3            Produktion – Flugblatt VI

Flugblattauflage 12. Februar 1943 mit 3000 einseitigen Exemplaren, davon rechnerische 1110 Briefe für den Postversand. Beteiligt sind Hans Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf mit Unterbrechung für zwei Urlaubstage[1409] vom 13. Februar und 14. Februar 1943 und Sophie Scholl ab dem 14. Februar 1943.[1410] Eine Adressenliste lag vor und musste nicht handschriftlich erstellt werden. Die Adressen wurden einem vorigen Studentenverzeichnis Wintersemester 1941/1942[1411] entnommen. Das Studentenverzeichnis bekam Hans Scholl von ihrem Professor Kurt Huber.[1412]

   Der Vernehmungsbeamte Robert Mohr notiert die Angaben von Sophie Scholl: «In München haben wir neuerdings etwa 1200 Flugblätter mit der Überschrift "Kommilitoninnen! Kommilitonen!" in der Zeit vom 6.-15.2. vervielfältigt, die Briefumschläge beziehungsweise Wurfsendungen mit Anschriften versehen und versandfertig gemacht.»[1413] Diese Briefsendungen ergingen an die Studentenschaft des Widerstandskreises. In der Ludwig-Maximilians-Universität wurden immer mal wieder Flugblätter insbesondere in Kleidungsstücken wie Mänteln und unter den Bänken aufgefunden.[1414] In München streut jemand heimlich Flugblätter. Innerhalb des Widerstandskreises bliebt dies offensichtlich bisher unbemerkt. Sophie Scholl gestand bei ihrer Vernehmung, dass sie zwischen dem 30. Januar 1943 und 5. Februar 1943 mitten am helllichten Tag 4- bis 6-mal vereinzelt Flugblätter in Telefonkabinen, parkenden Autos etc. ablegte.[1415] Am gleichen Tag, 30. Januar 1943, feiert Willi Graf den Geburtstag seiner Schwester Anneliese Graf.[1416] Weil mindestens eine Woche Zwangsruhepause gilt, kann sich jeder anderweitig beschäftigen. Sophie Scholl schreibt tagsüber einen Brief an die Mutter. Währenddessen sind Hans Scholl und Elisabeth Scholl im Deutschen Museum.[1417]

   Am 30. Januar 1943 ergehen weitere tragische Todesurteile an die Stenotypistin Kläre Schabbel und Abteilungsleiterin Else Imme.[1418] Auch diese edlen Menschen gehen der Welt verloren, doch sollen sie alle der Nachwelt unvergessen erhalten bleiben.

   Ein seltener Besuch steht in der Franz-Joseph-Strasse 13b an. Am Monatsende, zum 31. Januar 1943, kommt Christoph Probst gegen 20 Uhr in München[1419] an und sieht seinen früheren Schulkameraden und langjährigen Freund Alexander Schmorell angeblich nur kurz, wie Alexander Schmorell in seiner Vernehmung angibt.[1420] Willi Graf kommt später hinzu und freut sich ebenfalls, Christoph Probst anzutreffen.[1421] Laut Willi Graf ist auch Sophie Scholl anwesend. So ist sie nicht ganz alleine, denn Willi Graf bringt seine Schwester Anneliese Graf mit.[1422] Allerdings bestand zwischen Sophie Scholl und Christoph Probst eine sehr herzliche Freundschaft. Das geht aus einem Brief hervor, den Sophie Scholl von ihm erhielt.[1423] Christoph Probst übergibt an diesem Tag einen Flugblattentwurf zur Vervielfältigung an Hans Scholl.[1424] Dieser Entwurf könnte das VI. Flugblatt werden. Bis zum heutigen Tag steht dieser letzte Wille von Christoph Probst unerfüllt aus.[1425] An diesem Abend besucht Alexander Schmorell noch ein Konzert.[1426] Ob er in Begleitung ist?

