- Zeitaufwendungen Produktion – Flugblatt V Charge-1
Am 20. Januar 1943 stehen für die Produktion 4 Personen für ungefähr 3 Stunden zur Verfügung. Zwei Personen erledigen den Postversand und zwei Personen vervielfältigen und bearbeiten Schablonen. Aufgrund der 14-tägigen Vorarbeit, sind die letzten Tätigkeiten dieser Flugblatt Charge-1 unproblematisch zu erledigen, allerdings ganz und gar nicht im Schneckentempo.
Mit den Parametern der Tabelle 45 auf Seite 389 wurden in Tabelle 44 auf Seite 388[1272] alle Arbeitsstunden für die einzelnen Arbeitsanforderungen der Produktion berechnet und in Tabelle 46 für das Flugblatt V Charge-1 übersichtlich dargestellt.
Tätigkeiten | Arbeitsstunden |
Mechanische Adressierung | 34,9 |
Schablonenbearbeitung, 2 Stück | 0,7 |
Schablonenabrisse, 3 Stück | 1,1 |
Vervielfältigung | 13,4 |
Farbauftrag | 0,3 |
Papierfüllung | 0,2 |
Kuvertieren | 16,9 |
Frankieren | 3,4 |
∑ | 70,84 |
Tabelle 46: Arbeitsstunden aller Tätigkeiten aus Tabelle 44 Seite 388 entnommen, Arbeitsstunden wenn nur eine Person tätig wäre, Vervielfältigungszyklus beträgt 6 Sekunden pro Flugblattseite, Flugblatt V Charge-1, Auflage 4000 Flugblätter (8000 Flugblattseiten)
Das rechnerische Ergebnis aus Tabelle 44 auf Seite 388 von 132,93 Arbeitsstunden würde zustande kommen, wenn eine Person alle Aufgabenbereiche aller drei Produktionstermine für Flugblatt V Charge-1, Charge-2 und Flugblatt VI alleine erledigen würde. Dazu gehört die Bearbeitung von Schablonen, Farbauftrag und Papierauffüllung zur Vervielfältigung, handschriftliche Adressnotizen, maschinelles Adressieren, Kuvertieren und Frankieren. Durch den Mehrpersonenbetrieb reduzieren sich die zeitlichen Arbeitsanforderungen für das V. Flugblatt Charge-1 der Tabelle 47 auf Seite 412 von 70,84 Stunden auf 31,61 Arbeitsstunden. Diese errechneten 31,61 Arbeitsstunden ergeben sich in Abhängigkeit der anwesenden Personen und gleichmässiger Verteilung der Aufgabengebiete. Dabei wurden Urlaubstage, Reisen und Veranstaltungen im Atelier berücksichtigt und diese Tage, wie bereits dargelegt, freigehalten. Die Bearbeitung von Schablonen können nur von einer Person, alle anderen Tätigkeiten wie Adressierung, Kuvertierung und Frankierung parallel von 2 oder weiteren Personen erledigt werden. Aufgrund einer Analyse, speziell zu dieser Flugblatt-Herstellung, die Tage 20./21./22. Februar 1943 betreffend, wird davon ausgegangen, dass der Rotationsvervielfältiger ROTO-PREZIOSA mit 2 Personen bedient wurde. Auf diese Weise konnten 8000 Flugblattseiten mit einem wesentlich geringeren Zeitaufwand vervielfältigt werden.