Ganz locker

Ja klar, ich tu´s jetzt! Ich verabrede mich mit ihr, ist doch kein Problem. Ich gehe einfach zu ihr und lade sie auf einen Kaffee ein. Also los...
Stop! Stimmt die Rasur? Ist der Atem noch so pfefferminzig wie er sein soll? Wirken die Klamotten auch nicht zu leger, hoffentlich aber auch nicht zu aufgesetzt? Wenn ich schon vor dem Spiegel stehe kann ich ja noch mal dieses
Lächeln überprüfen das angeblich so sympathisch wirkt... Na ja, geht einigermaßen. Ich bin ganz locker - absolut locker. Oder?
Da stehe ich jetzt vor ihrem Laden und der nasse Schnee peitscht mir ins Gesicht.
"Los," sage ich zu mir "geh doch rein!" Geht nicht. Sie hat Kundschaft. Außerdem sind da sowieso viel zu viele Menschen. "Stell dich nicht so an! Sie mag dich. Und, dass du sie magst weiß sie auch." Ja natürlich. Das ist ja auch OK so - aber reingehen...
Ich könnte sie ja auch anrufen. Genau! Handy raus und wählen, - das ist doch total einfach.
"Los Feigling tu es endlich" Sie geht ran und meine Knie werden weich.

"Ja natürlich gehen wir Kaffee trinken, sehr gerne sogar. Aber es geht nicht gleich. Ich habe noch zu viel zu tun. Sagen wir halb fünf? Ist dir das recht? Prima! Dann, bis nachher. Übrigens danke für die Mails, die du mir geschickt hast." Ich fliege! Ich habe sie gesehen und es war keine Fata Morgana. Ganz im Gegenteil. Sie sah wieder so phantastisch aus wie das letzte Mal. Und, ihre Stimme klang am Telefon so positiv wie ich es mir gewünscht hatte. Ich glaube, sie freut sich auch.

Der Nachmittag wird sich etwas in die Länge ziehen, denn es ist gerade zwölf Uhr. Ich kaufe mir Zeitungen und gehe in ein Bistro. Die paar Stunden kriege ich doch leicht rum. Denkste! Viereinhalb Stunden - das sind 270 (in Worten zweihundertsiebzig) Minuten. Und, jede Minute hat sechzig Sekunden. Warum hat mir niemand gesagt wie lang das sein kann?! In der Zeitung sind zum Glück Fotoreportagen. Ein blitzartiger Anfall von Legasthenie macht mir das Lesen unmöglich. Auch das Führen oberflächlicher Gespräche am Bistrotisch ist nicht zu meistern. Meine Konzentrationsfähigkeit ist bei Null angelangt. Und die Minuten dehnen sich zu Stunden Eigentlich wollte ich einen Salat essen. Ich bestelle ihn... und lasse ihn stehen. Der Magen ist fest verschlossen und weigert sich standhaft feste Nahrung aufzunehmen.

Endlich! Es ist vier Uhr. Schnell zahlen und raus in diese ungemütliche Mischung aus Schnee, Regen, Wind und matschigen Straßen. Treffpunkt ist "das Kaffe" der Stadt. Dekoration und Publikum - irgendwo zwischen Schickimicki und echt edel.
Ich bestelle Tee. Möglicherweise hilft der mir, diese aufkommende Panik zu lindern und ruhiger zu werden. Es ist fünf vor halb. Gleich kommt sie. Ist der Tisch gut gewählt? Nicht mitten drin und auch nicht zu versteckt? Wird sie mich finden, wenn sie herein kommt?

Tee treibt, stelle ich fest. Aber, ich kann doch jetzt nicht zur Toilette gehen!! Was ist, wenn sie genau in dem Moment eintrifft in dem ich den Tisch verlassen habe? Bis zwanzig Minuten vor halte ich durch. Dann zwing mich meine nervöse Blase zu den "Örtlichkeiten". Ich drapiere noch schnell meinen Hut, den sie kennt, gut sichtbar auf der Stuhllehne und folge der Notwendigkeit.
Dass es mittlerweile 16 Uhr 45 geworden ist beunruhigt mich nicht so sehr wie die Möglichkeit, dass ich im falschen Lokal sitzen könnte - oder im falschen Raum. Also begebe ich mich auf Erkundungsgang. Sitzt sie hier etwa schon irgendwo und ist verärgert, dass ich mich verspäte? Nein, sie ist noch nicht da und ja, es ist das richtige Lokal. Es ist 17.00 Uhr. "Noch einen Tee bitte!"

Ich habe mich bestimmt verhört am Telefon. Sicher wollte sie erst um Fünf kommen. Gleich wird sie da sein und, ich kann immer noch nicht fassen, dass sie sich wirklich mit mir verabredet hat. Die aufmerksame Bedienung tauscht mitleidig den überfüllten Aschenbecher aus. Meine Nervosität muß ja nicht gleich auf den ersten Blick an heiß gerauchten Kippen erkannt werden.
Zwanzig nach Fünf.

Ob ich sie nicht doch anrufen sollte? Ich starre mein Handy an und suche verzweifelt nach Formulierungen, die auf keinen Fall nach Vorwurf klingen.

"Hallo, ich bin's. Hast bestimmt noch zu tun - oder?" "Ja. Tut mir wirklich leid aber der Laden ist total voll. Ich komme nicht mal zum Telefonieren." - Aha! Fasse dich kurz! - "Wie lange bist du denn noch in der Stadt? Noch fünf tage - toll, dann sehen wir uns bestimmt. Sei mir bitte nicht böse. Ich wollte so gerne kommen." "Nein, bin ich nicht. Klar wolltest du. Ich rufe dich morgen an und dann verabreden wir uns. Ich freue mich schon darauf." "Ja, ich auch - und danke noch mal für deine lieben Mails. Ich habe mich wirklich riesig gefreut. Tschüs bis dann."

Morgen also. Prima - und diesmal gehe ich es ganz locker an. Bestimmt!

Calo v. Oss

© Calo v. Oss 2003

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