   Monatsanfang, der 1. Februar 1943, Christoph Probst verlässt um 4 Uhr die Wohnung der Geschwister Scholl und fährt in aller Frühe um 4:30 Uhr nach Innsbruck zurück.[1427] Willi Graf ist mit Privatleben ausgefüllt.[1428] Vermutlich befinden sich an diesem Tag Sophie Scholl, Elisabeth Scholl und vielleicht auch Hans Scholl auf dem Dürnhof.[1429] Hans Scholl teilt über eine Postkarte an Werner Scholl, der sich in Russland im Fronteinsatz befindet, mit, sie hätten voneinander lange nichts gehört und er sei «in einem gewissen Sinne sehr beschäftigt.»[1430] Wenn Werner Scholl über die Aktivitäten im Widerstand tatsächlich informiert gewesen sein soll, wird er sich jetzt aufgrund der Formulierung seines Bruders einen grinsen… Vielleicht wurde die Karte vom Dürnhof versendet. Den nächsten Brief schreibt Hans Scholl von München aus an Johannes Kneer.[1431]

   Der 2. Februar 1943 könnte mit viel Elan beginnen. Willi Graf: «Der Morgen wiederum beginnend mit der Aktion, die ohne Erfolg bleibt.» Eindeutig ist der anvertraute Tagebucheintrag von Willi Graf nicht.[1432] Aktuell konnte in der Franz-Joseph-Strasse keine auffällige Aktion unternommen werden, denn der Besuch aus Ulm weilt noch. Möglich, dass der Widerstandskreis etwas in Planung hatte, vielleicht sollten die beiden Schwestern einen Ausflug machen und weil der verregnet gewesen sein könnte, fiel der buchstäblich ins Wasser? Sollte möglicherweise jetzt der Flugblattentwurf von "Christel" auf die Drucktrommel? Was der Widerstandskreis bespricht, scheint vollkommen unbekannt zu sein. Also musste bis zum 5. Februar 1943 weiter mit Warten verharrt werden. Hier zeigt sich, eine Verlagerung der Produktionsstätte ins Atelier wurde offensichtlich nicht vorgenommen,[1433] ebenso nicht bei Alexander Schmorell oder bei Willi Graf. Sophie Scholl gab bei ihrer Vernehmung an, dass ihr Zimmer in der Mandlstrasse 1/I zu klein war.[1434] Möglich, dass bei Alexander Schmorell keine ungestörte Grossauflage geplant werden konnte. Bei Familie Schmorell wäre die Aktion zu Hochbetrieb gekommen, dauernd kommen und gehen junge Leute. Alles andere als unauffällig, wenn sie auch durchweg alle sehr sympathisch erscheinen, schliesslich kommen alle aus "guten" Elternhäusern. So musste die Produktion ein paar Tage angehalten werden.

   Sophie Scholl in einem Brief vom 2. Februar 1943 aus München an Lisa Remppis: «Ich befinde mich in einem Zustand der Zerstreutheit, den ich selbst ganz schlecht an mir kenne… Ich bin oft geneigt, es auf Kopfschmerzen zu schieben, doch das ist natürlich niemals der Grund».[1435]

   Willi Graf lebt am 3. Februar 1943 privates und liest gegen Tagesende ein Buch.[1436] Hans Scholl und Alexander Schmorell treffen sich, um in der Nacht provokante Wandparolen anzubringen.[1437] Noch vor dem 4. Februar 1943 teilt Sophie Scholl ihrem Bruder mit, «man solle an der Universität und deren Umgebung Farbaufschriften anbringen, welche Aufschriften zeigen sollten, dass noch Kräfte vorhanden seien.»[1438] Hans Scholl wollte erst abwarten wie sich die Resonanz auf ihren Widerstand entwickelt. Doch kurz darauf sah Sophie Scholl ihre Idee in die Tat umgesetzt. Später beschreibt Hans Scholl die Situation bei der Geheimen Staatspolizei: «Von der ersten Anstreichaktion hatte meine Schwester vorher keine Kenntnis. Ich habe ihr nachher davon erzählt. Sie erbot sich, bei den nächsten Aktionen dieser Art mitzumachen. Ich habe das aber abgelehnt. Sie hat allerdings bei der 2. und 3. Anstreichaktion schon vorher jeweils gewusst, was Schmorell und ich vorhatten.»[1439] Alexander Schmorell beschafft für die Aktion schwarze Farbe und wird von seinem Vater Hugo Schmorell darauf angesprochen. Sein Sohn gibt ihm zur Antwort, er brauche die Farbe für einen neuen Anstrich seines Ofens.[1440] Und: «In der Nähe vom Hofbräuhaus kaufte ich in einem Fachgeschäft (glaublich Finster und Meissner) eine Dose Teerfarbe. Die grüne Farbe entnahmen wir dem Atelier des Eickemeyer, der von der ganzen Geschichte nichts weiss. Auch die Pinsel konnten wir diesem Atelier entnehmen.»[1441] Bei Hans Scholl findet sich die Bestätigung aus seiner Vernehmung: «Ich möchte ausdrücklich erklären, dass meine Schwester auch die Schablone, die Farben und die Pinsel nicht gesehen hat, da Schmorell diese Sachen verpackt mitgebracht hat.»[1442] Bevor Hans Scholl mit seinem Freund Alexander Schmorell loslegt,[1443] begleitet er seine beiden Schwestern in den Bayerischen Hof in ein Konzert.[1444] Manche nennen diesen Tag auch Stalingrad, weil tagsüber Radiosender über den Verlust des Ostkrieges berichteten. Natürlich wurde die Situation nicht in dieser Deutlichkeit eingestanden, doch wer über den Tellerrand hinausdachte, dem dürfte klar gewesen sein, was wirklich passiert ist und welche Auswirkungen das haben könnte. So schreibt Willi Graf im Tagebuch «In Deutschland wird bekannt, daß Stalingrad von den Russen genommen sei. Eine Nachricht von großer Bedeutung. Das empfinden wohl alle.»[1445] Nach dem Bayrischen Hof gehen sie noch in den Englischen Garten.[1446] Weitere Todesurteile ergehen gegen die Rote Kapelle am 3. Februar 1943 an die wissenschaftliche Assistentin Eva Buch und an den Schriftsteller Adam Kuckhoff.[1447] Auch sie bleiben sich selbst überlassen. In München kommen die Todesurteile und deren Vollzug nicht zum Vorschein. Während die einen akribisch und überzeugt am Widerstand planen und festhalten, verlieren andere bereits ihr Leben daran.