[1273] Hinzukommen an Arbeitsstunden, die zuvor geleisteten handschriftlichen Adressnotizen von 26,7 Arbeitsstunden. Diese erfolgte vermutlich bis zum Jahresende 1942 mit bis zu 3 Personen (P1, P2, P3) als Vorarbeit für die maschinelle Adressierung mit zwei Schreibmaschinen. Wie bereits erwähnt, vielleicht halfen bei der handschriftlichen Adressierung weitere unbekannte Personen mit. Nichts geht aus den Vernehmungsniederschriften hervor, an welchen Tagen die anfallenden handschriftlichen Adressnotizen im Vorfeld niedergeschrieben wurden. Mehrere Arbeitssitzungen dürften zustande gekommen sein. Auch ist generell zur Arbeitsteilung wenig bekannt. Dann folgt ab etwa dem 5. Januar 1943 die eigentliche Produktion mit maschineller Adressierung des Postversands (3200) und anschliessender Vervielfältigung der Flugblätter (4000 = 8000 Flugblattseiten) und Kuvertierung (3200), der eine Frankierung (3100) ab dem 22. Januar 1943 folgt. Die Frankierung muss für die Produktionsabwicklung zwecks Arbeitszeitberechnung um −100 Frankierungen korrigiert werden, weil Sophie Scholl in Augsburg erst noch 100 fehlende Briefmarken kaufte.[1274]
Mithilfe historischer Details soll mit Tabelle 47 die damalige Flugblattproduktion vom Januar 1943 für Flugblatt V Charge-1 nachgestellt werden. Eine optimale Arbeitsverteilung muss, in Abhängigkeit anhand der damaligen bekannten Ereignisse und zur Produktion anwesenden Personen, gesucht werden. Zunächst wurden ab dem 5. bis 19. Januar 1943 an 9 Arbeitstagen mit 2 Personen (P1, P2, P3 oder P4), vermutlich mit wechselnder Besetzung, die Briefsendungen mit täglich 2 * 1,6 = 3,2 [1275] Arbeitsstunden bearbeitet. Ab dem 20. bis zum 25. Januar 1943, ein Zeitraum von 6 Arbeitstagen, hatte der Widerstandskreis noch Zeit für die restliche Abwicklung der Flugblatt-Herstellung und für die Erledigung des Postversands.
Am 20. Januar 1943 standen für die Produktion für 2,7 Arbeitsstunden 4 Personen zur Verfügung. Zuerst muss eine Person (P1) eine Schablone mit 0,34 Arbeitsstunden bearbeiten. 2 Personen (P1, P2) können anschliessend in 2 Arbeitsstunden 2353 Flugblattseiten vervielfältigen, P1 kümmert sich um Farbauftrag und um die Papierauffüllung, ca. 0,1 Stunden. Während der Bearbeitung der Schablone kann mit der Remington Portable 2 nicht adressiert werden. P3 adressiert 2,7 Stunden und P4, wegen der Schablonenbearbeitung und weil Sophie Scholl einen Brief an Werner Scholl schreibt, nur 2 Arbeitsstunden. P3 und P4 können zusammen 431 Briefe adressieren. Bis zum Atelierabend konnte der studentische Widerstandskreis in dieser Zeit mit 4 Personen ein Arbeitsvolumen von ungefähr 9,1 Arbeitsstunden in 2,7 Stunden abwickeln.
