Alexander Schmorell
* 16.9.1917 Orenburg/Russland † 13.7.1943 München-Stadelheim
GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG
„Für Euch ist dieser Schlag leider
schwerer als für mich, denn ich gehe hinüber mit dem Bewußtsein,
meiner tiefen Überzeugung
und der Wahrheit gedient zu haben.
Dies alles läßt mich mit
ruhigem Gewissen der nahen Todesstunde entgegensehen. Denkt an
die Millionen von jungen Menschen, die draußen ihr Leben lassen
– ihr Los ist auch das meinige … Mit mir geht Prof. Huber, von
dem ich Euch herzlich grüßen soll.“ Abschiedsbrief aus dem
Gefängnis München-Stadelheim am 13. Juli 1943.
[11]
„Alle suchten wir seine Freundschaft und hatten ihn sehr gern
wegen seiner Heiterkeit, seines Humors, seines Wohlwollens und
seiner Anständigkeit.“
Konstantin Nikitin
[12]
Alexander Schmorell war der Sohn eines deutschen Arztes, Dr. Hugo Schmorell, der
in Moskau und später in Orenburg am Ural eine medizinische Klinik leitete. Dort
kam Alexander am 16. September 1917 zur Welt. Seine Mutter Natalie Wedenskaja,
die aus einer russisch-orthodoxen Priesterfamilie stammte, ließ ihn in ihrem
Bekenntnis taufen. Als seine Mutter an einer Typhusepidemie starb, war Alexander
(genannt Schurik) noch nicht einmal zwei Jahre alt. Eine russische Kinderfrau
übernahm seine Erziehung und machte ihn mit der russischen Kultur und der
Landesprache vertraut.
1921 plante Dr. Schmorell, mit seinem vierjährigen Sohn wieder nach Deutschland
überzusiedeln. Schwierigkeiten entstanden, als das Kindermädchen seines Sohnes
mitkommen sollte, weil Alexander an ihr wie an seiner Mutter hing. War es doch
nur deutschen Staatsbürgern erlaubt auszusiedeln. Aber mittels eines gefälschten
Passes gelangte das Kindermädchen als Witwe eines verstorbenen Bruders von Dr.
Schmorell nach München.
[13]
Dort heiratete Dr. Schmorell erneut. Hier kamen
Alexanders Halbgeschwister Erich und Natalie zur Welt. Weiterhin pflegte die
Familie Schmorell die russischen Lebensweisen, da Dr. Schmorells zweite Ehefrau
Elisabeth ebenfalls in Russland geboren und aufgewachsen war.
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Der vielseitig begabte Alexander trieb Sport und entwickelte seine
künstlerischen Talente; er dichtete, zeichnete und modellierte. So beabsichtigte
er im Bereich der bildnerischen Kunst seinen späteren Beruf zu wählen. Bis zur
zwangsweisen Eingliederung in die Hitler-Jugend schloss er sich einer bündischen
Jugendgruppe an. Alexander Schmorell besuchte das Münchner Wilhelms-Gymnasium
und später das Neue Realgymnasium (das heutige Albert-Einstein-Gymnasium), wo er
1936 mit dem Abitur abschloss. Während seiner Schulzeit verband ihn eine innige
Freundschaft mit Christoph Probst (siehe Band 2: Probst) und dessen Schwester
Angelika. Nach dem Schulabschluss leistete er im Allgäu den Arbeitsdienst ab,
u.a. beim Bau der Queralpenstraße. Er meldete sich zur Kavallerie und kam sowohl
beim Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich als auch bei der Besetzung
der Tschechoslowakei im Oktober 1938 zum Einsatz. Alexander wollte aber den Eid
auf Hitler nicht leisten und bat deshalb um Entlassung aus der Wehrmacht. 1939
begann er in Hamburg das Studium der Medizin; hier lernte er die Kommilitonin
Traute Lafrenz
[15]
kennen, die später von München aus Kontakte mit Studenten in Hamburg knüpfte und
das dritte Flugblatt der Weißen Rose nach Hamburg brachte. Ein Jahr später
musste er als Sanitäter an die Front nach Frankreich. Das Studium setzte er im
Herbst 1940 in München fort. Hier lernte er Hans Scholl (siehe Band 3: Scholl)
und Willi Graf (siehe Band 1: Graf) kennen. Die Freunde trafen sich seit August
1941 zu Leseabenden in seinem Elternhaus.
Am 22. Juli 1942 kam er mit Hans Scholl, Willi Graf und Hubert Furtwängler zur
Front-Famulatur nach Russland. Willi Graf berichtete ausführlich in seinem
Tagebuch, wie Alexander Schmorell den Kriegseinsatz im Osten als eine Rückkehr
ihn seine alte Heimat empfand und seinen Freunden gestand, dass er passiven
Widerstand leisten werde.
