2          Ultrakurz über den Widerstandskreis

Münchner Widerstandsgruppe, die sich 1942/1943 gegen die perfide Hetze und die Gräueltaten durch Adolf Hitler und die Nationalsozialisten, mit Flugblättern und Wandparolen, auflehnte. Fokussierter konnten Buchtitel nicht lauten: Der Historiker Sönke Zankel, «"Mit FLUGBLÄTTERN gegen HITLER"», die Historikerin Barbara Ellermeier zitiert Hans Scholl bei der «…Suche nach Mitstreitern für den Widerstand», «[i]n diesen Wochen habe ich eine größere Aufgabe empfangen, die meine Gedanken selten loslässt»,[120] die Historikerin Barbara Beuys mit ihrer Kapitelüberschrift, «Eine Frau und drei Männer: das Riskante Unternehmen beginnt».[121] Damit ist bereits viel gesagt, dem noch Feinheiten mit bisher unerwähnter Zusammenhängen folgen. Ursprünglich unterzeichnete der Widerstandskreis die ersten IV Flugblätter mit Weisse Rose, bei den letzten beiden Flugblättern V und VI nicht mehr. Die Namensgebung Weisse Rose konkretisierte sich erst nach dem Krieg. Der korrekte Ausdruck, den der Historiker in seinem Buch verwendet, entspricht exakt der geschichtlichen Entwicklung: «Widerstandskreis um Hans Scholl und Alexander Schmorell».[122] Hans Scholl spricht im V. Flugblatt[123] von einem föderalen Deutschland und Europa,[124] ohne zu erahnen, dass dies bald in Deutschland gelebt werden würde und Jahrzehnte später zu grossen Teilen in Europa. Sicherlich wollten sie selbst diese Ereignisse miterleben.[125] Gemeinsamkeiten bestanden durch Literatur, Musik, Kunst, Lesungen, Glaubensfragen[126] und dem Gefühl von Selbstverwirklichung.[127], [128] Ihre literarische Wissbegier, Atelierlesungen und Kontakte mit wesentlich älteren Menschen, dürfte zu einer persönlichen Veränderung geführt und möglicherweise eine Auffälligkeit gegenüber gleichaltrigen hervorgebracht haben. Gespräche mit lebenserfahrenen Menschen wie Carl Muth, Theodor Haecker, Josef Furtmeier, Alfred von Martin, oder Kurt Huber wären mit einem Widerstandskreis aus dem fanatische Tendenzen hervorgegangen wären, kaum vorstellbar. Ihr Professor Kurt Huber hätte einem Ideen besessenen, unerbittlich rücksichtslosen Kreis, der leicht unbeherrscht in Erregung gerät, wohl kaum seinen Flugblattentwurf anvertraut. Intoleranz und Radikalismus lehnte Professor Kurt Huber ohnehin vehement ab.[129] Aufgrund des Aktenmaterials dürften sich alle auf der Suche nach ihrer persönlichen Lebensidentität befunden haben, jeder auf seine individuelle Weise, auch wechselhaft, mitreisend und selbstverständlich fragend… Ihre Entscheidung Widerstand gegen den Unrechtsstaat zu leisten, mag familiengeschichtlich, durch das soziale Umfeld, durch Erlebnisse und der Tatsache entstanden sein, dass sich Menschen am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt begegneten, die trotz ihrer individuellen und eigenständigen Entwicklung und persönlichen Entfaltung bzw. Verschiedenheit, in vielerlei Hinsicht Ähnliches fühlten und dachten. Eigentlich kein ungewöhnlicher Prozess, denn alle Menschen durchleben bewusst oder unbewusst ihr Lebensumfeld, verarbeiten und bewerten durch Vergleiche mit Vorhandenem, aus der eine Wertung und Entscheidung hervorgeht. Erfahrungen verändern und prägen Menschen, aus denen Sichtweisen, Standpunkte und Einstellungen hervorgehen. Ein Mensch, der ständig unterdrückt und bestraft wird, wird später eine aggressive Lebensausrichtung einnehmen, oder jenen mutig beistehen, die ähnliches durchmachen bzw. erlebten.

