3           Idyllische Region würdigt Weisse Rose

Am 8. Mai 1945 wurde nach dem verlorenen Krieg der Nationalsozialisten die Kapitulation unterschrieben. Genau 71 Jahre später wurde an jenem Tag in einer der abgelegensten Regionen Deutschlands ein Gedenkstein zu Ehren des Widerstandskreises Weisse Rose am Limes-Weg, der zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt, enthüllt. Am Folgetag würde Sophie Scholl ihren 95. Geburtstag feiern. So sprach der im Ruhestand befindliche geistliche Pfarrer Bernhard Glück am Limes-Weg zu seiner früheren Gemeinde. Etwa 500 Meter Luftlinie entfernt liegt das Geburtshaus von Vater Robert Scholl. Abbildung 281 zeigt in Steinbrück den Gedenkstein, der zu Ehren der Weisse Rose und der Geschwister Scholl eingeweiht wurde. Ganz links über der Grasnarbe ist der Giebel des Geburtshauses von Robert Scholl zu sehen. Vom Geburtshaus Robert Scholls existiert sogar noch eine Original-Aufnahme aus den 60er Jahren. Die Feuerwehr versorgte mit Notstromaggregat die Beschallungsanlage und dirigierte den Verkehr. Der frühere Spielkamerad Erich Auwärter, der mit Hans Scholl zeitweise seine Kindheit verbrachte und ein weitläufiger Verwandter der Familie Scholl war, war unter den Gästen. Pfarrer Bernhard Glück überbrachte den Gedanken eines Gedenksteines an den Ortsvorsteher Heiko Nagel und dieser begab sich zum Bürgermeister, der die Kostenübernahme für den Gedenkstein regelte. Der Stein kommt aus der Region und ein heimischer Steinmetz formte den Stein. Werner Benz zeigte nach der Veranstaltung anderenorts den Stammbaum der Familie Scholl. Alle bekannten Stammbücher, die als Quellenmaterial vorliegen sollen, wurden auf etwa 60 x 200 cm zusammengefasst. Ortsrat Werner Benz verfügt über umfangreiches Wissen aus der Umgebung um Öhringen und beschäftigt sich intensiv mit dem Stammbaum der Familie Scholl. Mit der ursprünglichen Aufarbeitung begann ein anderer Pfarrer aus der Region um Öhringen, so Werner Benz. Unter den Gästen befanden sich Vertreter einer ganz besonderen Kirche aus dem Raum Schwäbisch Hall. Ein früherer Dekan fragte beim Kirchenrat an, wie er darüber befinde, die Kirche Sophie Scholl Kirche zu benennen. Der Kirchenrat folgte dem Dekan. Nach einer Auseinandersetzung, denn nicht alle waren sofort vom neuen Namen ihrer Kirche begeistert, setzte sich der Name dann erfreulicherweise durch. Die Predigt und die gesamte Gedenkfeier waren sehr ansprechend und erfüllend. Einige Initiatoren, Anja Knapp, Heiko Nagel und Jürgen Feger, die im Vorfeld die Vorgehensweise abwogen, sprachen einzeln ein Fürbittengebet. Die aus Schwäbisch Hall kommende Dekanin Anne-Kathrin Kruse vertiefte gefühlvoll die Geschichte um die Geschwister Scholl. Das Wetter belohnte jeden der Gäste in dieser idyllischen, sehr abgeschiedenen Gegend um Steinbrück. Jeder, der entlang des Limes wandert, kommt an diesem Gedenkstein unweigerlich vorbei. Pfarrer Bernhard Glück bat mich, unvorbereitet, ein paar Worte zum Flugblatt gegenüber den Gästen zu erläutern. So erwähnte ich, die Initiatoren brachten in dieser Region einen mächtigen Stein ins Rollen und dies ausgerechnet in Steinbrück. Warum die Gäste fröhlich über diesen Satz auflachten, bleibt ein Geheimnis. Jedoch entspannte der kleine Lacher merklich die situationsbedingt in sich gekehrt wirkende Andacht, begleitet von einer hervorragenden Blaskapelle. Diese spielte natürlich nicht den von Sophie Scholl geliebten Swing oder Jazz. Gemeinsam wurden Lieder gesungen und Texte verlesen, die einst die Grossmutter den Kindern Scholl zu Lebzeiten abendlich widmete. Mir wurde berichtet, die Region um Steinbrück sei zu dieser Zeit sehr arm gewesen.