   Am frühen Morgen zum 4. Februar 1943 haben Hans Scholl und Alexander Schmorell zwischen 0:30 Uhr und 3:30 Uhr «…an 29 verschiedenen Stellen in München, meist aber an öffentlichen Gebäuden mittels Schablone "Nieder mit Hitler" (Daneben ein durchgestrichenes Hakenkreuz) angeschmiert.»[1448], [1449], [1450] Danach gehen beide in die Franz-Joseph-Strasse zur Nachtruhe, als ob das Ganze mit ihnen überhaupt nichts zu tun hätte. Bevor alle schlafen, wurde noch eine Flasche Wein beim Hausschlosser beschafft, denn Hans Scholl hatte noch 50 RM in der Tasche.[1451] Sophie Scholl, wenn sie auch noch so gerne würde,[1452] darf vermutlich ihren Bruder immer noch nicht begleiten, wie lange kann der geliebte Bruder dies noch abwenden? Eine Frage der Zeit, bis sich Sophie Scholl bei einer externen Aktion durchsetzen würde?

Englischer Garten in München, Postkarte gelaufen 8.7.1942, Privatbesitz

Abbildung 211: Englischer Garten in München, Postkarte gelaufen 8.7.1942, Privatbesitz

Sophie Scholl besucht um 10 Uhr vielleicht zusammen mit Gisela Schertling eine Vorlesung bei ihrem Professor Kurt Huber und sieht an der rechten Seite des Einganges zur Universität zweimal in grosser Schrift das Wort "Freiheit".[1453] Auch Willi Graf besucht eine Vorlesung, ob er die gleiche besucht ist unbekannt.[1454] Hans Scholl in Begleitung mit Professor Wilhelm Geyer, der mit den Geschwistern fast täglich in ihrer Wohnung die gemeinsamen Mahlzeiten einnimmt. Er möchte sich das mal anhören, denn wie Professor Wilhelm Geyer in den 60er Jahren in einer Dokumentation berichtete, schwärmte «Hans» regelrecht von seinem Professor Kurt Huber. Auch Wilhelm Geyer sah die Anschriften an der Universität.[1455] Zu diesem Zeitpunkt dürfte Professor Wilhelm Geyer nicht gewusst haben, wer ihre Urheber sind. Mit einem von ihnen betritt er gerade die Universität. Die Schriften werden von Zwangsarbeiterinnen aufwendig abgeschrubbt.[1456] Zum Mittagessen gehen sie ins Bodega,[1457] um sich zu stärken, denn um etwa 16 Uhr hält Theodor Haecker im Atelier eine Lesung[1458] und diese dauert nach Aussage von Josef Söhngen ganze drei[1459] Stunden.[1460]

München Maffeistrasse 4, italienische Gaststätte Bodega, von Universität über Ludwig- und Theatinerstrasse 1,4 km, Postkarte gelaufen 17.7.1938, Privatbesitz