Datum 1943 | FS [h] | FS [h] | ∑ FS | S [h] | ADR [h] | ADR [h] | ∑ ADR | KUV [h] | KUV [h] | KUV [h] | ∑ KUV | FRA [h] | ∑ FRA | Summe [h] | AV [h] |
P1 | P2 | ||||||||||||||
5.1. | 1,6 | 1,6 | 291 | 3,2 | 1,6 | ||||||||||
6.1. | 1,6 | 1,6 | 291 | 3,2 | 1,6 | ||||||||||
7.1. | 1,6 | 1,6 | 291 | 3,2 | 1,6 | ||||||||||
10.1. | 1,6 | 1,6 | 291 | 3,2 | 1,6 | ||||||||||
12.1. | 1,6 | 1,6 | 291 | 3,2 | 1,6 | ||||||||||
14.1. | 1,6 | 1,6 | 291 | 3,2 | 1,6 | ||||||||||
15.1. | 1,6 | 1,6 | 291 | 3,2 | 1,6 | ||||||||||
18.1. | 1,6 | 1,6 | 291 | 3,2 | 1,6 | ||||||||||
19.1. | 1,6 | 1,6 | 291 | 3,2 | 1,6 | ||||||||||
P1 | P2 | P1 | P3 | P4 | |||||||||||
20.1. | 2,1 | 2,0 | 2352,9 | 0,3 | 2,7 | 2,0 | 431 | 9,1 | 2,7 | ||||||
P1 | P2 | P1 | P3 | P3 | |||||||||||
21.1. | 2,9 | 2,8 | 3294,1 | 1,1 | 1,6 | 147 | 1,2 | 228 | 9,6 | 4,0 | |||||
P1 | P2 | P1 | P3 | ||||||||||||
22.1. | 2,1 | 2,0 | 2352,9 | 0,4 | 2,8 | 531 | 7,2 | 2,8 | |||||||
P1 | P2 | P3 | |||||||||||||
23.1. | 4,3 | 4,3 | 4,3 | 2441 | 12,9 | 4,3 | |||||||||
P1 | |||||||||||||||
24.1. | 3,45 | 3100 | 3,4 | 3,4 | |||||||||||
∑ | 13,8 | 8000 | 1,8 | 34,9 | 3200 | 16,9 | 3200 | 3,4 | 3100 | 70,84 | 31,61 |
Tabelle 47: Arbeitsverteilung ab 5.1-24.1.1943, 1-n Personen bearbeiten Postversand, 2 Personen vervielfältigen Flugblätter, Zeitangaben in [h], alle Daten sind Tabelle 44 Seite 388 entnommen, Vervielfältigungszyklus beträgt 3 Sekunden pro Flugblattseite, Flugblatt V Charge-1, Auflage 4000 Flugblätter (8000 Flugblattseiten), 3200 Postsendungen mit 3100 Frankierungen
Abkürzung | Bedeutung |
P1 bis P4 | Personen, die an der Produktion beteiligt sind |
FS | Zeit für Vervielfältigung von Flugblattseiten |
S | Zeit Schablonen schreiben |
ADR | Zeit für Adressierung |
KUV | Zeit für Kuvertierung |
FRA | Zeit für Frankierung |
Summe | Arbeitsstunden, wenn eine Person alles alleine erledigen würde |
AV | Arbeitszeitverkürzung, wenn mehrere Personen arbeiten |
Tabelle 48: Begriffserläuterungen für Tabelle 47
Während die Flugblatt-Herstellung in München mit grossen Anstrengungen angelaufen ist, ergehen gleichzeitig an diesem 20. Januar 1943 weitere Todesurteile gegen die Widerstandsgruppe Rote Kapelle. Todesurteile erhalten die Tänzerin Oda Schottmüller, Ehefrau Rose Schlösinger, Ehefrau Hilde Coppi und der Angestellte Karl Böhme.[1276] Diese edlen Menschen gehen der Welt in aller Stille verloren.
Am 21. Januar 1943 geht die Produktion in vollem Umfang weiter. Aufgrund der Aktenlage dürften Hans Scholl und Sophie Scholl, sicherlich auch Alexander Schmorell, der sich oft in der Franz-Joseph-Strasse aufhält, weitergemacht haben.
