7.1           Tausendstempel

In einem Flachgehäuse befindet sich ein saugfähiges Textilgewebe wie bei einem Stempelkissen. Dieses wird mit Farbe getränkt. Über das Textilgewebe wird eine mit Schreibmaschine beschriebene Schablone gespannt, die an zwei gegenüberliegenden Stellen am Tausendstempel fixiert wird. Das Papier der Schablone bestand im Wesentlichen aus Maulbeerbaumpapier und wurde vom jeweiligen Hersteller entweder in Wachs oder in eine chemische Alligationsmasse getaucht, deren Hauptbestandteile oftmals aus Casein bestanden. Fallen durch Schreibmaschinenanschlag Buchstaben auf die Oberfläche der Schablone ein, wird das Wachs bzw. die Alligationsschicht auf Vorder- und Rückseite verdrängt und für ölhaltige Vervielfältigungsfarbe durchlässig.[2247] An der Rückseite des Tausendstempelgehäuses befindet sich ein Griff wie bei einem Stempel. Für einen würdigen Abschluss zur Geschichte von Emil Meier und Robert Eisinger sollte die verwendete Schreibmaschine noch ermittelt werden. Die Schablonen-Bearbeitung der beiden handlichen Flugschriften wurden mit einer sehr bekannten Schreibmaschine erstellt.

Copyflex-Schablone, Rahmen für Textinhalt per Schreibmaschinenanschlag, Privat-besitz

Abbildung 266: Copyflex-Schablone, Rahmen für Textinhalt per Schreibmaschinenanschlag, Privatbesitz

Hierzu bestätigte dankend Bernhard Haas, Sachverständiger für Maschinenschriften: «…die 2 Schriftstücke aus 1943 weisen eine systemidentische Maschinenschrift von einer Schreibmaschine auf, die mit Pica-Schrifttypen "Seidel & Naumann 100" ausgerüstet ist. Diese Schrifttypen wurden von dem VEB-Schreibmaschinenwerk in Dresden hergestellt und in ERIKA-Reiseschreibmaschinen und IDEAL-Standardschreibmaschinen eingebaut. Die verwendete Schreibmaschine (Seriennummer ab 185 000) stammt entsprechend der Typenklassifizierung aus der Herstellungszeit ab 1932. Wie Sie vermutet haben, könnte eine ERIKA-Modell 5 oder 6 zur Beschriftung der Flugblätter in Betracht kommen[2248]

    Wird nun der "Stempel" auf ein leeres Vervielfältigungspapier gedrückt, so fliesst die Vervielfältigungsfarbe vom Textilgewebe durch die perforierte Schablone hindurch und gelangt so auf das Vervielfältigungspapier. Nach etwa 1000 vervielfältigter Flugblattseiten ist die Schablone an der Oberfläche abgenutzt und muss neu erstellt werden. Ob mit jeder Schablone eine Auflage von 1000 Flugblattseiten erreichbar ist, muss bezweifelt werden. Ähnliches Verhalten dürfte vorgelegen haben, wie das bereits schon angesprochen wurde.[2249] Emil Meier und Robert Eisinger gaben gegenüber der Geheimen Staatspolizei in München an, sie hätten je nach Flugblatt eine Auflage zwischen 300 bis 800 Exemplare erreicht, was angesichts der kurzen Texte ohne weiteres möglich ist.

Schablonenvorlage mit Flugblatttext zu Ehren von Emil Meier und Robert Eisinger, die an die Geschwister Scholl erinnerten, © Flugblatttext: Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, DaA A 1331; Schriftbild Erika2248 5 oder 6, keine Archivkopie

Abbildung 267: Schablonenvorlage mit Flugblatttext zu Ehren von Emil Meier und Robert Eisinger, die an die Geschwister Scholl erinnerten, © Flugblatttext: Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, DaA A 1331; Schriftbild Erika2248 5 oder 6, keine Archivkopie

Schablonenvorlage mit Flugblatttext zu Ehren von Emil Meier und Robert Eisinger, die an Hans Scholl erinnerten, abgestempelt vermutlich durch die Geheime Staatspolizei am 22.12.1943, © Flugblatttext: Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, DaA A 1331; Schriftbild Erika2248 5 oder 6, keine Archivkopie

Abbildung 268: Schablonenvorlage mit Flugblatttext zu Ehren von Emil Meier und Robert Eisinger, die an Hans Scholl erinnerten, abgestempelt vermutlich durch die Geheime Staatspolizei am 22.12.1943, © Flugblatttext: Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau, DaA A 1331; Schriftbild Erika2248 5 oder 6, keine Archivkopie

Nähere Umstände zur Flugblatt-Herstellung bleiben wohl auch zukünftig ungeklärt. Aufgrund der vielen und unterschiedlichen Versionen an Flugblättern, dürften nachvollziehbar einige Tausend zusammengekommen sein.

Tausendstempel Copyflex

Abbildung 269: Copyflex Tausendstempel, Vergleichsmodell, Privatbesitz

    Vergleichsexponat: Die Herstellernamen der zur Flugblatt-Herstellung verwendeten Apparate sind derzeit unbekannt und das wird vermutlich auch so bleiben, weil die technischen Unterlagen der KTU nicht auffindbar sind. Ein sehr guter Vergleich ist der Kleinvervielfältiger "Copyflex". Die Funktionsweise des Vorkriegs-Kleinvervielfältigers wurde durch Untersuchung und der beiliegenden Bedienungsanleitung analysiert. Das zugrundeliegende Vervielfälti­gungsverfahren entspricht dem eines Mimeographen, wie er auch vom Widerstandskreis Weisse Rose in München verwendet wurde, jedoch ohne eine Seidengaze.[2250]

Copyflex, Bedienungshinweise, Privatbesitz

Abbildung 270: Copyflex, Bedienungshinweise, Privatbesitz

Der Schreibmaschinenanschlag muss zur Bearbeitung der Schablonenvorlagen in seiner Stärke variiert werden, d. h. Buchstaben mit grosser Fläche wie "M", "W", "O" usw. brauchen einen kräftigeren Anschlag, kleine Buchstaben mit geschlossenem Charakter wie "e", "b", "o" benötigten einen leichteren Anschlag. War der Anschlag zu hart, folgte eine Ausstanzung und an dieser Stelle entstand bei der Vervielfältigung ein Farbklecks. Die Bearbeitung von Schablonen wurde bereits ausführlich in Kapitel "Schablonen zur Flugblatt-Herstellung" auf Seite 235 dargestellt. Die Flugblattgrösse beträgt laut Hersteller DIN A5 oder auch grösser. DIN A5 entspricht in etwa Postkartenformat und wurde von der Bevölkerung gerne als "Spuckzettel" bezeichnet. Die Formatierung der Flugblätter wurde exakt vom Original übernommen, einschliesslich aller Leerzeichenfehler.

Copyflex-Gebrauchsanweisung, Privatbesitz

Abbildung 271: Copyflex-Gebrauchsanweisung, Privatbesitz

    Unabhängig davon, wer der Autor der Flugblatttexte ist, zum Gedenken an Emil Meier und Robert Eisinger sind ihnen die beiden originalgetreu nachempfundenen Schablonenvorlagen zur Flugblatt-Herstellung gewidmet.[2251] Einer originalgetreuen Vervielfältigung steht nach Ablauf der Schutzfristen nichts mehr im Wege. Doch auch hier muss noch lange Zeit gewartet werden, bis das eines Tages jemand für mich übernimmt, wie auch an anderer Stelle. Die Vorarbeit für diesen ehrwürdigen Anlass zu Ehren von Emil Meier und Robert Eisinger ist abgeschlossen.