Hans Leipelt


* 21.7.1921 Wien † 29.1.1945 München-Stadelheim

GESCHICHTLICHER HINTERGRUND UND DEUTUNG

Hans Leipelt

 


Hans hat die Folgen der Nürnberger Gesetze für seine Familie als persönliche Verletzung und Entwürdigung empfunden. Deshalb haßte er die Nationalsozialisten, das trieb ihn in den Widerstand.“ Marie-Luise Jahn [330]



Hans Leipelt wurde in Wien geboren. Seine Mutter, Dr. Katharina Leipelt (geb. Baron) stammte aus einer österreichisch-böhmischen, jüdischen Familie und war promovierte Chemikerin. Der Vater, Diplom-Ingenieur Conrad Leipelt, kam aus Schlesien. Die Familie siedelte nach Hamburg-Wilhelmsburg über, wo Conrad Leipelt in einem bedeutenden Unternehmen eine leitende Stellung übernahm. Hans Leipelt wuchs zusammen mit seiner vier Jahre jüngeren Schwester Maria in einem Elternhaus auf, das besonders durch seine „hochintelligente, äußerst liebenswerte und sehr musikalische“ [331] Mutter geprägt war.

Die zu Hause gepflegte Offenheit wurde Hans schon früh zum Verhängnis: wegen einer kritischen Äußerung musste er 1935 die Schule wechseln. Der 17-jährige Leipelt absolvierte schon im Frühjahr 1938 die Matura. Nach der freiwilligen Teilnahme am Reichsarbeitsdienst erhielt er für seinen Einsatz am Bau des Westwalls ein Ehrenabzeichen. Nach der Einberufung in die Wehrmacht wurde er an der Front in Frankreich und Polen eingesetzt. Für seine Tapferkeit bekam er wiederum Auszeichnungen, so das Eiserne Kreuz 2. Klasse und das Panzerkampfabzeichen in Bronze.
[332]

 Hans Conrad Leipelt, Bodendenkmal vor der Ludwig-Maximilians-Universität München

Hans Conrad Leipelt, Bodendenkmal vor der Ludwig-Maximilians-Universität München

 

 

Zu den Leidtragenden der „1. Verordnung zur Ausführung des Gesetzes zum Schutze des Deutschen Blutes und der Deutschen Ehre vom 14. November 1935“ gehörte die Familie Leipelt. Die Mutter wurde zur „Privilegierten Volljüdin“, Hans und Maria zu „Mischlingen 1. Grades“ erklärt. Bei der Einverleibung Österreichs durch das Deutsche Reich im März 1938 nahm sich Leipelts jüdischer Onkel das Leben. Seine Großeltern flohen in die Tschechoslowakei. Nach dem Tod des Großvaters holte Conrad Leipelt die Großmutter nach Hamburg-Wilhelmsburg, weil er sie dort sicherer wähnte. [333]

Gedenktafel für Hans Conrad Leipelt

Gedenktafel für Hans Conrad Leipelt


Auf Grund des geheimen Führererlasses vom August 1940 wurde Hans Leipelt als „Halbjude“ aus der Wehrmacht entlassen. Weitere Schwierigkeiten brachte die Immatrikulation für das Chemiestudium an der Hamburger Universität mit sich, da bereits die Zulassung so genannter „jüdischer Mischlinge“ durch Erlass vom 5. Januar 1940 verboten war. Wohl durch Vermittlung seines Vaters konnte er in Hamburg sein Studium beginnen. Hier traf er auf Gleichgesinnte, die das nationalsozialistische Regime ablehnten. Zu ihnen gehörten Karl Ludwig Schneider (Absolvent der Lichtwark-Schule), Heinz Kucharski (Student der Philosophie, Ethnologie und Orientalistik), seine Freundin, die Medizinstudentin Margaretha Rothe (Universitätsklinik Eppendorf), die Musikstudentin Dorle Zill sowie der Philologiestudent Howard Beinhoff. [334] Wegen der sich verschlechternden Studienbedingungen in Hamburg setzte er mit Beginn des Wintersemesters 1940/41 sein Chemiestudium in München fort. Er fand Aufnahme bei Professor Heinrich Wieland (Nachfolger des freiwillig aus dem Amt geschiedenen Richard Willstätter (siehe Band 3: Willstätter), der in seinem Institut etwa einem Dutzend „Halbjuden“ das Studium ermöglichte. „Die Gäste des Geheimrates bekamen ihre abgelegten Examina mit dem Zusatz schriftlich bescheinigt, man werde das später regeln. [335] Wieland nahm sich vor, „irgend etwas dagegen zu unternehmen, etwas, das er auch die ganze Zeit durchhalten könnte. Da sei ihm eben dies eingefallen: Den Antisemitismus und später die Nürnberger Gesetze einfach zu ignorieren.“  [336]

