Gerichtsverhandlung gegen Karl J.


Eine Lebensgeschichte die sich in den Kriegsjahren 1939-1941 des 2. Weltkrieges ereignete, ein bemühen eines Enkels die unmenschlichen Vorgänge „lebensunwerten Lebens“, nachzuzeichnen.


Eine Lebensgeschichte die sich in den Kriegsjahren 1939-1941 des 2. Weltkrieges ereignete, ein bemühen eines Enkels die unmenschlichen Vorgänge "lebensunwerten Lebens", nachzuzeichnen.

Karl J. wurde in seinem Prozess zur Last gelegt eine RPA (Rassepolitische Amt) Tätigkeit, beabsichtigte Mitgliedschaft der NSDAP [E3] sowie dem Reichsgesetz Artikel 13. Letzteres bezieht sich darauf, ob der Angeklagte aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hat [E13].

Zwischen 1940 und 1941 wurden durch 9 Abtransporte 297 Euthanasie-Patienten behördlich vom Christophsbad Göppingen zwangsabgeholt. Davon fanden 168 Menschen den Tod. Die Klinik beschwerte sich vielfach bei Behörden und Ministerium wegen existenziell schlechter Wirtschaftslage als Privatklinik, die durch Abtransporte von Euthanasie-Patienten entstanden seien. Im Oktober 1940 wurden behördlich so viele Patienten abgeholt, dass die Klinikauslastung bei 50 % angelangte, die Hälfte der Betten standen leer [E1]. Ein wesentlicher Unterschied zu heute, ab 1945 mussten Angeklagte sich bei diesen Prozessen vor Gericht selbst entlasten. Sie suchten aus ihrem Umfeld Personen, die ihnen eidesstattliche Mitteilung vor Gericht gaben [E14]. Darunter waren auch Klinikbedienstete von Karl J. die nach dem Krieg mit hoher Arbeitslosigkeit, eine sichere Stelle brauchten. Was sollten diese vor Gericht aussagen. Darunter eine sehr fragwürdige Entscheidung des Gerichts. Gutachter und stellvertretender Chefarzt, Karl J. der Klinik Christophsbad kannten sich persönlich, hatten viel zu große Nähe! Warum lässt sich das Gericht von einem Gutachter, der als befangen angesehen werden muss, über den gesamten Prozess fachmedizinisch beraten? Das konnte bestenfalls der Berater von Karl J. sein, aber niemals für das Gericht. [E1]

Nachweis aus der Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.: Gutachterkonstellation Seite 13 [E2] 


Urteilsbegründung im Prozess gegen Karl J.

Urteilsbegründung im Prozess gegen Karl J.






Der Sachverständiger, Universitätsprofessor für Psychiatrie München Prof. Dr. W. arbeitete seit 1928 als Assistent an der Universität Tübingen mit Karl J. zusammen. Der Sachverständige prüfte für das Gericht Beweismaterial und ob durch Karl J. gegenüber seinen Patienten "…die Lebenswürdigkeit und Ihre Brauchbarkeit im Leben unterstrichen wurde"….
Der Zeuge E. H. sagt über Karl J. aus, Karl J. habe die Tötung von Geisteskranken aufs schärfste verurteilt, er hätte sich diesbezüglich gegen die Klinik gestemmt.

Nachweis aus der Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.: Eidesstattliche Erklärung von E. H. Seite 8 [E3]



Urteilsbegründung im Prozess gegen Karl J.

Urteilsbegründung im Prozess gegen Karl J.






