8           Werner Bergengruen und Charlotte Bergengruen

Werner Bergengruen berichtet, er und seine Frau Charlotte Bergengruen hätten eine Predigt von Bischof Graf von Galen und ein Flugblatt des Widerstandskreises Weisse Rose Münchens vervielfältigt und verbreitet.[2252] Autorinnen und Autoren reagieren uneinheitlich auf die Darstellung von Werner Bergengruen. Einige gehen auf den Sachverhalt nicht ein, andere bestätigen und weitere relativieren den Sachverhalt.[2253], [2254], [2255], [2256], [2257] Die angegebene Originalschreibmaschine von Werner Bergengruen, Remington Portable 2, Seriennummer ND75505, wurde im September 1927 hergestellt. Ein Modell als Standardausführung mit Hochglanzlack. Sie wird heute vom Literaturmuseum Baden-Baden verwahrt. Vergleichsmodell Abbildung 272 hat die Seriennummer NP86375 und wurde im Januar 1928 gebaut. Wenn die Darstellung von Werner Bergengruen zutreffen sollte, wurden die Schriften vermutlich mit seiner Schreibmaschine vervielfältigt.

    Werner Bergengruen erinnert an zurückliegende Kriegsjahre im Hochland 1958: «Ich wußte nicht, daß der Student Hans Scholl, dem ich im Haus Carl Muth in der Dittlerstraße begegnete er war Muth bei der Neuordnung seiner Bibliothek behilflich, der Verfasser jener Flugblätter der Weiße Rose war, die meine Frau und ich nächtlich abtippten und die ich dann nach sorgfältiger Auswahl der Adressaten zu Rad in die Stadt brachte, um sie auf die Briefkästen der verschiedenen Postbezirke zu verteilen. Nachdem das Unheil sich schon erfüllt hatte, erschienen zu später Nachtstunde zwei Gestapobeamte bei Muth. Er wurde gefragt, ob er zugebe, Hans Scholl gekannt und häufig bei sich gesehen zu haben. Muth bejahteCarl Muth wurde als intellektueller Urheber bezichtigt mit den Flugblättern der Weisse Rose in Beziehung zu stehen, dieser setzte sich jedoch gegenüber der Geheimen Staatspolizei vehement zur Wehr.[2258] Habhaft liegen keine Gründe vor, Werner Bergengruen in irgendeiner Form infrage zu stellen. Allerdings ist auch keine neutrale und glaubwürdige Referenz bekannt, die eine Flugblatt-Verbreitung der Familie Bergengruen zeitgenössisch belegen könnte. Trotz umfangreicher Recherchen konnte die Aussage bezüglich Flugschriftverbreitung durch Werner Bergengruen und Charlotte Bergengruen nicht belegt werden.[2259]

Remington Portable 2 als Standard von 1928, NP86375, Privatbesitz

Abbildung 272: Remington Portable 2 als Standard von 1928, NP86375, Privatbesitz

    Von Werner Bergengruen ist bekannt, dass er ein entschiedener Gegner der Nationalsozialisten war und sehr früh durch die Reichsschrifttumskammer eingeschränkt wurde. Wenn Werner Bergengruen mit seiner Ehefrau Charlotte Bergengruen tatsächlich Flugschriften verbreitete, würden sie möglicherweise bezüglich der ersten vier Flugblätter die einzigen sein, die dem Aufruf der beiden Freunde Hans Scholl und Alexander Schmorell folgten, die Flugblätter zu verbreiten.

    Über die Schreibmaschine von Werner Bergengruen wird berichtet, dass seine Frau Charlotte Bergengruen sie mit in die Ehe brachte. Am 4. Oktober 1919 heiratete Werner Bergengruen. Die Schreibmaschine entspricht dem gleichen Modell des Widerstandskreises Weisse Rose, jedoch als Standardmodell und nicht in der Ausführung mit Schrumpflack. Die amerikanische Reiseschreibmaschine von Werner Bergengruen, Remington Portable 2, wurde jedoch erst im September 1927 hergestellt.[2260] Charlotte Bergengruen kann die Remington Schreibmaschine nicht mit in die Ehe gebracht haben, vielleicht bekam Werner Bergengruen zu einem besonderen Anlass die Schreibmaschine von seiner Frau nach 1927 geschenkt.

    Hans Scholl und Alexander Schmorell wählten bei ihren ersten vier Flugblättern bekannte Persönlichkeiten als Adressaten.[2261] Durchaus realistisch könnte sein, dass Werner Bergengruen möglicherweise gezielt von Hans Scholl ein Flugblatt zugesendet bekam. Als bekannter Schriftsteller und Nachbar von Carl Muth kommt Werner Bergengruen ganz sicher als Adressat in Betracht. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass anschliessend eine Vervielfältigung im Hause der Familie Bergengruen folgte. Weil bisher kein Beweis für eine Widerstandsaktivität durch Charlotte Bergengruen und Werner Bergengruen erbracht werden konnte, kann deshalb die angebliche Widerstandsaktivität der Öffentlichkeit gegenüber korrekterweise nur eine relativierte Darstellung erfahren.

    Bekannt ist, dass Hans Scholl und Werner Bergengruen sich gut verstanden und Hans Scholl seine Bücher und insbesondere den Schriftsteller schätzte. Das geht auch aus einem Brief hervor, den Hans Scholl an Rose Nägele vom 5. Januar 1943 aus München richtete. Hans Scholl schreibt: «Ich schätze Bergengruen, den ich persönlich kenne, über alle lebenden deutschen Schriftsteller einschliesslich Carossa[2262] Auch setzte sich Willi Graf mit Büchern von Werner Bergengruen auseinander.[2263]

   Ich kann mir vorstellen, dass gegenüber Werner Bergengruen und Charlotte Bergengruen möglicherweise Unrecht begangen wird. Gehofft wurde auf einen Tagebucheintrag oder einen Brief, der während des II. Weltkrieges oder kurze Zeit danach geschrieben wurde, aus dem eine Widerstandsaktivität hervorgeht. Auch das familiäre Umfeld, wie beispielsweise Thomas Mann, scheint nichts über eine Flugblatt-Verbreitung gewusst zu haben. Ich hätte für mein Gedenkbuch gerne ein anderes Ergebnis gehabt. Ich habe viel Zeit und Mühe in dieses Ziel gesetzt, sogar eine Schreibmaschine zu Ehren von Werner Bergengruen und Charlotte Bergengruen beschafft, restauriert und bereits bei einem Vortrag ausgestellt. Mein Bemühen blieb jedoch ohne nennenswerten Erfolg.