2.1           Marie-Luise Jahn und Hans Leipelt

Nach dem ersten Prozess gegen den Widerstandskreis Weisse Rose in München, setzt Hans Leipelt mit seiner Lebensgefährtin Marie-Luise Jahn den Widerstand der Weisse Rose in München fort. Hans Leipelt war derjenige, der im Kongresssaal des Deutschen Museums in München am 13. Januar 1943 die Rede des Gauleiters stenographierte.[2023] Im hohen Alter schreibt die Doktorin Marie-Luise Schultze-Jahn 2003 in ihrem Buch: «Am 13. Januar 1943 kam es in München zu einem außergewöhnlichen Studentenprotest. Anlässlich der 470 Jahrfeier der Münchner Universität hielt Gauleiter Giesler im Kongresssaal des Deutschen Museums eine Rede vor der versammelten Studentenschaft, in der er in geschmackloser Weise die Studentinnen dazu aufforderte, dem „Führer“ lieber ein Kind zu schenken als zu studieren[2024] Im Dokumentationsfilm von Katrin Seybold führt die Schwester von Willi Graf, Anneliese Knoop-Graf, fort: «…wenn man zu hässlich wäre, um einen entsprechenden Partner zu finden, er gerne jemanden aus seiner Truppe bereitstellt und ich kann, so fügte er hinzu, ihnen ein schönes Erlebnis versprechen und das war dann die Höhe»[2025] Als Antwort folgte ein lautstarker Protest mit Auspfiffen. Die anwesende Polizei traute sich nicht, Studenten, die meisten waren in Wehrmachtsuniform gekommen, festzunehmen. Die Doktorin berichtet, die heftigen Einwendungen brachten vorallem die Studenten gegen den Gauleiter ein. «Hans der sehr gut stenographieren konnte, besuchte die Veranstaltung und schrieb die gesamte Rede mit allen Zwischenrufen mit. Freudenstrahlend kam er anschließend zu mir und sagte: „Der Protest der Studenten über die unverschämte Rede Gieslers war großartig – endlich lehnen sie sich gegen die Nazis auf!“» An dieser Stelle wird nochmals deutlich, wovon Hans Scholl und Sophie Scholl für ihre Aktion am Donnerstag den 18. Februar 1943 ebenfalls ausgegangen sein dürften. Weiter berichtet Marie-Luise Schulze-Jahn über die damaligen Ereignisse von 1943: «Wir dachten, dass damit Bewegung in die Studentenschaft gekommen sei, dass die Studenten einen Aufstand machen würden. Aber nichts dergleichen geschah.»[2026] Begegneten uns nicht schon ähnliche Gedanken, als Hans Scholl und Sophie Scholl am Donnerstag, den 18. Februar 1943, die Studentenschaft mit einem erneuten Protest wie am 13. Januar 1943 durch Flugblätter und mit Ansage durch einen Postversand erreichen wollten, der während der Festhaltung durch den Hausschlosser unabdingbar gewesen worden wäre und dann ausblieb.

Deutsches Museum, Fernsicht, Postkarte gelaufen 1914, Privatbesitz

Abbildung 251: Deutsches Museum, Fernsicht, Postkarte gelaufen 1914, Privatbesitz

    Eines Morgens kommt Hans Leipelt zu seiner angebeteten "Marie-Luise" und zeigte ein mit der Post zugesendetes Flugblatt. Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht wussten, wer der Absender war und wer den Inhalt schrieb. Nach den ersten Hinrichtungen, die auch in der Presse als Randnotiz in Erscheinung traten, dachten die beiden, das Flugblatt stammte von den Hingerichteten, die sie nie kennengelernt haben. Diese Flugblätter des VI. Flugblatts ihres Professors Kurt Huber wurden in der Nacht des 15. und 16. Februar 1943 und tagsüber am 16. Februar 1943 mit der Post an die Studentenschaft verschickt.[2027] Offensichtlich ganz bewusst ein bis zwei Tage vor der eigentlichen Aktion in der Universität. Hans Leipelt und Marie-Luise Jahn verbreiteten ihre Flugblätter, wie im Vorwort von Jürgen Wittenstein beschrieben wurde, durch Schreibmaschinenvervielfältigung. Beide unterstützten die Witwe des hingerichteten Professors Kurt Huber durch Sammelspenden und verbreiteten das VI. Flugblatt in München. Die beiden wurden denunziert. Wegen Aussichtslosigkeit als Halbjude belastete sich Hans Conrad Leipelt in Absprache mit dem Anwalt seiner geliebten Marie-Luise Jahn und wurde am 29. Januar 1945 hingerichtet.[2028] Der Wunsch von Hans Leipelt, seine Lebensgefährtin möge weiterleben, erfüllte sich.[2029]

Buchhandlung am Jungfernstieg 50, Hamburg, © Agentur des Rauhen Hauses Hamburg GmbH, Gabriele Schneider, Gudrun Wendland, Wolfgang G. Fischer