Hans Leipelts Familie erfuhr weiteres Leid: Seine jüngere Schwester Maria musste 1942 die öffentliche Schule verlassen. Am 19. Juli 1942 wurde seine 76-jährige Großmutter nach Theresienstadt deportiert; sie starb dort nach kurzer Zeit. Als im gleichen Jahr sein „arischer“ Vater starb, verlor die Familie ihren letzten juristischen Schutz. „Mit ungeheurer Willenskraft, die ständige Aktivität bedeutete, hat Hans Leipelt versucht, sein schweres Schicksal zu ertragen. [337] In dieser aussichtslosen Lage wandte sich seine Mutter an einen Schweizer Kommilitonen ihres Sohnes, der ihr helfen sollte, ihre 15-jährige Tochter ins Ausland zu bringen. [338] Am Chemischen Institut von Professor Wieland schloss sich Leipelt inzwischen einem Freundeskreis an, zu dem Marie-Luise Jahn, Wolfgang Erlenbach, Valentin Freise, Liselotte Dreyfeldt, Ernst Holzer und Miriam David gehörten. Sie propagierten unzensierte Literatur, Kunst und Musik. Leipelt hörte ausländische Sender und gab die Informationen weiter. Einige Tage nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl (siehe Band 1: Geschwister Scholl) und Christoph Probst (siehe Band 2: Probst) hielt er das sechste Flugblatt in den Händen, das er gemeinsam mit seiner Vertrauten Marie-Luise Jahn vervielfältigte und unter dem Titel „Und ihr Geist lebt trotzdem weiter“ verbreitete. Zu Ostern 1943 brachten sie das Flugblatt nach Hamburg, wo es seine Freunde weiter verteilten. Sie planten auch Sabotageaktionen. „In München erfuhren wir von einem Institutsangestellten, daß die Angehörigen von Prof. Kurt Huber .... keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente haben. So veranstalteten wir eine Sammelaktion unter Münchner und Hamburger Freunden. Den Erlös konnten wir der Familie von Prof. Huber anonym zukommen lassen. Durch Denunziation erhielt die Gestapo Kunde von dieser Sammelaktion.“ [339]

Hans Leipelt wurde am 8. Oktober 1943 gefasst, Marie-Luise Jahn zehn Tage später; seine Hamburger und Münchner Freunde (circa 40 Personen) in den darauf folgenden Monaten. Seine Schwester wurde am 9. November 1943 in Haft gesetzt, die jüdische Mutter festgenommen. Dr. Katharina Leipelt starb unter noch ungeklärten Umständen im Gestapogefängnis Fuhlsbüttel. Der Prozess gegen Leipelt und seine Münchner Mitangeklagten fand am 13. Oktober 1944 vor dem Zweiten Senat des VGH in Donauwörth statt. Dieser tagte in der Kleinstadt Donauwörth, um einerseits Schutz vor den massiven alliierten Bombenangriffen auf München zu haben, und andererseits zu verschleiern, dass die „Weiße Rose“ Nachfolger gefunden hatte. Professor Wieland ließ seine „Schützlinge“ auch in dieser Lage nicht im Stich. Er hielt Kontakt „zu den Angehörigen, erkundigte sich nach Rechtsanwälten, war auch in einem Fall bereit, die Anwaltskosten zu tragen; er schickte auch Lebensmittelpäckchen an die Inhaftierten.“ [340]

Hans Leipelt wurde zum Tode verurteilt. Alle Quellen bestätigten, dass Leipelt versuchte, seine Mitangeklagten zu entlasten. So erfuhr Marie-Luise Schultze-Jahn von ihrem Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Kartini, dass ihm Leipelts Verhalten „als tiefer persönlicher Eindruck bei jener Hauptverhandlung beim VGH geblieben ist: ... er hat mich in einer persönlichen Rücksprache auf dem Gang des Gerichtsgebäudes, die wir trotz der damaligen Gestapo-Überwachung organisieren konnten, beschworen, unter allen Umständen zu versuchen, Ihnen (M.-L. Jahn) zu helfen, und, wenn es irgend ginge, ihn zu belasten. [341] Tatsächlich wurde die am 22. Juli 1944 in Berlin beantragte Todesstrafe für Marie-Luise Jahn [342] in eine zwölfjährige Zuchthausstrafe umgewandelt; ihre Befreiung erfolgte am 8. Mai 1945 im Gefängnis Aichach.