Zwei Personen (P1, P2) vervielfältigen weitere Flugblattseiten. Durch einen Schablonenabriss ergibt sich ein Ausfall, der bei Standardschablonen typischerweise bei etwa ± 3000 Flugblattseiten auftritt. Nach 4000 Flugblattseiten muss die Schablone für die Rückseite bearbeitet werden. Zwischendurch trat ein irregulärer Schablonenabriss auf der Vorder- oder Rückseite auf. Für die Bearbeitung 3 neuer Schablonen werden 1,1 Arbeitsstunden aufgewendet und 2,8 Arbeitsstunden für die weitere Vervielfältigung von 3294 Flugblattseiten (P1, P2). P1 kümmert sich um den Farbauftrag und um die Papierauffüllung von 0,1 Stunden. Parallel adressiert eine weitere Person (P3) 1,6 Arbeitsstunden lang die letzten 147 Kuverts, um dann mit 1,2 Arbeitsstunden die Kuvertierung von 228 Postsendungen anzugehen. Die Kuvertierung kann erst mit der Vervielfältigung der ersten Flugblattrückseiten nach 4000 Flugblatt-Vorderseiten stattfinden. Bis Mitternacht ist mit 3 Personen ein Arbeitspensum von 9,6 Arbeitsstunden erreicht. Mit 3 Personen kann diese Arbeit in 4 Stunden erledigt werden. Ein grosser Teil der Flugblätter der grössten Auflage ist bereits durch die Maschine gepresst. Doch in München geht die Produktion weiter, auch wenn die Augen schon müde und schwer sein dürften.
Die erste Angriffswelle gegen den Widerstand im Warschauer Ghetto scheitert am 21. Januar 1943 sicherlich mit hohen Verlusten, wohl auf beiden Seiten, durch starke Gegenwehr aus dem Ghetto. Der SS-Verband zieht sich zurück.[1277]
An diesem 22. Januar 1943 konnten bis morgens 3 oder 4 Uhr 2 Person (P1, P2) die Flugblatt-Herstellung mit 2 Arbeitsstunden von 2353 Flugblattrückseiten fortsetzen, (P1) kümmert sich um den Farbauftrag und um die Papierauffüllung von 0,1 Stunden und bearbeitet eine weitere Schablone mit 0,4 Stunden (Sophie Scholl oder Hans Scholl bearbeiteten die Rückseiten[1278]). Der letzte Schablonenabriss dürfte wieder nach ungefähr 3000 Flugblattrückseiten entstanden sein. Parallel kann eine Person (P3) weitere Kuvertierungen von 531 Briefen in 2,8 Arbeitsstunden vornehmen. Die Vervielfältigung ist abgeschlossen. Nach der Uhr ihrer Kommilitonin stehen die Zeiger auf 3 oder 4 Uhr, jetzt reicht's. Alexander Schmorell wird in der Franz-Joseph-Strasse übernachten. Dies ist allzu verständlich, denn bis zur Benediktenwandstrasse 12, wo sich das Elternhaus von Alexander Schmorell befindet, muss er einen Weg von 10 km zu Fuss laufen und braucht dafür Stunden. Diese Tatsache dürfte ein weiterer Grund sein, warum Alexander Schmorell einen Hausschlüssel zur Franz-Joseph-Strasse hatte.[1279] Tagsüber war dies mit der Strassenbahn kein Problem. Doch nach ihren Nachtaktionen, wo in der Frühe keine Bahn mehr gefahren sein dürfte, gestaltete sich für Alexander Schmorell eine Übernachtung bei Hans Scholl einfacher. Willi Graf, wenn er in München war und nicht gerade unterwegs, um weitere Unterstützer zu suchen, hatte hingegen einen kurzen Fussweg von der Franz-Joseph-Strasse bis zur Mandlstrasse 1-I von knapp 1 km. Der Weg bis zur Lindwurmstrasse 13/3, wo Gisela Schertling ihr Studentenzimmer hatte, betrug immerhin schon 3,6 km.
Das Arbeitspensum vom 22. Januar 1943 beläuft sich auf 7,2 Arbeitsstunden, das mit 3 Personen in 2,8 Arbeitsstunden erledigt ist. An dieser Stelle wird klar, der Freundeskreis muss kontinuierlich durchgearbeitet haben. Sie gaben sich offensichtlich kaum persönlichen Raum für Ablenkung.