[16]
In München beteiligte sich Schmorell an allen Aktionen der Weißen Rose. Er nahm
an den Diskussions- und Leseabenden mit dem Schriftsteller und Kulturkritiker
Theodor Haecker
[17]
teil, verfasste zusammen mit Hans Scholl die Texte der Flugblätter und
beteiligte sich an ihrer Verteilung. In gefahrreichen nächtlichen Aktionen
schrieb er am 3., 8. und 15. Februar 1943 Parolen an die Mauern öffentlicher
Gebäude. Ebenso beteiligte er sich an der konspirativen Zusammenkunft mit dem
Dramaturgen Falk Harnack (*1913 †1991) im November 1942 in Chemnitz, was zur
Folge hatte, dass die Widerstandsaktionen ausgeweitet wurden. In München trafen
sich am 8. und 9. Februar 1943 Alexander Schmorell, Hans Scholl und Professor
Kurt Huber erneut mit Harnack, der einen Kontakt zu den Brüdern Bonhoeffer
vermitteln wollte. Zum geplanten Treffen am 25. Februar in Berlin kam es jedoch
nicht mehr.
[18]
Nach Verhaftung der Geschwister Scholl am 18. Februar versuchte Schmorell, in
einem Lager für russische Kriegsgefangene in der Nähe von Innsbruck
unterzutauchen. Er kam jedoch am 24. Februar wieder nach München zurück.
Inzwischen war von ihm in der Presse ein Fahndungsfoto veröffentlicht worden.
Als er sich während eines Fliegeralarms in einem Münchner Luftschutzkeller
aufhielt, erkannte man ihn. Kurz darauf nahm ihn die Gestapo fest.
[19]
An eine Begegnung mit ihm in der Gestapozentrale im Wittelsbacher Palais
erinnerte sich Falk Harnack: Einmal sah ich Alexander Schmorell … Noch heute
sehe ich seine große schöne Gestalt, hochrot im Gesicht mit glühenden Augen.
[20]
Am 19. April 1943, dem Tag des zweiten Prozesses gegen die Weiße Rose verhängte
der Volksgerichtshof über Alexander Schmorell, Willi Graf und Professor Kurt
Huber (siehe Band 1: Graf, Huber) das Todesurteil.
Schmorells Rechtsanwalt Dr. Siegfried Deisinger, der ihn in der Todeszelle
besuchte, traf einen Menschen an, der eben die letzten Tröstungen seiner
Religion empfangen hatte und alles Irdische schon weit hinter sich gelassen
hatte und zu ihm sagte: ,… Denn ich bin jetzt überzeugt, daß mein Leben, so früh
es auch erscheinen mag, in dieser Stunde beendet sein muß, da ich durch meine
Tat meine Lebensaufgabe erfüllt habe. Ich wüßte nicht, was ich noch auf dieser
Welt zu tun hätte, auch wenn ich jetzt entlassen würde.
[23]
In seinem Abschiedsbrief an die Eltern und Geschwister am 13. Juli 1943 richtete
er folgende Worte: Für Euch ist dieser Schlag leider schwerer als für mich, denn
ich gehe hinüber in dem Bewußtsein, mit meiner tiefen Überzeugung, der Wahrheit
gedient zu haben. Dies alles läßt mich mit ruhigem Gewissen der nahen
Todesstunde entgegensehen.
[22]
Der Tod ist kein Ende, sondern der Übergang zu einem neuen, weit herrlicheren
Leben als das irdische, in dem es Trennung und Ende nicht mehr gibt.
[17]
Die Hinrichtung erfolgte am 13. Juli 1943 in München-Stadelheim.
Im gleichen Prozess waren elf weitere Freunde und Förderer der Weißen Rose
angeklagt. Zu ihnen gehörten die Geschwister Susanne und Hans Hirzel, Franz
Josef Müller und Heinrich Guter, die bei der Verteilung der Flugblätter in Ulm
geholfen hatten. Eugen Grimminger hatte Geld zur Verfügung gestellt. Heinrich
Bollinger und Helmut Bauer aus Freiburg standen mit Willi Graf in Verbindung.
Vor dem Richter standen auch Sophie Scholls Freundinnen Gisela Schertling,
Traute Lafrenz und Katharina Schüddekopf. Sie alle erhielten unterschiedliche
Haftstrafen. Lediglich Falk Harnack wurde freigesprochen.
Bodendenkmal vor der Ludwig-
Maximilians-Universität München
Gedenken |
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I. Grabmal, Friedhof Perlacher Forst 76/26 |
II. Gedenktafel, Lichthof der Universität, 2. Stock (Weiße
Rose) Geschwister-Scholl-Platz, Schwabing Universität U3/U6 M u. LMU (1946) |
III. Mahnmal, Lichthof der Universität (Weiße Rose) M u. LMU (1958) V. Bodendenkmal, Universität (Weiße Rose) M u. LMU (1988) |
IV. Gedenktafel, Justizpalast, Prielmayerstraße 3, Altstadt
(Weiße Rose) Karlsplatz (Stachus) S1-8, Tram 19/20/27 M (1993) |
VI. DenkRaum, Universität (Weiße Rose) M u. Weiße-Rose-Stiftung (1997) |
Gedenken |
Anmerkungen |
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VII. Schmorellplatz, Menterschwaige M (1946) |
ANLASS UND ENTSTEHUNG Am 9. September 1946 wurde der Harthauser Platz (Menterschwaige) in Schmorellplatz umbenannt. |