13           Thomas Mann "Deutsche Hörer!"

Vier verschiedene Datumsangaben müssen bei Thomas Mann bezüglich seiner Sendungen und auch speziell zu seiner Radiorede "Zehn Jahre Nationalsozialismus" unterschieden werden. Tagebucheinträge von Thomas Mann beschreiben seine Einfälle zu einer neuen Radiosendung, das Aufnahmedatum auf Schellackplatte, Datum der posttechnischen Übermittlung über den Nord Atlantischen Ozean und das Datum, wann die Rede von Radio BBC London ausgestrahlt wurde. In der Literatur sind zum Datum der Sendetermine Verwechslungen feststellbar. Der Fischer Taschenbuch Verlag[2349] datiert auf Seite 87 das Datum 15. Januar 1943 "Zehn Jahre Nationalsozialismus". Auf Seite 174 «Die Rede entstand lt. Tagebucheintrag am 14. und 15. Januar 1943, der Sendetermin war vermutlich der 24. Januar 1943», Titel "Zehn Jahre Nationalsozialismus". Einige Quellen nennen hier jedoch den 18. Januar 1943.[2350] Einen Monat vor der Festnahme der Geschwister Scholl und Christoph Probst, war Thomas Mann laut Fischer-Verlag mit einer Radioansprache am 24. Januar 1943, mit dem Titel "Zehn Jahre Nationalsozialismus" im Radio BBC auf Mittelwelle zu hören. Ab 18. März 1941 sprach Thomas Mann im "Recording Department der NBC" in Los Angeles seine Texte auf Schellackplatten, dem Vorläufer der Vinylschallplatten, die zunächst nach New York gesandt und von dort telefonisch nach London analogtechnisch übertragen wurden.[2351], [2352] Das Grundrauschen der Tondokumente entsteht durch das verwendete Material der Schellackplatten beim Abtasten mit Tonnadeln, durch die Möglichkeiten der damaligen Nachrichtentechnik und bedingt durch die Übertragungsfrequenz durch den Äther.[2353] Der Autor Armin Ziegler beschäftigte sich mit der Frage, ob der Widerstandskreis in München die BBC Radiosendungen auf Mittelwelle des Schriftstellers von Thomas Mann hörte, und wenn ja, ob die Reden inhaltlich in die Flugblätter eingegangen sind.

Mikiphone, Grammophon von 1925, gerne an entlegenen Orten der Welt benutzt. Nach Spielende wird das Mikiphone zerlegt und in seiner Dose verstaut. An der Front oft eine der wenigen erfreulichen Momente, Privatbesitz

Abbildung 276: Mikiphone, Grammophon von 1925, gerne an entlegenen Orten der Welt benutzt. Nach Spielende wird das Mikiphone zerlegt und in seiner Dose verstaut. An der Front oft eine der wenigen erfreulichen Momente, Privatbesitz

Die Indizien, die Armin Ziegler in seinem Buch aufführt, sprechen für beide Fragen.[2354] In der Literatur wird manchmal darüber berichtet, dass vom Widerstandskreis die Rede von Thomas Mann am 24. Januar 1943 im Radio unter dem Titel "Die Nazis fangen an, sich mit ihrem Untergang zu beschäftigen…" gehört werden konnte. Dies deckt sich nicht mit den Angaben des Fischer Taschenbuch Verlags. Der Verlag nennt auf Seite 176, «Die Rede entstand lt. Tagebucheintrag am 24. Januar 1943; Sendetermin war vermutlich der 27. Februar 1943», Titel lautete "Die apokalyptischen Lausbuben". Diese Radiorede von Thomas Mann beginnt laut Tagebucheintrag mit: "Die Nazis fangen an, sich mit ihrem Untergang zu beschäftigen". Demnach dürfte der Widerstandskreis die Sendung am 24. Januar "Zehn Jahre Nationalsozialismus"[2355] am Röhrenradio mitverfolgt haben und nicht die Sendung vom 27. Februar 1943, die Thomas Mann am 24. Januar 1943 in sein Tagebuch schrieb. In diesem Zusammenhang ist in der Vernehmungsniederschrift von Christoph Probst zu lesen, dass er zwischen dem 24. und 30. Januar 1943 einen englischen Sender in deutscher Sprache hörte.[2356] Aus der Vernehmungsniederschrift von Christoph Probst geht nicht hervor, dass er Thomas Mann im Radio hörte, um sich anschliessend mit dem Widerstandskreis darüber auszutauschen. Dennoch bleibt merkwürdig, dass Christoph Probst ausgerechnet den 24. Januar 1943 betont. Christoph Probsts letzter Wohnort in München war am Kaiserplatz 2. Zur Ludwig-Maximilians-Universität ein Fussweg von ca. 1,7 km. Christoph Probst lebte dort laut Vernehmungsniederschrift von Hans Scholl[2357] bis 1942. Auch Christoph Probst studierte Medizin.