Gegenprüfung: In der Nacht des
21. Januar 1943 kann erst mit der
Kuvertierung begonnen werden. Dafür muss ein Flugblatt komplett mit beiden
Seiten vervielfältigt sein. Der Schablonenwechsel dürfte sich gegen 21:22 Uhr
ereignet haben. In einer Arbeitsstunde können
Kuvertierungen
vorgenommen werden. Gleichzeitig ergeben sich bei einem Vervielfältigungszyklus
pro Flugblattseite mit 3 Sekunden
auflösen nach Flugblattseiten
Flugblattseiten.
In einer Stunde werden mehr Flugblattrückseiten vervielfältigt, als diese in der
gleichen Zeit kuvertiert werden können und die Verteilung der Arbeitsstunden für
die Kuvertierung bleibt rechnerisch schlüssig. Während die anderen eine Mütze
Schlaf nehmen, befindet sich Willi Graf am Vormittag in Köln und am Mittag schon
in Bonn.[1280]
Am 22. Januar 1943 werden
dringend Briefmarken benötigt, die Hans Scholl beschafft.[1281],
[1282]
Bestimmt hat Hans Scholl wieder seine Uniform an und sich schon
zurechtgelegt, was er auf unangenehme Fragen antworten würde. Derartige Grossmengen an
Briefmarken waren zur damaligen Zeit absolut tabu und konnten einen sofort
auffliegen lassen. Was hat Hans Scholl nur geantwortet? Josef Furtmeier gibt
einen Einblick über Hans Scholl: «Hans verhandelte, er hatte eine Gabe,
Menschen zu erkennen… …Es war als ob ihm eine reale Vision seines
Gegenüber auf den ersten Blick zur Verfügung stände».[1283]
Der Einkauf kann nicht ohne Wortwechsel stattgefunden haben. In dieser
Produktionsphase kauft Hans Scholl an zwei verschiedenen Reichspoststellen
sagenhafte 3100 Briefmarken. Wirklich phänomenal. Hans Scholl muss eine
unglaubliche Geschichte aufgetischt haben. Wenn das einer konnte, dann geht eine
solche gewiefte Nummer vorzugsweise mit ihm. Auch dem ORMIG Experten Horst
Berkemeyer[1284]
fielen die beschafften Grossmengen an Saugpostpapier und Briefmarken sofort auf
und er fragte nach, wie das sein könne, wo doch insbesondere Papierwaren in
dieser Zeit meist nur rationiert erhältlich waren oder streckenweise gar nicht.[1285]
Wer Hans Scholl kannte, dürfte sich seine Vorgehensweise sicher gut vorstellen
können. Wenn wir auch heute über so etwas lachen, zu damaliger Zeit war das
extrem lebensgefährlich. "Hans im Glück"… Brüder Grimm dürfte auch Hans
Scholl bekannt gewesen sein. Gebraucht werden für diese Charge-1 des V.
Flugblatts 3200 Briefmarken. Weitere 100 Briefmarken kauft Sophie Scholl in
Augsburg.[1286] Grund dafür dürfte sein, sie waren
alle aufgebraucht. Der Einkauf aller Briefmarken wäre noch am 24. Januar 1943
möglich gewesen. Ungefähr 48 Stunden hatte der Widerstandskreis bis zur
Fertigstellung noch Reserve. Willi Graf fährt von Bonn weiter nach Saarbrücken
und nach Freiburg, um weitere Unterstützer für den Widerstandskreis zu finden.[1287]
Willi Graf startet am
22. Januar 1943 gegen 8 Uhr nach
Saarbrücken.[1288]
Am 23. Januar 1943 werden sich
die Geschwister Scholl und Alexander Schmorell getroffen haben. Mit 3 Personen
(P1, P2, P3) müssen die letzten Kuvertierungen von jeweils 4,3 Arbeitsstunden
erledigt werden. Der Rest ist dann, gemessen an dem, was zuvor geschah, nur noch
eine "Kleinigkeit". Etwa 12,9 Arbeitsstunden kommen mit 3 Personen für die
Kuvertierung zusammen. Sophie Scholl schreibt am
23. Januar 1943 einen
zweiten Brief an Hans Hirzel, den er über einen Umweg durch Walter
Hetzel erhält. Gemäss dem Dokumentarfilm von Katrin Seybold soll
Sophie Scholl auch Hans Hirzel, bezüglich Übergabe der Postsendungen
und weiteren Flugblättern, die in Ulm postversandfertig bearbeitet
werden sollen, angerufen haben.[1289],
[1290]
Willi Graf ist in Freiburg[1291],
[1292]
und fährt am 24. Januar 1943
vom Titisee nach Ulm. Das Ziel für das V. Flugblatt Charge-1 ist soweit
erreicht. So bleibt noch genügend Puffer bis zum 25. Januar 1943, wenn
Sophie Scholl mit Briefsendungen und Flugblättern nach Augsburg und Ulm
aufbrechen möchte.[1293] Am 24.
