V II. Buchenwald-Weimar – Brief 75 Jahre verschollen

1           Władysław Kędzierski

Der polnische KZ-Häftling Władysław Kędzierski schreibt wie viele, die sich in gleicher Situation befinden, genau 12 Tage nach der Hinrichtung von Willi Graf,[1624] am 24. Oktober 1943, einen herzlichen Brief an die Heimat. Auch er kennt den Ausgang seiner Situation nicht, wird er jemals seine Heimat wiedersehen? Millionen deportierter Menschen teilen mit ihm dieses ungewisse Schicksal. Władysław Kędzierski schreibt an seine Geliebte Heli, grüsst die Eltern, seine Geschwister, Freunde und Bekannte und freut sich über den Inhalt des letzten Briefes und eines Paketes. 24. X. 1943.

Liebe Heli!! Danke

Dir sehr für Brief den ich bei voller gesundheit erhalten habe.

Liebe Heli, ich kann von Euch 4 mal in einen Monat empfangen briefe oder karten. Es freut mich sehr das Ihr alle gesund seid, und Euch so ziemlich gut geht. Eine grosse überaschung war für mich wenn ich grose Paket erhalten habe im Tage wo unsere Liebe Mutter sein 50. Namenstag gefeiert hat. Auch für mich war es ein groses fest Trotzdem dass ich bei Euch sie Hause fehlte, war ich mit meinen Gedanken doch bei Euch. Und habe ich ein Brief von Euch Bekomen. Es war bei Euch nur diesen Feielltag auch eine Junge nette Freulein 18 Jahre alt , Heli deine Schefin die sich gut mit Dir in der Arbeit sehr gut vertragen kann. Ja was ist das alles , was soll das heissen? Schade das ich nicht dabei gewesen bin, Ich bin doch auch Jung , frisch und kann mitt jedem gut vertragen. Volleufig einen schömen gruss an Deine Schöfin und danke herzlich für ihre Anfrage nach mir. Mitt diessem Brief muß ich auch jeden verdanken die an mich pakete schickten. Also ich spreche Euch allen allen , un jeden einzelnen Absender , un Teilnehmen den herzlichsten Dank , möge die Zeit komen wo ich auch jedem die Heute an mich denken und mich unterstützen mein persönlichen Dank und uwausche geben. Auch nachricht dass Bedin Urbauzyk u noch viele andere Kameraden die Au den Ostfront gefallen sind hatt tiefen eindruck an mich gemacht. Allen Eltern diesen meinen gefallenen Kameraden spreche den Herzlichsten Beileid. Zum Schluss grüsse ich alle die an mich denken wie Janoss, Annimit Jonbeseky Guzio mit Marylka u. Junka, fam. Gajeky Cinpa, Fam. Polonski , Golusska , u alle, alle Verwandte u Bekante. Für Dich Heli und allesgeliebte Eltern u. alle geschwister übersende ich Die Herzlichsten Grüsse u Küsse euer Euch nie vergessener treuer Sohn u. Bruder

[1625]

Brief von Władysław Kędzierski aus dem Konzentrationslager Buchenwald-Weimar, Vorderseite, © Privatbesitz

Abbildung 223: Brief von Władysław Kędzierski aus dem Konzentrationslager Buchenwald-Weimar, Vorderseite, © Privatbesitz

Brief von Władysław Kędzierski aus dem Konzentrationslager Buchenwald-Weimar, Rückseite, © Privatbesitz

Abbildung 224: Brief von Władysław Kędzierski aus dem Konzentrationslager Buchenwald-Weimar, Rückseite, © Privatbesitz

Abbildung 225: Auszug-Lagerordnung für Post-sendungen, Buchenwald-Weimar, Privatbesitz

Abbildung 225: Auszug-Lagerordnung für Post-sendungen, Buchenwald-Weimar, Privatbesitz

    Post aus Konzentrationslagern ähnelt sich inhaltlich. Sehr selten, dass jemand klagt, vielmehr freuen sich Betroffene über Post, lassen Grüsse und wünsche ausrichten oder bitten um die wichtigsten Güter wie Wäsche oder Seife. Empfänger und Absender geben meist übereinstimmend an, dass Wohlbefinden vorliege. Ihre Gedanken sind geprägt von Zuversicht, Hoffnung und Liebe. Deportierte geben für gewöhnlich keine Auskünfte über die tatsächlich vorliegende Situation, in der sie sich befinden, sie äussern sich nicht darüber, was sie im Konzentrationslager machen, nichts über die dortigen Zustände. Millionen Briefe dieser Art wurden weltweit versendet, manche wurden wegen Kleinigkeiten von der Zensur zurückgehalten und vernichtet und kamen deshalb bei den Empfängern nie an. Besuche durften sie nicht erhalten, so waren Briefe die einzige Möglichkeit mit den Angehörigen, mit den Liebsten, in Kontakt zu bleiben. Irgendwann folgte bei Millionen der letzte Brief. Weitere Lebenszeichen bleiben für immer aus.

    Ich erwarb diesen Brief in der Tschechei bei einer Auktion im Internet. Spontan hatte ich das Bedürfnis, diesen Brief an die damalige Empfängerin oder wenigstens an den Absender bzw. ein die Familie zu übersenden. Am 5. April 2017 teilte mir dankend und sehr erfreulich der Bereich Referat Suchdienst und Schicksalsklärung beim International Tracing Service (ITS) mit: «Die hier vorliegenden Dokumente bestätigen die Inhaftierung des Genannten; nach unseren Erkenntnissen hat er Krieg und Haft überlebt.» Dem folgt eine unglaubliche Geschichte. Der International Tracing Service konnte in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz in Polen den Sohn von Władysław Kędzierski ausfindig machen. Diese erfreuliche Nachricht erhielt ich mit dem Aktenvermerk T/D - 213 307 am 23. Februar 2018. Am 13. Juni 2018 versendete ich mit grosser Freude den Brief an seinen Sohn Adam Kędzierski. Władysław Kędzierski verstarb 1988 in Polen. Wie der Brief von Władysław Kędzierski in die Tschechei geriet, kann wohl nicht mehr geklärt werden. Leider werden Briefe, sogar Tagebücher und Zeichnungen aus Konzentrations- und Vernichtungslagern und anderweitige Gegenstände oft zu hohen Preisen regelrecht verhökert. Hier müssen Vertriebsportale eingreifen, vor allem der deutsche Staat ist zum Handeln aufgefordert. Verkäuferinnen und Verkäufer scheren sich nicht um das Schicksal, um den Verbleib der Absender, sondern denken nur an den Profit. Was sind das nur für Leute. Es gleicht einer Grabschändung, der Leugnung des Holocausts.

    Władysław Kędzierski hat die Häftlingsnummer 7136 und war im Konzentrationslager Buchenwald-Weimar in Block 12 zwangsuntergebracht. Einem Zeitzeugenbericht zu Folge waren in Block 12 sowjetische Kriegsgefangene zur Strafverschärfung oder Personen wegen staatsfeindlicher Tätigkeit und Personen mit sowjetfreundlicher Einstellung untergebracht.[1626] Der Zeitzeuge ist kein anderer als Klaus Trostorff, der ebenfalls in Block 12 untergebracht war. Weiter berichtet er: «Am 1. April 1945 waren noch 50000 Häftlinge in Buchenwald. Anfang April wurden rund 3000 "weggeschafft", auch die sowjetischen Kriegsgefangenen. Von den verbliebenen 21000 haben vermutlich 19000 die Selbstbefreiung nicht gesehen.» Luftaufnahmen zeigen, Block 12 war vom eigentlichen Konzentrationslager abgetrennt.