XIII. Weisse Rose München – Resümee

1           Weisse Rose München – Technische Details

Nach dem II. Weltkrieg konnten Zeitzeugen nichts über die Flugblatt-Herstellung des Widerstandskreises Weisse Rose berichten. Seither wurde das Thema nicht aufgegriffen. Weit verbreitet ist die öffentliche Vorstellung, der Widerstandskreis Weisse Rose habe in München seine Flugblätter mit einem Hektographen vervielfältigt. Ein vielversprechender Ansatz musste gefunden werden, um möglichst viele Menschen zu erreichen, die sich auf die neue Situation, vielleicht sogar ein wenig begeisternd, einlesen und dann auch einlassen würden. Das war einst die Grundidee. Seit dem II. Weltkrieg blieb vieles im Dunkeln, die Hoffnung war, dass die Thematik am Ende anfassbar werden würde. Zur "Experimentellen Rekonstruktion" wurden baugleiche Exponate, exakt jene Modelle, die vom Widerstandskreis und vom Umfeld verwendet wurden, Zubehör wie Schablonen, Vervielfältigungsfarbe und Saugpostpapier als Werkdruckpapier beschafft. Die Gerätebezeichnungen und Seriennummern[2408] waren zu vielen Apparaten festgehalten und damit bekannt. Mit den beschafften Exponaten konnten alle Sachverhalte und offenen Fragen am baugleichen Original nachempfunden werden. Geklärt wurden die angewendeten Vervielfältigungsverfahren und die daraus hervorgehende Arbeitsweise zur Flugblatt-Herstellung. Dem folgte aus dem Aktenmaterial der Geheimen Staatspolizei ein Abgleich zwischen Produktion und den Aussagen aus den Vernehmungsniederschriften. Geklärt werden konnte, unter welchen Bedingungen die Flugblatt-Herstellung erfolgte, wie viele Flugblätter mit welchem Zeitaufwand wo und in welcher Anzahl hergestellt und auf welche Weise und Stückzahl, von wem verbreitet wurden, wer die Empfänger waren und wo sie lebten, wie sich der Widerstand finanzierte, welche Kosten für die Materialbeschaffung entstanden und wie sich die Zusammenarbeit gestaltete.[2409] In den Kapiteln "Grundlagen Vervielfältigungstechnik" ab Seite 50 wurden Grundlagen vermittelt und Begriffe aus der Vervielfältigungstechnik erläutert.[2410] Demnach verwendet ein Hektograph zur Vervielfältigung nur ein einziges Mal eine Mastervorlage. Der Matrizendrucker braucht zur Vervielfältigung ein Umdruckoriginal, hingegen verwenden der Mimeograph, der Tausendstempel und der Opalograph Schablonen. Beim Opalograph kann alternativ auch ein Farbband oder ein Farbblatt anstelle einer Schablone verwendet werden. Die Schablonen werden beim Opalograph nur zur ersten Textübertragung auf die Opalplatte eingesetzt und nicht als Vervielfältigungsvorlage verwendet. Durch den unsachgemässen Gebrauch von Fachbegriffen entstanden weltweit grundlegende Verwechslungen und Missverständnisse, ohne dass ein Ende abzusehen ist. Am Auffälligsten waren die Aussagen in den Weisse Rose Vernehmungsniederschriften zu abgerissenen Schablonen, die als Matrizen bezeichnet wurden. Abrisse dieser Art treten typischerweise bei Mimeographen auf. Die Abrisse können früher auftreten, am liebsten so spät als möglich, denn umso mehr Flugblattseiten können mit einer Schablone vervielfältigt werden. Insgesamt wurden vier irreguläre Schablonenabrisse[2411] bekannt und ein technisches Problem mit einer Schablone, um das sich Hans Scholl und Alexander Schmorell erfolgreich kümmerten.[2412], [2413] Nachweislich wurden mindestens 11 Schablonen eingesetzt. Auch war die hohe Flugblattauflage mit einer Schablone ein wichtiger Hinweis. In einem Fall konnten mit einer Schablone über 600 Flugblattseiten vervielfältigt werden, bevor sie abriss.[2414] In einem weiteren Fall gelang eine Vervielfältigung von etwa 1800 Flugblattseiten.[2415] Beim V. Flugblatt Charge-2 dürften laut Berechnungen und Aussagen sogar 2 x 2000 Flugblattseiten mit jeweils einer Schablone zusammengekommen sein.

    An den baugleichen Weisse Rose Vervielfältigungsapparaten fällt auf, dass diese mit einer Seidengaze und Farbverteilungswalze ausgestattet sind. Alleine die Seidengaze wäre als Beweis für das Vervielfältigungsverfahren ausreichend. Der Hersteller ROTO bezeichnete die Seidengaze in der Gebrauchsanweisung auch als Farbträger.[2416] Mimeographen brauchen eine Seidengaze, an der die Schablone zur Vervielfältigung befestigt wird. Die Entwicklungsgeschichte von Schablone und Seidengaze wurde kenntlich gemacht.[2417] Die Aussagen, die aus den Weisse Rose Gerichtsakten zur Vervielfältigung der Flugblätter hervorgehen, sind übereinstimmend mit dem Vervielfältigungsverfahren eines Mimeographen. Heinz Brenner verwendete zur Flugblatt-Herstellung einen Opalograph, als Hilfsmittel zur Textübertragung auf die Opalplatte eine Schablone.[2418] Emil Meier und Robert Eisinger benutzten einen Tausendstempel ebenfalls mit Schablonenvorlagen[2419].