Erkenntnisse


Eine Lebensgeschichte die sich in den Kriegsjahren 1939-1941 des 2. Weltkrieges ereignete, ein bemühen eines Enkels die unmenschlichen Vorgänge „lebensunwerten Lebens“, nachzuzeichnen.


Auch meine Darstellung muss kritisch mit anderen Autoren in einen Kontext gestellt werden. Erst dann ergibt sich eine mögliche Reflektion zu einer angenäherten Wahrheit, die wir annehmen. Keiner war von uns dabei!


Verdienste
Das Gericht lässt in seinen Urteilsbegründungen keine außergewöhnlichen signifikanten Verdienste von Rettungsmaßnahmen durch die Klinik oder Ärzte erkennen und würdigt somit diese auch nicht, weil es sie nicht gab! Das Gericht erwähnt lediglich einfache Maßnamen die mit aktivem "Widerstand gegen die Euthanasie" nicht in Einklang zu bringen sind. Die Urteile wirken geschönt [E14] und tragen erschwerend dazu bei, was damals in den Jahren zwischen 1939 und 1941 im Christophsbad Göppingen tatsächlich geschah. Nach Auffinden genügender Widersprüche wurde auf weitere Aufzeichnungen, aufgrund von stereotypenartiger Konstellationen, verzichtet. Auffallend oft wurden nur wirtschaftliche Belange gegenüber staatlichen Organen angegeben. In der Urteilsbegründung von Karl J. werden aufgeführt, Fälschungen von Krankheitsdaten, Arbeitsmaßnahmen, angebliche Frühentlassungen. Die eidesstattlichen Erklärungen von Zeugen wirken fragwürdig, unzureichend und konstruiert. Für Behörden waren privatfinanzierte Patienten nicht sonderlich von Belang. Hier hätte die Klinik ansetzen müssen. Auch hätten Ärzte große Anteile ihrer Bezüge für lebensrettende Maßnahmen einbringen können. Karl J. hatte 1944 ein Monatsgehalt von Brutto 1378,75 RM, das Vierfache meines Großvaters [E11]. In den Jahren 1939 und 1940 hatte die Klinik eine Personal-Fluktuation von 35% zu verkraften [E7]. Am häufigsten verließen unter Kriegsbedingungen die Ernährer, also männliches Personal, die Klinik. Entweder verließ das Personal die Klinik aus wirtschaftlichen Gründen vorzeitig, oder weil sie sich mit den internen Ereignissen nicht mehr identifizieren konnten. Hans Roemer der nachweislich auch aktiven Widerstand gegen die Euthanasie leistete und am 1. Oktober 1943 befristet als Arzt im Christophsbad eingestellt wurde [E12], konnte rückwirkend nichts mehr an den Geschehnissen ändern. Die Gerichtsurteile wirken im Kontext betrachtet unwirklich und es mangelte an glaubhaften Zeugenaussagen. Mord oder Beihilfe zum Mord durch die Ärzte im Christophbad, ist nicht erkennbar. Das vermutlich überwiegend wirtschaftliche Interesse der Klinik hat vermutlich den Abtransport von Euthanasie-Patienten, durch Verhandlungen mit Behörden, erschwert. Karl J. wurde zunächst als „Mitläufer“ eingestuft, jedoch sprach ihn das Gericht Göppingen am Ende frei, weil es als erwiesen ansah, dass der Angeklagte 60-70 Patienten vor dem sicheren Euthanasie-Tod bewahrt habe.


Realistische Maßnahmen
Was hätte das Christophsbad tun können um die Patienten vor dem sicheren Tod zu schützen. Sie hätte sich an Kircheneinrichtungen wenden können, den Bischof aufsuchen, kirchliche und soziale Einrichtungen kontaktieren, Flugschriften heimlich unter das Volk verteilen, effektivere und Frühentlassungen einleiten, zur Verschleierung Pflegefamilien involvieren, geheime externe Räumlichkeiten nutzen, eigene Verdienstbezüge einsetzen, Teilzahlungen mit Familienangehörigen der Patienten vereinbaren und Privatbehandlung anwenden statt staatliche, im Einzelfall vollständige Kostenübernahme durch die Klinik, Privatbehandlung bei den Ärzten zuhause, Amtsträger Behörden diskret bestechen… Es erinnert an Oskar Schindler’s Liste. Er setzte sein ganzes Vermögen ein und rettete so 1000 Leben jüdischer Menschen. Er starb bettelarm, hinterließ jedoch ungeahnte menschliche Werte. Überlebende seiner Liste, unterstützen ihn bis zu seinem Tod. Im Gegensatz zum Christophsbad ging Oskar Schindler in die Weltgeschichte ein!