Der Zeuge E. H. brachte durch seine Aussage den Chefarzt und seinen Stellvertreter in erhebliche Diskrepanz! Entweder handelt es sich hierbei um eine Gefälligkeitsaussage oder die Klinik vertrat andere Interessen. Die Frage sei auch gerechtfertigt, welche Intension hatte der Zeuge E. H.. War es gar eine bewusst herbeigeführte Inszenierung, durch Karl J. die Klinik zu belasten? Das Interesse der Klinik musste jedoch sein, keinen Patienten durch das Euthanasie-Programm zu verlieren, denn jeder Patienten-Abtransport führte zu Einnahmeverlusten der Privatklinik, die sich selbst finanzieren musste! Öffentliche Gelder bekam die Klinik nur für die "Staatspfleglinge". Privatpatienten mussten sich selbst finanzieren. Die Klinik konnte deshalb nicht an Frühentlassungen von "Staatspfleglingen" interessiert sein. Es fällt bei der Durchsicht der Urteilsbegründungen früh auf, dem Prozess fehlte es an neutralen Zeitzeugen. Bedienstete der Klinik waren interessiert an Weiterbeschäftigung und dienten gleichzeitig als Zeuge. Außerdem mussten sie nach den Prozessen wieder miteinander arbeiten können. Bei dem angeklagten Chefarzt lag diese Konstellation nicht vor, er befand sich bereits im Ruhestand. Es ist allgemein bekannt, dass die Urteile bei den Euthanasie-Prozessen auffällig milde ausgefallen sind [E14].
 
Bezüglich Rassenpolitik zeigt sich an anderer Stelle bei Karl J. erhellendes:
Stuttgarter Zeitung vom 11.07.2005

Unterstützt wurde J. von den üblichen Entlastungsschreiben verschiedener Freunde und Kollegen, darunter auch ein Arzt und ein Jurist, beide jüdischen Glaubens. Andererseits lässt ein Brief Karl J.s an die NSDAP-Kreisleitung vom 30. April 1941 an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. In dem Schreiben äußert er sich gegenüber der Behörde abfällig über 20 polnische Frauen, die als Arbeiterinnen aus dem Elsass nach Göppingen gekommen waren und mit dort stationierten deutschen Soldaten Bekanntschaften schlossen. J. schreibt: "Es dürfte meines Erachtens angezeigt sein, wenn von Seiten der NSDAP-Kreisleitung die Befehlsstellen der Göppinger Truppenteile darauf aufmerksam gemacht würden, dass der Umgang der Soldaten mit diesen fremdvölkischen Mädchen rassisch unerwünscht ist. Heil Hitler, gez. Dr. J."….[E4]
Karl J. denunziert 20 polnische Frauen. Er verwendet die Formulierung "rassisch unerwünscht". Im Folgenden wird aufgezeigt, wie das Gericht den Sachverhalt in der Urteilsbegründung wertet. Das Gericht unterscheidet nicht zwischen dem irrelevanten Verhalten von Personen und einer typisch relevanten verbalen Identifikation mit dem Nationalsozialismus. Selbst wenn das Verhalten der Polinnen skandalös gewesen wäre, steht dies nicht in Beziehung mit der rassistischen Äußerung von Karl J.. Es handelt sich hier um zwei verschiedene Sachverhalte, wobei nur eine gerichtlich von Belang ist. Eine notwendige Differenzierung durch das Gericht bleibt jedoch aus.

Nachweis aus der Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.: Feststellung des Gerichts zum Vorwurf Seite 4 [E3]

Urteilsbegründung im Prozess gegen Karl J.

Urteilsbegründung im Prozess gegen Karl J.



Karl J. spricht von skandalösen Zuständen die durch Polinnen im Klinikbereich sich ereignet hätten und diese abstellen wollte. Das Gericht zeigte in seiner Urteilsbegründung Verständnis für die Situation des Angeklagten. Das Gericht schreibt: "Da eine Beschwerde an den Garnisionsältesten nichts fruchtete, habe er an die Kreisleitung eine Eingabe deswegen nicht gemacht, weil dieser sicherlich die Angelegenheit, als sie nichts angehende bezeichnet hätte."

Nachweis aus der Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.: Reaktion des Gerichts zum Vorwurf, Seite 16 [E2]


Urteilsbegründung im Prozess gegen Karl J.