TEFAG Lotse KW für LW, MW, KW Empfang, Baujahr 1934, rechts und links befinden sich zwei Drehkondensatoren zur Empfangsfeinabstimmung, Privatbesitz

Abbildung 277: TEFAG Lotse KW für LW, MW, KW Empfang, Baujahr 1934, rechts und links befinden sich zwei Drehkondensatoren zur Empfangsfeinabstimmung, Privatbesitz

    Gelegentlich kommt die Frage auf, ob auf Mittelwelle weit entfernte Radiosender während der nationalsozialistischen Zeit überhaupt gehört werden konnten. Vermutlich nicht mit einem Volksempfänger. Sehr wahrscheinlich wurde bei den Volksempfängern die Em­pfangsempfindlichkeit absichtlich herabgesetzt, um weitgehend keine Auslandssendungen hören zu können.[2358], [2359] Mit einem handelsüblichen Röhrenradio der damaligen Zeit konnten sehr gut weit entfernte Sender wahrgenommen werden. Beispielsweise hat ein TEFAG Lotse KW [2360] Röhrenradio vier verschiedene Drehkondensatoren zur Einstellung des optimalen Empfangs. Mit entsprechend langem Draht können heute noch sehr weit entfernte Radiosender in später Nachtstunde gehört werden.[2361] Allerdings wird der Äther immer ruhiger, da mehr und mehr Radiosender ihre Sendungen speziell auf Mittelwelle einstellen. Zuletzt beendete die BBC aus London ihren Dienst.[2362] Nachvollziehbar, warum der Widerstandskreis sich per Röhrenradio durch den Empfang ausländischer Sender informieren konnte, auch über den Londoner Sender der BBC. Der Empfang von sogenannten "Feindsendern" war nur eine Frage der technischen Ausrüstung. Mit dem Verlust von Stalingrad wurden die Strafen bei Verstössen drastisch verschärft. Das Mithören von ausländischen Sendern konnte beim Sondergericht zur Todesstrafe führen.[2363], [2364], [2365]

TEFAG Lotse KW für LW, MW, KW Empfangs-Skala, Privatbesitz

Abbildung 278: TEFAG Lotse KW für LW, MW, KW Empfangs-Skala, Privatbesitz

    Röhrengeräte, und dies gilt auch für heutige moderne Halbleiterempfänger, verursachen während des Empfangs in der Umgebung von einigen wenigen 10 Metern ein schwaches Oberwellenspektrum, das wiederum mit speziellen Peilempfängern[2366] festgestellt werden kann. Diese Methode war schon in den 30er Jahren bekannt. Durch das Oberwellenspektrum des Röhrenempfängers kann die Grundempfangsfrequenz zwar nur quantitativ gemessen werden, sie reicht jedoch aus, um festzustellen, dass möglicherweise eine Person "schwarz" Radiosendungen hört. Da die gemessene Störstrahlung nicht flächendeckend messbar ist und sich auch mit anderen Störstrahlungen überlagert, sind zunächst Informanten oder verdächtige Hinweise notwendig, um direkt vor Ort in geringer Entfernung am Objekt messen zu können, um so den Hörer auf frischer Tat zu erwischen.