Abbildung 212: München Maffeistrasse 4, italienische Gaststätte Bodega, von Universität über Ludwig- und Theatinerstrasse 1,4 km, Postkarte gelaufen 17.7.1938, Privatbesitz

Die Historikerin Barbara Ellermeier führt eine Menge interessanter Leute an, die zu dieser Vorlesung kamen. Etwa 25 Personen kommen an diesem Nachmittag zusammen.[1461] Abbildung 212 zeigt eine Innenansicht der italienischen Gaststätte Bodega. Ein Stammtisch, der auf "Weisse Rose" reserviert wurde, ist ganz bestimmt auszuschliessen. Ob der Freundeskreis einen bestimmten Tisch bevorzugte? Vermutlich sahen sich im Atelier Anneliese Graf und Gisela Schertling.[1462] Willi Graf hält die Lesung in seinem Tagebuch fest: «Häcker liest den ersten Teil aus seinem "Schöpfer und Schöpfung.". Über zwei Stunden spricht er, ich habe manches Besondere verstanden und gehört.»[1463]

Hans Scholl im September 1940 in der Oper zu Paris, Oper Carmen hatte ebenfalls eine Aufführungsdauer von 3 Stunden, Privatbesitz

Abbildung 213: Hans Scholl im September 1940 in der Oper zu Paris, Oper Carmen hatte ebenfalls eine Aufführungsdauer von 3 Stunden, Privatbesitz

Willi Graf bricht um 5 Uhr des 5. Februar 1943 auf, um nach Pfronten zu verreisen. Auch wenn er um wenige Minuten den Zug verpasst, verlässt Willi Graf München in einigen Stunden im zweiten Anlauf. Er wird erst wieder am 8. Februar 1943 in München eintreffen.[1464]

   Sophie Scholl fährt am 5. Februar 1943 mit ihrer Schwester Elisabeth Scholl zu den Eltern nach Ulm und wird erst wieder am 14. Februar 1943 in München zurückerwartet. Da die Mutter erkrankt war, bot sich eine Erholung nur bedingt an.[1465]

   Am 6. Februar 1943 und 7. Februar 1943 verweilt Willi Graf in Pfronten, geniesst den Schnee und angeregte Gespräche. Am 5. oder 6. Februar 1943 kommt am Spätnachmittag Josef Furtmeier bei Hans Scholl zu Besuch.[1466] Ab dem 6. Februar 1943 bis 13. Februar quartiert sich Gisela Schertling bei Hans Scholl ein.[1467]

   Aus Ulm schreibt Sophie Scholl am 7. Februar 1943 einen Brief an Fritz Hartnagel.[1468] Gisela Schertling berichtete gegenüber der Geheimen Staatspolizei, sie sei mit Hans Scholl Anfang Februar 1943 bei Carl Muth gewesen. Carl Muth habe nur wenig Zeit gehabt, sie hätten Grammophonplatten geholt.

   Am 8. Februar 1943 ist Willi Graf um 10:22[1469] Uhr wieder in München. An diesem Tag treffen sich Alexander Schmorell und Falk Harnack. Alexander Schmorell kann Hans Scholl telefonisch nicht erreichen, sie begeben sich zur konspirativen Wohnung der Geschwister Scholl. Dies wäre insoweit kein Problem, Alexander Schmorell ist im Besitz eines Schlüssels der Geschwister Scholl Wohnung.[1470] Diesmal muss Alexander Schmorell die Rolle des Fräuleins übernehmen und bewirtet ihren Gast schon mal mit einem heissen Tee. Hans Scholl und Gisela Schertling kommen gegen 15 Uhr hinzu.[1471] Gisela Schertling berichtete gegenüber der Geheimen Staatspolizei, sie habe den Eindruck gehabt, dass Hans Scholl und Falk Harnack sich bereits kannten und ein weiteres Gespräch mit Falk Harnack und Professor Kurt Huber folgen würde.[1472] Zwischen Hans Scholl, Alexander Schmorell und Falk Harnack findet ein Gespräch statt. Gisela Schertling wird Falk Harnack von Hans Scholl oder durch Alexander Schmorell vorgestellt.[1473] Falk Harnack bekommt das V. Flugblatt gezeigt und befindet den Inhalt für gut. Im Anschluss folgt ein politischer Austausch. Willi Graff[1474], [1475] kommt gegen 16 oder 17 Uhr zufällig bei Hans Scholl vorbei und bekommt nur noch das Ende des Treffens mit. Nach insgesamt 2 Stunden Unterhaltung holt Lieselotte Berndl[1476] ihren Verehrer Falk Harnack ab. Falk Harnack hatte wenig Zeit, er wollte noch ins Theater.[1477] Lieselotte Berndl organisierte auf Wunsch von Alexander Schmorell das Treffen mit Falk Harnack. Am 11. Februar 1943 soll ein weiteres Gespräch stattfinden. Treffpunkt soll um 11 Uhr[1476] vor der Universität sein. Am Abend bringen Hans Scholl und Willi Graf ab 23 Uhr Wandparolen in München an.[1478], [1479] noch am Abend des 8. Februar 1943 schreibt Professor Kurt Huber einen Flugblattentwurf, der tagsüber zum 9. Februar 1943 fertig geworden sein soll.[1480] Um 1 Uhr zur ersten Morgenstunde gehen die beiden Studenten heimwärts. Ihre Hände sind mit Farbe verschmiert. Als die Freunde heimkommen, werden sie von Gisela Schertling in flagranti ertappt. Gisela Schertling wird sich ihren Teil gedacht haben als sie Hans Scholl und dessen Freund Willi Graf wie zwei "Ferkel" vorfindet.[1481] Ob jemand sich eine Szene anhören musste, ist bestimmt nicht bekannt. Aus den Gerichtsakten geht darüber jedenfalls nichts hervor.