Januar 1943 kann eine Person (P1) in 3,4 Arbeitsstunden die
Briefmarken auf 3100 Umschläge kleben. Bei der Menge sicher nicht im
"Schleckverfahren". Vielleicht wird die Frankierung auch zu dritt abgewickelt.
Geschafft, vorerst. Mit ihrem speziellen "Freund AH" sind sie noch lange nicht
fertig. Der wird im neuen Flugblatt unverblümt gemustert. Um diese Zeit besteht
schon lange keine freie Meinungsäusserung mehr und das bekommt "AH" unverblümt
zu lesen und vor allem etwa 3700 Adressaten.[1294]
Ganz sicher werden einige ganz wenige dieses intellektuelle Flugblatt mit
Genugtuung gelesen haben. Willi Graf trifft morgens am
25. Januar 1943 um 4 Uhr in
München ein und sucht Hans Scholl vor der Mittagszeit kurz auf.[1295]
Sie tauschen sicher den neuesten Stand untereinander aus. Die Produktion macht
grosse Fortschritte. Willi Graf ist eventuell etwas enttäuscht, denn nur Willi
Bollinger und relativiert Heinz Bollinger signalisieren Interesse am Widerstand
in München, den sie von Saarbrücken aus unterstützen wollen.[1296]
Sophie Scholl startet an diesem Tag um 15 Uhr mit
1300 + 700 + 250 = 2250 lebensgefährlichen
Flugblättern, davon sind bereits
1300 + 250 = 1550 fertig
bearbeitet für den Postversand, 250 Briefe sind mit dem Zug für Augsburg
bestimmt, um dort die Flugschriften auf verschiedene Postkästen zu verteilen.[1297]
Vorgesehen ist, dass 700 Flugblätter durch die Ulmer Schüler für den Postversand
in Stuttgart durch Adressierung, Kuvertierung und Frankierung fertig bearbeitet
werden. Strenggenommen adressierte Sophie Scholl 260 Briefsendungen, weil von
272 handschriftlich notierten Adressen, 12 unleserlich waren.[1298]
Das Gewicht beträgt ca. 3,14 g * (1300 +
250 Briefumschläge) + 4,94 g * 2250 (Flugblätter) = 15,98
kg plus ca. 2 kg für ein Transportmittel wie Koffer oder
Rucksack.[1299]
Das Ganze war für Sophie Scholl kein Leichtgepäck. Ihr Bruder wird gestaunt
haben. Um 16 Uhr ist sie schon in Augsburg. Für etwa 100 Briefe müssen
Briefmarken zu 8 Pfennig in Augsburg gekauft und frankiert werden.[1300],
[1301]
Anschliessend fährt Sophie Scholl nach Ulm zu Hans Hirzel. Für diese Aktion
überbrachte Sophie Scholl am Abend an Hans Hirzel jene 700 Flugblätter,[1302]
die von Hans Hirzel und Franz-Josef Müller anteilig für den Postversand fertig
bearbeitet werden. Sophie Scholl muss an Hans Hirzel, das ergibt die
rechnerische Rekonstruktion, auch 1300 Briefe, die zuvor in München
versandfertig bearbeitet wurden, mitübergeben haben.[1303],
[1304],
[1305],
[1306],
[1307]
Um 20:15 Uhr fährt Sophie Scholl zurück und kommt um 21:06 Uhr in München wieder
an.[1308] Willi Graf geht am
26. Januar 1943 zur Vorlesung und