Abbildung 252: Buchhandlung am Jungfernstieg 50, Hamburg, © Agentur des Rauhen Hauses Hamburg GmbH, Gabriele Schneider, Gudrun Wendland, Wolfgang G. Fischer

    Dank Gabriele Schneider, Gudrun Wendland und Wolfgang G. Fischer kam ich an die Abbildung 252. Sie zeigt die Buchhandlung am Jungfernstieg Hamburg, ein geheimer Treffpunkt der Weisse Rose Hamburg. Auch an anderen Orten sollen Treffen stattgefunden haben. «Die spätere Buchhandlung Tuchel befand sich am Jungfernstieg, der Verlag, Agentur des Rauhen Hauses und die Druckerei waren auf dem Stammgelände in Horn. Die Buchhandlung wurde 1944 an Johannes P. Meyer, dem Vater von Anneliese Tuchel verkauft, der Verlag gehört dem Rauhen Haus noch heute[2030]

IfZArch ED 474 /217 0185 Blatt 103, Erika 6 Nachbildung zu Ehren Marie-Luise Jahn und Hans Leipelt, Inhalt Flugblatt VI Professor Kurt Huber, Privatbesitz

Abbildung 253: IfZArch ED 474 /217 0185 Blatt 103, Erika 6 Nachbildung zu Ehren Marie-Luise Jahn und Hans Leipelt, Inhalt Flugblatt VI Professor Kurt Huber, Privatbesitz

   Der Titel des VI. Flugblattes bekam eine neue Überschrift und bezog sich auf die Hingerichteten des Widerstandskreises Weisse Rose: «Und ihr Geist lebt trotzdem weiter!».[2031] Marie-Luise Jahn promovierte nach dem Krieg. Jahrelang bemühte sich Marie-Luise Jahn um ein würdiges Gedenken für ihren "Hans" auf dem Münchner Friedhof.[2032] Das Weisse Rose Institut e. V. München und die Ludwig-Maximilians-Universität in München reihten Hans Leipelt zum Widerstandskreis Weisse Rose ein.[2033] Aus diesem Grund habe ich im Titelbild Hans Leipelt ebenfalls eingebunden. Hans Leipelt vervielfältigte auch andere hochkarätige Schriften wie die von der Royal Air Force über München abgeworfene Broschüre "Die Andere Seite", in der auch Thomas Mann einen Artikel "Nachruf auf einen Henker" schrieb, Gedichte von Bert Brecht "Der Witwenschleier" und Christian Corty "Auch die Fische warten".»[2034]

    Hans Leipelt verbreitete mit Marie-Luise Jahn seine stenographierte Mitschrift der Rede des Gauleiters vom 13. Januar 1943 mit Schreibmaschine.[2035] Die zur Flugblattstreuung ausgeliehene Schreibmaschine ist nach dem Krieg vermutlich nicht erhalten geblieben. Offensichtlich existieren auch keine Originalabschriften mehr. Mit einer Originalabschrift könnte die Schreibmaschine durch ihre Typen analysiert und mit einer baugleichen Originalmaschine das Flugblatt von Marie-Luise Jahn und Hans Leipelt nachgestellt werden. Auf einen unerwarteten Fundus wird gehofft. Abbildung 253 zeigt kein Original. Zu Ehren von Marie-Luise Jahn und Hans Leipelt soll eine Nachempfindung ihres Flugblatts an ihren Widerstand und an sie beide erinnern. Weil in Deutschland die Erika Schreibmaschine sehr verbreitet war, wurde für den Flugblatttext das Schriftbild einer Erika 6 verwendet.

    Die Doktorin Marie-Luise Schultze-Jahn erwähnte in ihrem Buch, dass sie nach einer geeigneten Überschrift für das Flugblatt aus München suchten. «Wir überlegten uns eine Überschrift, die unsere Solidarität und innere Verbundenheit mit den eigentlichen Verfassern des Flugblattes zum Ausdruck bringen sollte.» Eine war beispielsweise: «Den Körper könnt ihr töten, aber den Geist nicht.» Die Überschrift war zu lang und passte deshalb nicht in eine Zeile und sie suchten nach einer anderen Möglichkeit. Marie-Luise Jahn und Hans Leipelt haben vermutlich die beiden Überschriften in eine Zeile gesetzt und durch ihre etwas kürzere Überschrift passte alles. Die ursprüngliche Überschrift «Den Körper könnt ihr töten, aber den Geist nicht» hätte in Verbindung mit «Kommilitoninnen! Kommilitonen!» nicht in eine Zeile untergebracht werden können. Von den rechnerisch ermittelten 1110 Adressaten, die das VI. Flugblatt vor der Aktion in der Universität vom 18. Februar 1943 bereits erhielten, nahmen sie sich dieses Flugblatt ganz persönlich zu Herzen. Obwohl Marie-Luise Jahn und Hans-Conrad Leipelt dieses Ereignis in der Universität selbst nicht miterlebten, verbreiteten sie dieses Exemplar dennoch eigenverantwortlich.[2036]