   An jenem Tag, dem 9. Februar 1943, hat Gisela Schertling ihren 21. Geburtstag und Hans Scholl versucht diesen Tag irgendwie einzurichten.[1482] Hat er wenigstens an rote Rosen gedacht oder gar an "weisse Rosen", vielleicht noch Frühstück ans Bett? So gilt baldmöglichst noch etwas gutzumachen, denn er kann am Geburtstag ein Versprechen nicht einlösen, weil er derzeit mit weiteren Widerstandsvorhaben und Gesprächen und Nachtaktivitäten ausgelastet ist. Alexander Schmorell und Falk Harnack begegnen sich zufällig an diesem oder am nächsten Tag zu einem Austausch auf offener Strasse in München.[1483] Gisela Schertling berichtete Ähnliches. Nach Vorlesungsende von Professor Kurt Huber sah sie Hans Scholl, Alexander Schmorell und Falk Harnack vor der Universität. Falk Harnack verabschiedete sich gleich von allen, Hans Scholl und Gisela Schertling gingen alleine zum Essen in die Stadt, während Alexander Schmorell ein Lokal aufsuchte, um sich mit einem russischen Fräulein zu treffen.[1484]

   Willi Graf verbringt am 10. Februar 1943 sein Leben zurückgezogen und sucht weiterhin nach Unterstützern, er wirkt nachdenklich.[1485] Sophie Scholl schreibt von Ulm aus an Werner Scholl[1486] einen Brief mit einem schönen Vers, der ihr ausgesprochen gut gefällt, auch ergeht noch am gleichen Tag ein Brief an ihre Liebe, Fritz Hartnagel.[1487], [1488], [1489] Hans Scholl telefoniert mit Carl Muth, seine Schwester Inge Scholl und Otto Aicher sind in Solln bei ihm zu Besuch.[1490]

   An diesem scheinbar ruhigen 10. Februar 1943 werden Todesurteile an Fräser Stanislaus Wesolek und Ehefrau Frieda Wesolek, ebenso gegen Rentner Emil Hübner verhängt.[1491] Journalist und Oberst der Luftwaffe, Erwin Gehrts, wird an diesem Tag ebenfalls hingerichtet.[1491] In München dringen solche tragischen Todesnachrichten offenbar nicht durch. Während die einen für ihr Sinnen zu Tode kommen, machen die anderen gegen das Ansinnen weiter. einer ahnt, dass dreien in 12 Tagen gleiches widerfahren würde.