Urteilsbegründung im Prozess gegen Karl J.



Weiter urteilt das Gericht: "…Die Sache mit den Mädchen kann nicht anders aufgefasst werden, als ihm damals kein anderes Mittel blieb, um den Skandal…" "…Es ist ihm zu glauben, dass er gegen diesen Skandal auch eingeschritten wäre, wenn es sich um deutsche Mädchen gehandelt hätte."
 
Krasse Gegendarstellung durch Martha J. und Heinrich H..

Nachweis aus der Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.: Aussage Martha J. und Heinrich H., Seite 8,
LLandesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 902/8 Bü 7263 [E2]


Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.

Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.



Martha J. bestätigt, Karl J. habe die Euthanasie aus religiösen Gründen abgelehnt, ebenso den Nationalsozialismus. Prof. D. Dr. H. bestätigt ebenfalls, Karl J. habe den Nationalsozialismus abgelehnt. Karl J. hätte das Amt im RPA nur übernommen, um schlimmeres zu verhindern.

Würde in heutiger Zeit (2015) ein Politiker im Auftrag einer extremen Gruppe bzw. Organisation eine öffentliche Rede halten, kann er anschließend Abdanken. Dialoge mit Extremgruppen führen ist hingegen eine vollkommen richtige Entscheidung. Wer nicht spricht kann nichts verändern. Ausgrenzung führt zu noch mehr Feindseligkeit, siehe Weltterrorismus. Karl J. befand sich nicht in einer Dialogsituation, sondern trat als Vortragsredner im Rahmen der Nationalsozialisten auf.
 
Göppinger Medien haben Karl J. nicht so wahrgenommen, wie er sich vor Gericht dargestellt wird.
Nachweis: Lokale Presse 

Auch die lokale Presse berichtete über die Aktivitäten Dr. J.s, so beispielsweise die "Göppinger Zeitung" in der Ausgabe vom 23. Januar 1937 über einen Lichtbildervortrag Dr. J.s bei der Ortsgruppe der NSDAP Salach. Der "Die Rassenpolitik des Dritten Reiches" betitelte Artikel hatte folgenden Wortlaut: "Da sieht man die Ideen des Liberalismus verwirklicht in prachtvollen Irrenhäusern und Gefängnissen, deren Erstellung und Betreuung ihrer Insassen Unsummen Geldes verschlangen, jene verrückte Idee von der Umweltbedingtheit der Rasse. Als ob ein Negerkind sich im hohen Norden zu einem blondschöpfigen Menschen entwickeln könnte! Diese falsche Idee aus dem Weg geräumt zu haben, ist einzig und allein der Verdienst des Nationalsozialismus. Wer diese idiotischen Gestalten - gewiß bedauernswerte Geschöpfe - sieht, versteht ohne weiteres die Maßnahmen zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Wenn Juden und Neger in Bildstreifen auftauchen, begreift man die Nürnberger Gesetze." [E5]

Was verbindet Karl J. bei der NSDAP mit dem Thema "Die Rassenpolitik des Dritten Reiches". Mag sein das die Presse vielleicht ihre Sicht stark betont haben könnte. Karl J. dürfte vermutlich kein verbissener Nationalsozialist gewesen sein. Alleine sein Thema isoliert von allen anderen Vorwürfen betrachtet, sprechen für sich. Was waren denn die Inhalte der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Er hätte ein solches Thema "Rassenpolitik" erst gar nicht referieren dürfen, schließlich repräsentiert er auch seinen Auftraggeber. So sah die Presse eine NSDAP-Mitgliedschaft und betrachtete Karl J. vom Christophsbad als Genosse J.!

