, dass jeder "MANN" für ihren Widerstand gegen Adolf Hitler gebraucht wurde. Auch Sophie Scholl war bei der Adressierung beteiligt.2514 Mag sein, dass Sophie Scholl sich bei den Ateliersveranstaltungen zurückhielt. Sie wird ihre Gründe gehabt haben. Wer sich so einbrachte wie die junge Studentin Sophie Scholl, machte sich nicht nur innerhalb des Widerstandskreises unentbehrlich, sondern dürfte bei den Entscheidungen tendenziell massgeblich mitgewirkt haben, auch im Ton.[2515] Was wir heute nicht wissen, welche Entwicklung ihr Bruder und ihre Freunde aus dem Widerstandskreis hinsichtlich der gesellschaftlichen Stellung der FRAU erfuhren. Nur eine Sonderstellung für Sophie Scholl oder schon etwas mehr? Willi Graf lieferte mit seinen präzisen Aussagen und seinen kontinuierlichen Tagebucheinträgen eine sehr exakte Terminierung zur Flugblatt-Herstellung. Dadurch konnten drei Herstellungstage von Flugblättern mithilfe der Aussagen seiner Freunde sehr genau erkannt werden.