    Für ihre Zivilcourage, ihrem Gerechtigkeitssinn – Frieden und Freiheit – wurde der Kern der Gruppe – Hans Scholl, Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf, Christoph Probst und ihr Professor Kurt Huber – 1943 zum Tode verurteilt und hingerichtet.[130] Hans Leipelt setzte mit Marie-Luise Jahn den Widerstand der Münchner fort. Hans Leipelt wurde gegen Kriegsende ebenfalls hingerichtet und später vom Weisse Rose Institut e. V. München und von der Ludwig-Maximilians-Universität München in den Widerstandskreis eingereiht.[131] Dem folgten in München[132] und im Umfeld weitere Verhaftungen, nicht alle überlebten. Alleine in Hamburg sollen mehr als 30 Personen verhaftet worden sein. Mindestens 9 Todesfälle sind im Zweig Weisse Rose Hamburg zu beklagen und aus dem Weisse Rose Umfeld aufgrund von Spätfolgen zwei Todesfälle.[133], [134] Der Widerstandskämpfer[135] Eugen Grimminger gehörte zu einem kleinen Personenkreis von Geldgebern des Widerstandskreises, der wahrscheinlich eine Geldzuwendung von Berta Wagner, möglicherweise unter Beteiligung von Alfred König[136] und vielleicht durch eigenes Zutun, weiterreichte und Material zur Flugblatt-Herstellung beschaffte.[137] Eugen Grimminger wurde 1943 in diesem Zusammenhang verhaftet. Auch Fritz Hartnagel, der Lebensgefährte von Sophie Scholl, unterstützte über Sophie Scholl den Widerstandskreis zum Teil wissentlich und später das Elternhaus der Familie Scholl.[138] Mit finanzieller Unterstützung durch Eugen Grimminger, Fritz Hartnagel und durch Eigenleistungen, die Alexander Schmorell und Willi Graf einbrachten, ergab sich für den Widerstandskreis bei den letzten beiden Flugblättern, mit entsprechender Maschine für grosse Flugblattauflagen, eine gesteigerte öffentliche Wahrnehmung. Die Mischehe mit seiner jüdischen Ehefrau Jenny Grimminger, geborene Stern, mündete in eine unaufhaltbare Tragödie. Mit der Verhaftung von Eugen Grimminger wurde Jenny Grimminger deportiert und verstarb auf ungeklärte Weise,[139] in Auschwitz üblicherweise durch Gas. Egal wie Eugen Grimminger sich entschied, war die Situation ein Gewaltakt seines Gewissens. Er kannte selbst zu gut die Situation nach 1933, wie mit den Juden in Deutschland umgegangen wurde. Den Widerstand in München unterstützen, gleichzeitig seine jüdische Frau schützen, er hatte keine Wahl für DIE richtige Entscheidung. Entschied er sich für das eine, verlor er das andere und umgekehrt. Dazwischen sein Gewissen. Wie mag Eugen Grimminger das bis an sein Lebensende ausgehalten haben. Auch er wird viel zu gering von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Eugen Grimminger erfährt durch den Arbeitskreis Weiße Rose Crailsheim e. V. mit Unterstützung der Stadt Crailsheim seit dem Jahr 2015, durch eine in Crailsheim öffentlich angebrachte Gedenktafel, eine gebührende Anerkennung und Dank für seine Widerstandsunterstützung.[140] Die Initiative Erinnerung und Verantwortung in Crailsheim enthüllte zusammen mit der Stadt Crailsheim zu Ehren von Hans Scholl und Eugen Grimminger am 75. Todestag von Hans Scholl ein beeindruckendes Denkmal. Auch wenn viele Menschen an Gedenktafeln, Denkmälern oder Mahnmalen unbeachtet vorüberziehen sollten, wird eines Tages Hans Scholl und Eugen Grimminger in Crailsheim mehr und mehr wahrgenommen.

    Andere hatten unglaubliches Glück und überlebten mit dem Kriegsende im letzten Moment. Briefe, Tagebücher, Vernehmungsniederschriften und Zeitzeugen belegen ihren edlen Charakter und ihre tiefgründige Gesinnung. Ihre utilitären Flugblätter reflektieren einen aussergewöhnlichen, literarischen Ausdruckscharakter.

    Zu guter Letzt für dieses Kapitel ein bekanntes Zitat: «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold». Lassen wir diesen edlen Menschen jene Geheimnisse, die wir für uns selbst wünschen, dass sie gewahrt bleiben und die zu Lebzeiten bei einer Veröffentlichung schwer bestraft worden wären, ihr Recht auf Intimsphäre.