4.8           München Studentenbriefe – Flugblatt VI

VI. Flugblatt, Herstellungstermin 12. Februar 1943,[921], [922] Hans Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf, ab dem 14. Februar 1943[923] Sophie Scholl: Die eigentliche Flugblatt-Herstellung soll laut Vernehmung von Sophie Scholl nachts zum 4./5. Februar 1943[924] mit 1200[925] Briefsendungen vonstattengegangen sein, der eine Aktion mit Wandparolen[926] folgte. Die Auflage zum 4./5. Februar 1943 wird nur durch die Akte von Sophie Scholl bestätigt. Zu dieser Zeit hatten die Geschwister Scholl einen 8-tägigen Besuch von ihrer Schwester Elisabeth Scholl.[927] Auffallend, dass in dieser Zeit ab dem 28. Januar 1943 bis 5. Februar 1943 keine Flugblatt-Vervielfältigung in der Franz-Joseph-Strasse feststellbar ist. Nur eine Aktivität ausserhalb der Wohnung durch die Anbringung von Wandparolen. Warum in der Vernehmungsniederschrift der 4./5. Februar 1943[928] als Produktionstag festgehalten wurde, ist unklar. Vermutlich war die Mitteilung von Sophie Scholl eine strategische Aussage, weil der Produktionstermin von Flugblatt V Charge-2 in der Vernehmung nicht fallen durfte. Alle Flugblätter wurden angeblich von den Geschwistern Scholl alleine in zwei Nächten hergestellt.[929]

   In der Nacht vom 3./4. Februar 1943 wurden Wandparolen an Hauswänden mit schwarzer Teerfarbe angebracht.[930] Am 5. Februar 1943 war Sophie Scholl zusammen mit Elisabeth Scholl bereits gegen Abend in Ulm bei den Eltern.[931], [932] Der Flugblattentwurf von Christoph Probst sollte zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Betracht kommen, dem eine spätere Erklärung folgt.[933] Erst am 11. Februar 1943 erhält Hans Scholl den Flugblattentwurf von ihrem Professor Kurt Huber.[934], [935], [936], [937] Was passen würde, wäre der 12. Februar 1943 als Produktionstermin, denn da kamen Alexander Schmorell und Willi Graf[938], [939], [940], [941] zu Hans Scholl zur Mithilfe dieser Flugblatt-Vervielfältigung. Aus diesem Grund war vorher keine Vervielfältigung des VI. Flugblatts möglich. Am gleichen Tag konnte mit der Adressierung von Briefumschlägen begonnen werden, sofern Briefumschläge erhältlich waren. Ansonsten mussten die Flugblätter zu einem Umschlag gefalzt und auf die freie Rückseite mit der Schreibmaschine adressiert werden. Die letzte Postsendung wurde in der Nacht zum 15./16. Februar 1943[942] zur Post gebracht. Sophie Scholl und Gisela Schertling kauften am 16. Februar 1943 noch weitere 50 Briefmarken für einen kleinen Postversand des VI. Flugblatts. Damit ergibt sich für das VI. Flugblatt ein Postversand von

(Briefmarkenkauf Hans Scholl) +

(Briefmarkenkauf Sophie Scholl, Gisela Schertling) –

(Beschlagnahmte Briefmarken) =

1200 + 50 – 140 = 1110

Briefsendungen. Was noch zu klären bleibt, die Höhe der Flugblattauflage des VI. Flugblatts. Die Addition Flugblattstreuung in der Universität und Briefversand ergibt die Gesamtauflage des VI. Flugblatts. Sophie Scholl und Alexander Schmorell gaben das VI. Flugblatt mit einer Gesamtauflage von 3000 an und zeigen, dass Hans Scholl mit 2000 um 1/3 deutlich tiefer liegt. Der Vernehmungsbeamte traute den Angaben zum VI. Flugblatt ganz offensichtlich nicht. Möglicherweise auch, weil die Zahlenangaben von Alexander Schmorell zum V. Flugblatt deutlich geringer vorliegen. Der Akte von Alexander Schmorell ist zu entnehmen: «Ich glaube mit ruhigem Gewissen angeben zu können, dass wir von diesem Flugblatt etwa 3000 Stück hergestellt haben.»[943] Für die Streuaktion in der Universität kommen drei Szenarien zur Flugblattauflage infrage. Sophie Scholl gab für den Postversand 1200 Briefe an und zur Flugblattstreuung in der Universität 1500-1800 Exemplare, Hans Scholl spricht von 2000 Flugblättern, von denen etwa 800 Briefe zur Post kamen. Für die Auslegung in der Universität würden 1200 Flugblätter verbleiben. Willi Graf bestätigte zum VI. Flugblatt 800-1000 Postsendungen.[944] Dem Anschein nach bestätigte Alexander Schmorell bei seiner Vernehmung die Angaben von Sophie Scholl mit 1500 bis 1800 Exemplaren zur Ausstreuung in der Universität.[945]

 

   Klärung der vorliegenden Konstellationen:

Flugblattauflage = Flugblattstreuung + Postversand

Sophie Scholl: 1500 + 1200 = 2700

Sophie Scholl: 1800 + 1200 = 3000

Hans Scholl: 1200 + 800 = 2000

Die Gesamtflugblattauflage für das VI. Flugblatt, die aus der Vernehmungsniederschrift von Hans Scholl mit 2000 Flugblätter hervorgeht, dürfte zu gering gewesen sein. Die Folge wäre, in der Universität hätten nicht so viele Flugblätter ausgelegt werden können, als das bekannt ist, auch durch die Geheime Staatspolizei.[946]

   Eine Flugblattauflage von 3000 Exemplaren, die von Sophie Scholl und ihrem Kommilitonen Alexander Schmorell angegeben wurde, wirkt plausibel. Für den Postversand muss aus dem nächsten Kapitel für Stuttgart vorgegriffen werden. Der Betrag von 1300 Briefsendungen wurde für Stuttgart für die Berechnung an diese Stelle verwendet. Die genauen Erklärungen folgen im nächsten Kapitel. Daraus ergibt sich eine gesamte Postauflage von:

Augsburg + (Stuttgart postfertig) + Salzburg + Linz +

Wien + Frankfurt + München Studentenbriefe =

250 + (1300) + 150 + 200 + 1000 + 300 + 1110 = 4310

Briefsendungen, die Sophie Scholl mit 3000-4000 bestätigte. Für weitere Betrachtungen werden 3000 hergestellte Flugschriften für das VI. Flugblatt angesetzt, mit einer Streuaktion in der Universität von 1890 Flugschriften. Der Rest mit 1110 Briefsendungen wurde zur Post gebracht.[947]