Auf Seite 5 der Urteilsbegründung geht durch das Gericht im Prozess gegen Karl J. hervor, das kein einziger Privatpatient der Klinik unter den Euthanasie-Abtransporten war! Hier hätte die Klinik, wie Oskar Schindler, ihre ganz große Chance gehabt! Auf Seite 11 der Urteilsbegründung bezüglich Karl J. heißt es durch den Zeugen Dr. H-G. B. "Eine Durchkreuzung dieser Pläne habe bestimmt für jeden Arzt eine Gefährdung seiner Existenz bedeutet". Dem ist nichts mehr hinzuzufügen!

Die Klinik Christophsbad ist zwischen 1939 und 1941 ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihren arglosen Schutzbefohlenen, nach Artikel 13 [E13], kaum nachgekommen. Somit gab es im Christophbad keinen aktiven Widerstand gegen die Euthanasie. Aus der Urteilbegründung geht in keiner Weise hervor, das die Klinik in schriftlicher Form noch durch Gespräche gegenüber Behörden oder Ministerium die Tötung von "lebensunwertem Leben" ablehnte oder sich wenigstens in irgend einer Form darüber beschwerte!

Effektive Schutzmaßnahmen wurden nicht ernsthaft in die Tat umgesetzt, um in der Klinik lebende Menschen vor dem Euthanasie-Programm wirkungsvoll zu schützen. Die Klinik war offensichtlich mehr mit sich und ihren Bilanzen beschäftigt. Eine Entschuldigung bei Gericht oder eine Äußerung des Bedauerns gegenüber den Hinterbliebenen ist mir nicht bekannt. Es ist nichts bekannt darüber, dass die Klinik sich öffentlich gegen die Euthanasie ausgesprochen oder gar gestellt hat und aus ethischen und menschlichen Gründen sie ablehnte. Der ärztliche Eid des Hippokrates beschrieb auch damals eine grundlegende Ethik eines jeden Arztes. Nichts von dem ist erkennbar. Das unfassbare ist lautlos ohne merklichen Widerstand über die schwächsten unserer Gesellschaft unwiderruflich ergangen. Nach den Prozessen wurden die noch verbliebenen Patienten im Christophsbad von jenen weiterbehandelt, die ihre Mitpatienten sich selbst überließen. Hätte einer unter den Klinikbeschäftigten, sein Kind, Eltern, Partner oder Ehepartner, zu jenem grauen Bus mit den milchgläsernen Fenstern gebracht? Sie hätten ihren Liebsten, bei der Verabschiedung, noch nicht einmal mehr durch die trüben Fenster zuwinken können. −

Familiär wurde nie über das Thema Euthanasie im Christophsbad gesprochen. Nun suche ich betroffene Zeitzeugen bzw. Familienangehörige, die über das Christophsbad Göppingen durch das Euthanasie-Programm Angehörige verloren.


Aktiver Widerstand gegen die Euthanasie
Karsten Jaspersen, der psychiatrischen und Nervenabteilung der Westfälischen Diakonissenanstalt aus Bethel, ließ der Geheimen Staatspolizei Berlins und dem Reichsgesundheitsführer durch die Staatspolizei-Leitstelle Bielefeld mitteilen, "dass die Krankentötung für ihn als nationalsozialistischen Arzt gegen jede ärztliche Berufsauffassung verstieße." [E124]. Karsten Jaspersen entschloss sich im Juli / August 1940 [E124] den Bischof in Münster Graf von Galen über die Euthanasie zu unterrichten. Am 3. August 1941 reagierte der Bischof mit einer Predigt [E118] zur Euthanasie. Siehe hierzu eine Original-Schreibmaschinenvervielfältigung der Euthanasie-Predigt vom 3. August 1941. Bischof Graf von Galen gilt als erste Person die öffentlich das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten kritisierte und durch ein Beispiel aus Münster belegte [E118]. Gottfried Ewald, der Landes-, Heil- und Pflegeanstalt Göttingen [E120] heute Asklepios Fachklinikum für Psychiatrie und Psychotherapie Göttingen, lehnte die Mitarbeit als Gutachter bzw. Obergutachter des T4-Programms mit der Begründung ab: "er könne grundsätzlich nicht seine Hand dafür geben, Kranke, die ihm anvertraut seien, auf diese Weise zu beseitigen" [E136]. Hans Roemer, Klinikdirektor in Illenau, wehrte sich unbeugsam gegen die Euthanasie der Nationalsozialisten. Ihm gelang es als Klinikdirektor in Illenau durch das Reich abverlangte Patienten-Abtransporte an Zwischenlager und Tötungsstätten zu behindern, konnte sie jedoch wegen starker Gegenwehr nicht unterbinden. Er begab sich am 31. Oktober 1940 in einstweiligen Ruhestand [E121]. Ab 1. Oktober 1943 wurde er befristet im Christophsbad Göppingen beschäftigt [E122]. Alle drei Ärzte haben den Krieg, trotz ihres aktiven Widerstandes gegen die Euthanasie, überlebt. In der Literatur heißt es, keiner sei wegen seiner ablehnenden Haltung gegen die Euthanasie angeklagt worden.

