Der Mann mit dem Bart


Wunderschöne Urlaubstage. Einmal raus aus dem Trott. Ausschlafen so lange wir wollten, Sonne tanken, durchatmen und einfach nur glücklich sein.
Wir hatten es uns verdient.

Tina hatte seit 3 Jahren Tag für Tag geschuftet um ihr kleines Atelier aufzubauen. Erst jetzt war es ihr möglich gewesen eine Auszeit zu nehmen und sicher zu sein, dass die Kundschaft ihr treu blieb. Auch nach dem Urlaub würden die Damen der Gesellschaft nicht auf die kleinen aber teuren Accessoires und die erlesenen Schmuckstücke von "Tina S." verzichten wollen.

Auch ich konnte auf dem Urlaubskonto der letzten Jahre nicht gerade positives entdecken. Manchmal war es mir vorgekommen, als sei es ein Vergehen, nicht verheiratet zu sein. Jedes Jahr war es dasselbe. "Du verstehst das doch" hieß es dann im Kollegenkreis "Ich habe Frau und Kind. Da kann man nur in der Saison verreisen. Danke ich hab's ja gewusst. Bist ein toller Kumpel." Na prima! Davon, dass die Ehefrau das Herumscheuchen der gestressten Haushälterin als Fulltimejob ansah und das Kind im Vorschulalter war, wurde natürlich nicht gesprochen. "Du bist ja nicht verheiratet." hieß es nur lapidar "Du weißt ja nicht, wie schwer es ist, alle Termine unter einen Hut zu bekommen." Und bevor ich noch etwas erwidern konnte, waren alle günstigen Urlaubstage verplant und mit bunten Kreuzen auf dem großen Kalender an der Bürowand blockiert.

Richtig, wir waren nicht verheiratet. Doch wir lebten schon seit fünf Jahren zusammen, hatten Höhen und Tiefen gemeinsam gemeistert und waren, mehr als manches Ehepaar, eine echte Einheit. Aber eben ohne Trauschein. Genau das machte uns zu Außenseitern. Und, Außenseiter haben bei der Urlaubsplanung nun 'mal keine Chance. Trotzdem hatte es in diesem Jahr geklappt. Mein Kreuz war das erste auf dem Wandkalender. Ich erntete zwar einige böse Blicke und bissige Bemerkungen, aber das störte mich nicht weiter. Die Vorfreude auf den Urlaub mit Tina überwog.

Drei Wochen Karibik mit allem was dazu gehört. Unser Hotelbungalow lag direkt am Meer. Palmen säumten den Weg zur Bar und zum Restaurant. Der Service war nicht zu toppen. Jeden Wunsch las man uns von den Augen ab.
Alles war perfekt... dachte ich wenigstens. Denn ich war so urlaubseelig, dass ich die Katastrophe nicht kommen sah.

Es begann ganz harmlos beim Abendessen. An der Rezeption hatte Tina ein
Schild gesehen: "Morgen abend großer Strandball. Beginn 20.00 Uhr" stand darauf. Es war keine Frage dass wir uns das nicht entgehen lassen würden.
Tina war Feuer und Flamme. Mit blumigen Worten malte sie sich aus, wie wir tanzen und durch die karibische Nacht schweben würden. Ihre Begeisterung
riss mich mit und ich sah mich schon als Fred Astair der seine Tina "Ginger" unter großem Jubel leichtfüßig umschmeichelte. Doch plötzlich veränderten sich Tinas Gesichtszüge. Die Augen wurden hart. Die Lippen wurden schmal.
Und dann schlängelte sich aus zusammengebissenen Zähnen hindurch dieser fürchterliche Satz: "Ich habe nichts anzuziehen."

Aus war es mit der Begeisterung. Fred Astair knickte ein und stolperte unbeholfen über seine eigenen Füße, während Tina "Ginger", eben noch über der Tanzfläche schwebend, unsanft auf ihre, unbestreitbar hübsche, Sitzfläche plumpste. "Aber natürlich hast du was anzuziehen Schatz," bemühte ich mich um Schadensbegrenzung. "Du hast doch dieses entzückende Strandkleid, das du gestern angehabt hast."