Der 23-jährige Leipelt befand sich drei Monate mit Heinrich Hamm im so genannten „Haus des Todes“ im Gefängnis München-Stadelheim. Sein letzter Tag war am 29. Januar 1945. Hans Leipelt verabschiedete sich von seinem Zellennachbarn: „Heinrich, ich danke dir für allen Trost und Zuspruch in den letzten Monaten. An Gott glaubst du ja nicht, so wollen wir uns dann auch nicht Wiedersehen sagen, aber laß uns noch einmal Lebewohl sagen. Wir drückten uns zum letzten Mal die Hand. Taumelnd falle ich auf meine Pritsche. Da schlägt die Uhr viermal. Ich drücke die Daumen fest in die Ohren, damit ich das Beil nicht fallen höre. [343]

Seine Beisetzung fand am 3. Februar 1945 auf dem Friedhof Perlacher Forst statt. Die Kostenrechnung für Hinrichtung und Bestattung erhielt Leipelts Tante in Wien.

Gedenken

I. Grabstätte Friedhof Perlacher Forst 85/118, Giesing
SV (1945)
Schwanseestraße Tram 27
II. Gedenktafel im Lichthof der Universität, II. Stock, „Weiße Rose“
Universität U3/U6
M u. LMU (1946)
III. Mahnmal im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität, Schwabing, „Weiße Rose“
Universität U3/U6
M u. LMU (1958)
IV. Hans-Leipelt-Straße, Studentenstadt, Freimann
M (1963)
V. Bodendenkmal am Haupteingang der Ludwig-Maximilians-Universität, Schwabing, „Weiße Rose“
Universität U3/U6
M (1988)
VI. Gedenktafel, Justizpalast, „Weiße Rose“
Prielmayerstraße 7
Karlsplatz/Stachus S1–S8 und Tram 19/20/27
M (1993)
VII. Grabtafel, KZ Ehrenhain II, Friedhof Perlacher Forst 85/118, Giesing
Schwanseestraße Tram 27
SV 1996
VIII. Denkraum in der Ludwig-Maximilians-Universität, „Weiße Rose“
Universität U3/U6
M, LMU u. Weiße Rose Stiftung (1997)
VIII. Denkraum in der Ludwig-Maximilians-Universität, „Weiße Rose“
Universität U3/U6
M, LMU und Weiße Rose Stiftung (1997)
 

Gedenken

 Anmerkungen

IX. Hans-Leipelt-Seminarraum
KM (1999)
Pharmazeutisches Institut der
Ludwig-Maximilians-Universität,
Großhadern (Butenandtstraße)
Zu VII. Grabtafel, KZ Ehrenhain II,
Friedhof Perlacher Forst 85/118, Giesing
SV (1996)
 
ANLASS UND ENTSTEHUNG
Auf Initiative von Dr. Marie-Luise Schultze-Jahn, einer ehemaligen Studienkollegin von Hans Leipelt, wurde auf dem Denkmal für politische Opfer im KZ Ehrenhain II des Friedhofs am Perlacher Forst im Jahre 1996 eine Grabtafel angebracht.

KURZBESCHREIBUNG
Auf einem Betonsockel (2,67 m × 0,6 m × 0,28 m) mit Sarkophag-Habitus sind die Namen von 93 Opfern auf Stahlplatten eingraviert. Eine dieser Platten (30 cm × 42 cm) trägt folgende Inschrift:

„Viele von ihnen waren Mitglieder von Widerstandsgruppen. Hans Leipelt gehörte zum studentischen Widerstandskreis „Weiße Rose“ und wurde am 29. Januar 1945 enthauptet.“

Ehrungen, Namenspatronage
1994: Hans-Leipelt-Schule (Staatliche Fachoberschule) in Donauwörth.
29. Januar 2000: Denkstunde am Grab von Hans Leipelt anlässlich des 55. Todestags im Beisein von Dr. Marie-Luise Schultze-Jahn.

Literatur Hans Leipelt