Gedenkstein zu Ehren des Widerstandskreises Weisse Rose und der Geschwister Scholl, Steinbrück 8.5.2016, Privatbesitz

Abbildung 281: Gedenkstein zu Ehren des Widerstandskreises Weisse Rose und der Geschwister Scholl, Steinbrück 8.5.2016, Privatbesitz

Vermutlich waren die kleinen Bauernhöfe und Bauernsiedlungen sogenannte Selbstversorger. So mein Eindruck. Am Schluss wurde zum Buffet geladen. Alle Gäste bekamen ein originalgetreu vervielfältigtes V. Flugblatt. Ich sprach in meiner bewusst kurz gesetzten Ansprache nur an, dass Hans Scholl den Text schrieb, auch wenn keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, so könnte auch Alexander Schmorell seine Ideen eingebracht haben. Ich fand in jüngster Zeit heraus wer, welchen Text auf die Schablonen geschrieben haben dürfte. Beim V. Flugblatt ist das nicht so deutlich, wer die Schablonen von den Geschwistern Scholl bearbeitete. Willi Graf war viel unterwegs und suchte nach Unterstützern. Durch Willi Graf ist ein Teil der Arbeitsweise bekannt, denn er stand selbst am Rotationsvervielfältiger. Nichts ist darüber bekannt, dass er Texte auf Schablonen übertrug. Alexander Schmorell konnte wegen seines markanten Schreibmaschinenanschlags ausgeschlossen* werden. Entweder hatte Hans Scholl bezüglich der Rückseiten einen besonders guten Schreibmaschinenanschlag beim V. Flugblatt oder die Glanzleistung kam von Sophie Scholl, die den Text auf Schablone übertragen haben könnte.[2403] Anschliessend folgte eine symbolische Vervielfältigung von 1943. Pfarrer Bernhard Glück empfing jenes Saugpostpapier, das von einem neuen, föderalen Europa spricht. Danach sang die Gemeinde das bekannte Segenslied "Frieden gabst du schon". Vorsitzende Kirchenrätin Anja Knapp teilte mir mit, das Flugblatt zeigte bei den Gästen Reaktion. Pfarrer Bernhard Glück würdigte in seiner Predigt besonders den Inhalt des V. Flugblatts, dieses Flugblatt sei wirklich lesenswert. Zeitzeugen berichteten nach dem Gottesdienst Hochinteressantes. Doch ihr Wissen liegt noch nicht in trockenen Tüchern. Viele gut erhaltene Bilder existieren von Familie Scholl. Sie müssten zur Erhaltung digitalisiert und sicherlich auch wegen der Hautsäure, die bekanntermassen das Material angreift, restauriert werden. Ich habe viel von den Gästen und Organisatoren erfahren. Ich würde etwas missen, wenn ich nicht unter ihnen gewesen wäre. Auch zu meiner eigenen Situation, dem Euthanasie-Programm bezüglich meines Grossvaters, fand ich Antworten. Auch andere in meiner Situation versuchen durch Aufarbeitung, ihre Familiensituation transparent zu machen. Meist zum Ärger des Familienumfelds, weil dieses vielmals keine Aufarbeitung wünscht. So Pfarrer Bernhard Glück, der sich um den Rotationsvervielfältiger dazugesellte. Bürgermeister Damian Komor brachte sich mit einer einzigartigen Geste ein. Er wollte sich an meinen Unkosten beteiligen. Oder eine Spende an die "Einrichtung, der ich zugehörig bin" geben, so der ehrenrührende Werner Benz. Wir befanden uns an diesem Tag alle im Ehrenamt. Was zählt und bleibt, die Botschaft ihrer Gesten. Der Ortsvorsteher Heiko Nagel brachte sich mit interessanten Einlagen zur Weisse Rose ein. Er machte sehr deutlich, wie tief die Bevölkerung Sophie Scholl wahrnimmt. An den Widerstandskreis Weisse Rose hat dieser Gedenktag in besonderer Weise erinnert und diesen gewürdigt. Die Initiatoren haben sich nicht nur mit Inhalten enorme Mühe gegeben. Sie haben den Aufwand nicht gescheut. Alle Gäste fanden auf einer extra vom Bauern gemähten Wiese einen Sitzplatz auf gebrachten Holzbänken. Pfarrer Bernhard Glück sprach sehr persönlich, rührend und betroffen über die letzten Momente vor den Hinrichtungen im Februar 1943. Der Name des promovierten Pfarrers Karl Alt fiel. Den Initiatoren gelang mit einer Leichtigkeit, die Andächtigen miteinander zu verbinden. Pfarrer Bernhard Glück liess es sich nicht nehmen, jenen Satz aus der Vernehmungsakte, der durch Sophie Scholl vom 20. Februar 1943 überliefert ist, zu erwähnen:

«Von meinem Standpunkt muss ich diese Frage verneinen. Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen.»[2404]

    Dieser gediegene Gedenktag zu Ehren der Weisse Rose und nicht zuletzt für Sophie Scholl und Hans Scholl, bleibt jedem der Anwesenden unvergessen. So bedankte ich mich, im Glauben meine Geste sei nicht zu vermessen, bei allen Gästen und bei den Initiatoren im Namen der Weisse Rose für diesen ehrenwürdigen Gedenktag. Die Initiatoren setzen mit diesem Gedenkstein weltweit, auch vor noch so abgeschiedener Natur, ein wichtiges Zeichen für Frieden und Freiheit und nicht zuletzt ein wichtiges Zeichen – gegen das Vergessen!

 

Lieben Dank!

 

  *Monate später fand ich eine weitere Version des V. Flugblatts. Aufgrund des Schreibmaschinenanschlags auf der Vorderseite, kann dieser auch Alexander Schmorell zugeordnet werden, siehe Seite 274 Abbildung 165 und alle Einzelheiten ab Seite 254 "Die Schablonenschreiber – Flugblatt I-VI".