Kann man ein Feuer löschen, indem man Petroleum hinein gießt? Nein! Aber
wie sollte ich auch wissen, dass das Strandkleid von gestern und Petroleum
ein und dasselbe waren? "Da sieht man mal wieder, dass du von solchen Dingen keine Ahnung hast. Ich kann doch zu einem Ball nicht "so was" anziehen. Wie sieht das denn aus? Und überhaupt - Wie kommst du denn dazu, dich hier als Modeprofi aufzuspielen? Aber du meinst ja, du wüßtest alles besser. Du hast wohl vergessen, dass ich mit Mode mein Geld verdiene. Ich habe schon immer vermutet, dass du mich und meinen Beruf nicht ernst nimmst. Warum sind wir überhaupt noch zusammen, wenn das so ist? Als hübsches Anhängsel bin ich dir gut genug. Aber das kannst du dir in Zukunft abschminken. Mit mir nicht!"

Ich schwöre, dass ich versucht habe sie und ihren Redeschwall zu besänftigen.
Aber irgendwann saß ich nur noch ungläubig und mit offenem Mund da. Ich konnte einfach nicht glauben, was sich da gerade ereignet hatte. Meine Tina.
Über alles geliebte, zärtliche, ausgeglichene, verständnisvolle Tina entpuppte sich als Furie. Mit Tränen der Wut in den Augen schob sie den Stuhl zurück. Der Tisch wackelte, die Gläser kippten und Tina rauschte davon, ohne die verwunderten Blicke der Tischnachbarn zu beachten. Ich blieb zurück und versuchte erfolglos den Nachbarn ein tapferes Lächeln zu zeigen. Ebenso erfolglos blieb es, den verschütteten Wein mit meiner Serviette aufzufangen.

Eigentlich wollten wir nach dem Essen an die Strandbar. Bei einem Cocktail den
Sonnenuntergang genießen um dann, unter den lustig funkelnden Lampions, zu
Nat King Coles "Unforgettable" mit einem Klammerblues die Nacht einzuleiten.
Das war wohl nichts. Das einzige was heute Nacht funkelte, waren Tinas zornige
Augen. Was unterging, war die Stimmung und "unvergesslich" sollte dieser Abend nur im negativen Sinne sein.

Verstört und hilflos verließ auch ich das Restaurant und wußte nicht wohin.
Sollte ich hinter ihr her in den Bungalow um sie zu trösten? Sie würde wohl
eher von einem Alien Trost angenommen haben, als von mir. Sollte ich allein in die Bar? - Großer Fehler. Sie würde denken, ich wolle mich ohne sie erst recht amüsieren. Mit anderen Frauen! Also zündete ich mir eine Zigarre an und ging
an den Strand.

Der Geschmack der dicken Havanna und das Rauschen des Meeres beruhigte mich etwas. Ich bemerkte nicht wie die Zeit verging, auch nicht dass es dunkel wurde. Ich lief einfach nur und versuchte, halbwegs erfolgreich, an nichts zu denken.

Irgendwann hörte ich leise Gitarrenklänge durch die Brandung. Ich sah auf und bemerkte in einiger Entfernung ein Lagerfeuer. Als ich näher kam, erkannte ich einen Mann, der mutterseelenallein an seinem Feuer saß an den Seiten einer alten Gitarre zupfte und von Zeit zu Zeit eine Flasche ansetzte, aus der er genußvoll kleine Schlucke nahm. Nach jedem Schluck strich er sich mit Daumen und Zeigefinger durch seine mächtigen Bart, schnalzte verzückt mit der Zunge und spielte weiter. Einladend zwinkerte er mir zu und forderte mich auf. mich zu ihm zu setzen.