Belege für Patienten-Frühentlassungen, die Karl J. bei Gericht anführt und fragwürdige Zeugen bestätigen, finden sich in der moderaten Urteilsbegründung. Doch würdigt das Gericht nicht ausdrücklich den Artikel 13 auf besondere Weise. Entlastet ist: wer trotz seiner formellen Mitgliedschaft oder Anwartschaft oder eines anderen äußeren Umstandes, sich nicht nur passiv verhalten, sondern nach dem Maß seiner Kräfte aktiv Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistet und dadurch Nachteile erlitten hat [E13]. Nachteile die dem stellvertretenden Chefarzt entstanden sein könnten, nennt das Gericht nicht! Da er angeblich Juden zuhause behandelte, - offen bleibt, ob die Heimbehandlung auf eine Gegenleistung beruhten - wie mein Großvater ihm vor Gericht bestätigt, hätte er auch geistig benachteiligte Menschen bei sich zuhause zur Behandlung aufnehmen können. Das wiederum haben weder mein Großvater noch andere Zeugen bestätigt! Hätten die Mediziner zusammen mit ihrem Personal außergewöhnliche  Maßnahmen ergriffen, dann wäre das Christophsbad in die Weltgeschichte eingegangen [E13]. Siehe Kapitel "Erkenntnisse", Überschrift "Aktiver Widerstand gegen die Euthanasie".
 
Nachweis aus der Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.: Eidesstattliche Aussage von Oberpfleger R.K., Seite 6 [E3]


Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.

Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.



Nachweis aus der Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.: Eidesstattliche Aussage von Oberpfleger R.K. Seite 15


Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.

Urteilsbegründung, im Prozess gegen Karl J.



Bei der Urteilsbegründung des Angeklagten Karl J. erschien es dem Gericht wichtig gewesen zu sein, die eidesstattliche Erklärung meines Großvaters in zweifacher Ausführung bei der Urteilsbegründung zu nennen, …Kein Hitlergruß, persönlicher Patienten-Tagesgruß mit Handschlag, abgeraten von NSDAP-Mitgliedschaft, privat Juden zuhause behandelt usw. Mein Großvater gab an, dass er und Karl J. seit 20 Jahren zusammenarbeiten. Karl J. hatte sich zu verantworten bezüglich einer mutmaßlichen Anmeldung zur Mitgliedschaft bei der NSDAP die er abstritt und wegen einer RPA Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Euthanasie-Programm. Ausgerechnet Karl J. der sich dem Vorwurf der NSDAP-Mitgliedschaft rechtfertigen musste, hat meinem Großvater von einer NSDAP-Mitgliedschaft abgeraten. Mein Großvater sagte bei seinem Entnazifizierungsverfahren aus, er sei automatisch als Parteimitglied bei der NSDAP aufgenommen worden. Er hätte sich nicht selbst darum bemüht [E11]. Es sei hier festzuhalten, Karl J. beriet angeblich meinen Großvater bezüglich NSDAP-Mitgliedschaft. Warum findet dann ein Beratungsgespräch statt, wenn ein Automatismus zur NSDAP-Mitgliedschaft vorgelegen haben soll. Die Frage stellt sich, wie war es damals tatsächlich! An anderer Stelle mehr.

Über Hans Jörg W. ist bekannt, dass er ebenfalls zwischen den Jahren 1939 und 1941 für das Christophsbad Göppingen als Abteilungsarzt tätig war.

Es konnte bisher keine Literatur im Zusammenhang Euthanasie und Christophsbad über ihn gefunden werden. Es existiert eine Schrift von 1968 mit 47 Seiten zu einem Vortrag. Sein Thema "Psychiatrie in der Zeit des Nationalsozialismus". Inhaltlich wird manches über Euthanasie abgehandelt. Da dieses Schriftstück nur als Leseprobe vorliegt, konnte nicht zweifelsfrei ermittelt werden, ob er auch aus der Zeit über das Christophsbad Göppingen spricht. Hans Jörg W. bekam, für Forschungsarbeiten, das Bundesverdienstkreuz verliehen. Über die Assistenzärztin A. R., die ebenfalls zur damaligen Zeit im Christophsbad beschäftigt war, konnte bisher nichts zur Euthanasie aufgefunden werden.