 
Aktiver Widerstand gegen die Nationalsozialisten
Henning von Tresko, Widerstand des 20. Juli 1944: "Es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf das die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat". Ich denke spontan auch an den polnischen Arzt Janusz Korczak, der mit seinen Kindern in die Gaskammern ging. Er sagte, seine Kinder zu verlassen, würde einem Verrat an seinen Kindern gleichkommen. Hans Scholl, der wenige Augenblicke vor seiner Hinrichtung laut ausrief, „Es lebe die Freiheit!“. Diese Freiheit hätte ich mir für die Schwächsten unter uns gewünscht. Sophie Scholl im Februar 1943 bei Ihrer Vernehmung durch die Geheime Staatspolizei München: „Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen.“ Durch ihre Aussage konnte Sophie Scholl nicht mehr vor dem Fallschwert bewahrt werden. Diese und weitere ehrenwerte Menschen haben nachweislich ihr eigenes Leben der Menschlichkeit gewidmet. Sie sind ihren Weg aus Überzeugung gegangen, ohne Rücksichtnahme auf ihr eigenes Leben.


Schuldfrage
Wo fängt Schuld an. Die rechtliche Schuld beginnt, wenn Verstöße gegen Verordnungen oder Gesetze vorliegen. Die moralische Schuld, so würde Siegmund Freud wahrscheinlich sagen, wenn das ES stärker ist als das ICH und sich beide verbündet gegenüber dem ÜBERICH hinwegsetzen. Mit anderen Worten beschrieben, wenn gesellschaftliche Regeln, die sich seit Jahrhunderten ständig weiterentwickelt haben und allgemein für bewährt befunden wurden, gebrochen werden. Verstöße werden manchmal durch die Gesellschaft sanktioniert. Sie sind jedoch strafrechtlich nicht relevant.
 
Anfang Mai 1945 wurde die bedingungslose Kapitulation unterschrieben. Ein Tatsachenbericht über die Euthanasie an Kindern zeugt, wie das vorsätzliche Töten "lebensunwerten" Lebens nach der Kapitulation an arglosen Kindern bis Ende Juni 1945 weiter ging! Der Beitrag berichtet über eine entsetzlich traurige Familiengeschichte!

http://www.zeit.de/2014/42/euthanasie-lueneburg 

Im Alter von etwa 5 ½ Jahren stellte ich Fragen zur Judenvernichtung und konnte bedingt durch mein Alter nur erfassen, das 6 Millionen Juden, ganz, ganz viele Menschen sein mussten. Und nun hat die Zeit mich eingeholt, ich stehe wieder am Anfang. Jetzt haben nicht andere es geschehen lassen, es ist von der eigenen Seite erwachsen. Was würde ich tun, um all das Leid rückgängig zu machen. Es wird mich zeitlebens nicht mehr loslassen. Ich fühle eine tiefe Verantwortung und tiefes Mitgefühl mit den Menschen, denen schlimmes widerfahren ist. Ich habe dieses schwerwiegende Erbe in aller Stille angenommen.

Ich bedauere zutiefst, das es möglich war, das so viele unschuldige, wehrlose und arglose Menschen durch die Euthanasie ihr Leben verloren, die Trauer der Angehörigen und die Generationen die spüren, welch furchtbares Unrecht damals geschah.

Es tut mir aufrichtig, sehr, sehr leid!

Januar 2015, Enkel, Thomas Kortenkamp