Erst jetzt fiel mir auf, wie sehr ich mich nach Gesellschaft gesehnt hatte. Um uns herum war mittlerweile die Nacht mit ihrer undurchdringlichen Schwärze hereingebrochen. Wie auf einer kleinen Insel saßen wir am Feuer und tranken
gemeinsam aus der Flasche, deren Inhalt zugleich berauschte, wie auch die Sinne zu schärfen schien. Wir redeten nicht viel. Aber trotzdem hatte ich das Gefühl, als hätte ich dem Mann mit dem Bart alles erzählt und er hätte auf jede Frage eine befriedigende Antwort gehabt.

Die Nacht ging zuende und ich fand mich, zwar alles andere als nüchtern aber bester Dinge in unserem Bungalow wieder. Tina war wohl schon frühstücken gegangen. Ich duschte ausgiebig und fühlte mich anschließend so frisch, als
hätte ich die Nacht durchgeschlafen und nicht mit einer Flasche in der Hand neben einem bärtigen Gitarrenspieler am Strand verbracht. An der Rezeption erfuhr ich, dass Tina an einem Tagesausflug teilnahm. Ich hoffte, dass ihr der Ausflug half, ihren Groll gegen mich zu vergessen und beschloss den Tag so nützlich wie möglich zu verbringen. Ich hatte viel zu erledigen und beeilte mich deshalb mich umzuziehen und mit einem Leihwagen in die Stadt zu fahren.

Erschöpft, aber mit mir und der Welt zufrieden, saß ich abends im Restaurant und wartete auf Tina. Etwas nervös war ich, mußte ich mir eingestehen. Deshalb zupfte ich immer wieder fahrig an den Revers meines neuen Anzuges und kontrollierte zum x-ten mal den Sitz der dunklen Krawatte. Dann war es soweit. Sie kam. Und wie...!

Schon von weitem sah ich sie durch die Halle schweben. Ihre hohen Schuhe verliehen ihr einen Gang, der anders nicht zu beschreiben war. Ihre Frisur
und das Make-up waren einfach perfekt und erst das "Kleid"...
Es hatte dieselbe Farbe wie ihre strahlend, grünen Augen. Federleichte
Stoffbahnen umschmeichelten ihren makellosen Körper. Hauchdünne Träger hielten das ganze zusammen und setzten ihr wunderschönes Dekolleté in das richtige Licht.

Ich erhob mich, um ihr, fast platzend vor Stolz, entgegen zu gehen. Wir trafen uns in der Mitte es Restaurants. Sie blieb vor mir stehen und lächelte mich glücklich an. Mit einem schelmischen Augenzwinkern nahm sie meine Hand, und ich führte sie unter den anerkennenden Blicken der anderen Gäste an unseren Tisch. Dort angekommen platzte sie sogleich heraus: "Wie hast du das nur hingekriegt?" "Nun," meinte ich erfreut "ich kenne deine Schuh- und Kleidergröße. Ich kenne auch die Farbe deiner Augen und deine Vorliebe für leichte Stoffe. Schwer war es eigentlich nur, die Schneiderin davon zu überzeugen, dass das Kleid noch heute fertig sein musste. Dagegen bedurfte es nur eines kleinen Trinkgeldes, Kosmetikerin und Friseurin zu einer Überstunde zu überreden."

Ich kann mich nicht erinnern, dass sie in dieser Nacht meine Hand einmal losgelassen hätte. Und wenn, dann nur, um mir beim Tanz zärtlich den Nacken zu streicheln. Spät in der Nacht spielte die Band "Unforgettable". Eng aneinander geschmiegt bewegten wir uns langsam zur Musik. Nach einer leichten Drehung warf ich einen kurzen Blick zur Bühne. Verblüfft erkannte ich, wer dort die Gitarre spielte. In einem himmelblauen Bühnensmoking, wie verkleidet und doch unverwechselbar, erkannte ich den Mann mit dem Bart. Er lächelte mir zu und nickte beifällig.

Viele glückliche Stunden später in unserem Bungalow meinte Tina zärtlich: "Dass ihr Männer immer erst den Holzhammer braucht, bevor ihr einfachste Dinge versteht." Ich gelobte Besserung und dachte dankbar an den Mann mit dem Bart, der so viel wusste.

Calo von Oss 2003

© Calo v. Oss 2003

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