verlebt den Tag privat.[1309]
Alexander Schmorell ist voll bepackt mit der nächsten lebensgefährlichen Fracht
von 1650 Briefsendungen aufgebrochen. Ein Gewicht von 3,14 g * 1650 (Briefumschläge) + 4,94 g * 1650 (Flugblätter) =
13,33 kg plus ca. 2 kg für ein Transportmittel.[1310]
Alexander Schmorell fuhr um 6 Uhr von München nach Salzburg, um dort 150
Briefsendungen zu verteilen.[1311]
Gerne hätte er seine platonische Freundin "Lilo" mitgenommen.[1312]
Sie war wohl eine Art Ruhepol für ihn, sie hörte ihm vertrauensvoll zu und wird
ihm später beim Untertauchen helfen.[1313]
Er fährt am gleichen Tag weiter nach Linz/D und wirft dort 200 Wurfsendungen in
unterschiedliche Briefkästen. Nach Weiterreise in Wien angekommen, verteilt
Alexander Schmorell dort 1000 Briefe ebenfalls auf verschiedene
Posteinrichtungen. Aus Kostengründen werden 300 Briefe für Frankfurt/M in Wien
zu 12 Pf. eingeworfen. Alexander Schmorell übernachtet in Wien.[1314],
[1315] Wer genau welche Tätigkeit erledigt ist
unwesentlich, der Freundeskreis konnte zur Arbeitserleichterung auch ständig
rollieren. Für das V. Flugblatt Charge-1 muss am Ende die Arbeitszeit für die
handschriftlichen Adressierungen noch addiert werden. Daraus ergibt sich eine
verkürzte Gesamtarbeitszeit im Mehrpersonenbetrieb für das V. Flugblatt Charge-1
von
Arbeitsstunden. Zur Erinnerung, aufgrund der grossen Auflage
wurden 2 Schablonen für die Vorderseite und 2 Schablonen für die Rückseite
gebraucht. Beim V. Flugblatt ergab sich noch ein irregulärer Schablonenabriss.
Der irreguläre Schablonenabriss muss sich zwischen dem 20. und 22. Januar 1943
ereignet haben. Die Schablone für die Vorderseite beansprucht zur Bearbeitung
etwa 0,34 Stunden die Rückseite 0,36 Arbeitsstunden. Der Text der Rückseite ist
etwas länger, deshalb die Differenz der Bearbeitungszeit. Die Bearbeitung einer
neuen Schablone verursacht beim V. Flugblatt eine Bearbeitungszeit von jeweils
gut 20 Minuten. Der berechnete Arbeitsaufwand über alle Arbeitsgänge
berücksichtigt keine Pausen oder Unterbrechungen. Wie bereits bei den Grundlagen
angegeben, als Schreibmaschinenanschlag wurden für die Adressierung 125 Zeichen
und für die Schablonenbearbeitung 80 Zeichen pro Minute gewählt. Die genauen
Anschläge sind nicht bekannt, dürften jedoch realistisch zutreffend sein.[1316]
Nach Abschluss der Experimentierphase wurden die beiden Werte für
den Schreibmaschinenanschlag angesetzt. Der Arbeitsdruck war immens
hoch, nicht täglich standen für die zu bewältigenden Tätigkeiten 4
Personen zur Verfügung. Wird mit zwei Schreibmaschinen adressiert,
halbiert sich der grosse Zeitposten wie bereits dargestellt.