   Hans Scholl informiert am 11. Februar 1943 während einer Vorlesung Willi Graf, dass heute ein weiteres Treffen geplant sei und er solle hinzukommen. Auch Gisela Schertling erfährt während der Vorlesung durch Hans Scholl von dieser Besprechung.[1492] Um 11 Uhr treffen sich Hans Scholl,[1493] Alexander Schmorell[1494] und Falk Harnack vor der Universität. Willi Graf[1495], [1496] kommt ebenfalls hinzu. Nach dem Mittagessenn[1497] treffen sich alle um 12 Uhr in der Geschwister Scholl Wohnung. Professor Kurt Huber trifft eine ¼ Stunde später in der Wohnung ein. Gisela Schertling erklärt später, dass der Gesprächsinhalt mit Professor Kurt Huber und Falk Harnack politisch ausgerichtet war. Sie hielt sich im Hintergrund auf, während sich die Teilnehmer im Zimmer von Sophie Scholl austauschten.[1498] Willi Graf verlässt die Runde nach einer Stunde. Gegen 13 oder 14 Uhr ist die Besprechung zu Ende.[1499], [1500] Auch Falk Harnack verlässt die Wohnung der Geschwister Scholl. Die anderen besprechen einen mitgebrachten Flugblattentwurf des Professors. Dieser soll als VI. Flugblatt in Umlauf gebracht werden. Der Entwurf wird unterschiedlich wahrgenommen und erörtert, dem folgt eine Diskussion. Die Anwesenden korrigieren den Entwurf, den Hans Scholl vom Professor übergeben bekommt.[1480] Hans Scholl erhält auch ein Adressenverzeichnis von seinem Professor. Möglicherweise begann noch an diesem Abend die Planung zur Produktion, vielleicht wurde schon am Abend mit der Adressierung begonnen. Willi Graf notiert im Tagebuch, «bei Hans zu einem recht interessanten Gespräch. Am Nachmittag gehe ich wieder hinüber.»[1501] Offen bleibt, was an diesem Tag noch geschieht, ansonsten wüste "es" jeder……

   Am 12. Februar 1943 sturmfreie Bude, endlich kann ungestört die Flugblatt-Herstellung weiter betrieben werden.[1502] Erst der Besuch, dann Gespräche, dazwischen Geburtstag. Hans Scholl, Alexander Schmorell und Willi Graf beginnen ohne Sophie Scholl mit der Fertigung des VI. Flugblatts von ihrem Professor Kurt Huber. Die Geheime Staatspolizei vernimmt im Kontext die Aussage von Alexander Schmorell: «Mit der Vervielfältigung dieser Flugblätter haben wir einige Tage vor dem 16.2.43 schon im Laufe des Nachmittags begonnen. Mit dieser Arbeit wurden wir gegen Abend fertig. Solange ich bei der Vervielfältigung dabei war, waren ausser mir im Zimmer des Scholl Willi Graf und Scholl selbst zugegen. Ob dabei auch Sofie Scholl mitgeholfen hat, kann ich nicht sagen, weil ich gegen Abend weggegangen bin. Um diese Zeit haben Hans Scholl und Willi Graf noch gearbeitet»[1503] Unabhängig davon, dass Alexander Schmorell Sophie Scholl immer wieder in seiner Vernehmung in Schutz nimmt, Alexander Schmorell konnte Sophie Scholl nicht sehen, weil sie sich noch in Ulm befand.[1504] Als Willi Graf an diesem 12. Februar 1943 gegen 16 Uhr zu Hans Scholl in die Franz-Joseph-Strasse kommt, ist Alexander Schmorell bereits anwesend. Gisela Schertling berichtet, dass der Universitätsstudent, ein Herr Jaeger[1505] aus Freiburg während Willi Graf anwesend war zu Besuch gekommen sei.[1506] Willi Graf schildert, dass etwas nicht klappte. Nachdem eine neue Schablone geschrieben ist, beginnt die Vervielfältigung.[1507], [1508] Tatsächlich trat an diesem Mittag bei der Vervielfältigung ein technisches Problem auf, das Hans Scholl und Alexander Schmorell erfolgreich beheben. Nach 50 Vervielfältigungen muss deshalb eine neue Schablone geschrieben werden.[1509] Bei dieser Flugblatt-Herstellung soll nach 200 Flugblattseiten ungewöhnlich früh auch noch zu allem Überdruss die Schablone gerissen sein, die angeblich ebenfalls neu geschrieben werden musste.[1510], [1511] Einmal ungestüm mit dem Ellenbogen die Schablone berührt und schon ist diese beschädigt.[1512] Laut Sophie Scholl muss bei dieser Flugblatt-Herstellung auch noch nach etwas mehr als der Hälfte der vervielfältigen Flugblätter die Schablone gerissen sein. Trotz Schablonenabriss, der nach 1500 Flugblattseiten aufgetreten sein dürfte, konnte einiges abgearbeitet werden.[1513]