Gleiches gilt für die handschriftlichen Adressennotizen, die
teilweise mit 3 Personen oder mehr durchgeführt wurden. In
Abhängigkeit der zur Verfügung stehenden Personenzahl konnte die
anstehende Produktion Flugblatt V Charge-1 im Zeitraum zwischen dem 5. und 25. Januar
1943 erfolgreich abgewickelt werden. Ergaben sich weitere Arbeitstage, reduziert
sich die tägliche Arbeitsleistung. So bleibt genügend Zeit für die persönliche
Lebensgestaltung. Wenn an manchen Tagen nicht gearbeitet wurde oder weniger,
musste der Ausfall an anderen Tagen aufgeholt werden. Auf die Dauer wird die
tägliche Produktionsarbeit zur Belastung. Quälende Müdigkeit bleibt nicht aus,
denn die Nächte dürften zusammen mit zukünftigen Nachtaktionen für wenig Schlaf
gesorgt haben. Das zeigt auch die zum Teil hypothetisch dargestellte
Arbeitsaufteilung. Die Belastungen und der Schlafmangel könnten ursächlich zum
katastrophalen ENDE geführt haben.[1317]
Meist standen zwei Personen regelmässig, manchmal auch drei und an zwei
Arbeitstagen auch 4 Personen für die Produktion zur Verfügung. Jedoch können
immer nur zwei Personen adressieren. Der Vervielfältigungsapparat wurde sehr
wahrscheinlich mit zwei Person in Betrieb genommen. Diese Erkenntnis kam durch
Berechnungen und durch Sachverhalte, die aus den Vernehmungsniederschriften
entnommen wurden, zustande.[1318]
Die Bearbeitung der Schablonen kann ebenfalls nur von einer Person verrichtet
werden. Diese wurden ausschliesslich mit der Remington Portable 2 geschrieben.
Warum das so war, könnte an Hans Scholl gelegen haben, denn aus der
Vernehmungsniederschrift von Sophie Scholl wurde protokolliert, dass ihr Bruder
vorwiegend mit der Remington arbeitete.[1319] Für eine optimale
Arbeitsverteilung war deshalb eine gewisse Planung notwendig. Ansonsten arbeiten
nur 2 oder 3 Personen von 4 unter Volllast, der Rest kann nichts tun. Wie sich
der Widerstandskreis arbeitstechnisch im Detail aufteilte, konnte nur teilweise
rekonstruiert werden. Mehrere Tage bleiben als Zeitpuffer für persönliche und
für kulturelle Gruppenaktivitäten. Alles konnte in der zur Verfügung stehenden
Zeit erledigt werden. Möglicherweise ergab sich die endgültige Flugblattauflage
bzw. die Auflage des Postversands trotz Vorplanung erst am Schluss durch die
Mithilfe aller. Möglicherweise reichten deshalb die Briefmarken für die
Kurierfahrt nach Augsburg nicht. Vielleicht wurde vom Plan abgewichen. Die
Planung und die regelmässige Arbeitsleistung musste genügend Freiraum,
insbesondere auch für das Studium und andere Anliegen, berücksichtigen. Die
Personenkennungen P1, P2, P3, P4 sind keiner bestimmten Person zugeordnet.
Sicherlich wechselten sich die Freunde untereinander ab. Das Morden nimmt
kein Ende. Die Telefonistin Marie Terwiel erfährt am
26. Januar 1943
die Schreckensnachricht ihres Todesurteils.[1320]
In München kommen diese schlimmen Nachrichten bestimmt nicht an. Am Abend
des 26. Januar 1943 meldet die Abendausgabe Berliner Volks-Zeitung den aktuellen
Stand zur Ostfront.[1321]
Die Kriegsberichterstattung lobt in der Abendausgabe den Kampf artikelweise über den Klee.