Der Kaffee ist
fertig
Gestern abend habe ich rosa Wolken gezählt. Ich hatte mir
vorgenommen mindesten bis 150 zu zählen. Aber weiter als bis 18
1/2 hat es, unterbrochen von einem kurzen Nachtgebet nicht
gereicht. Genau weiß ich das nicht mehr. Jeden Abend will ich
auf die letzte Wolke in Gedanken einen dicken, violetten Klecks
malen. Stimmt - die Farbzusammenstellung ist total daneben. Aber
gerade das soll mir helfen, mich an die Nummer der letzten Wolke
zu erinnern. Keine Chance! Bevor ich bei der letzten angekommen
bin, habe ich längst vergessen, dass ich noch wichtige
Markierungsarbeiten verrichten wollte.
Ich werde, wie immer, mit einem zufriedenen Seufzen eingeschlafen
sein und mich in die Zauberwelt der Träume begeben haben. Träume,
so sagt man, sind das Spiegelbild der Realität. Es gibt grausame
- und es gibt wunderschöne Erlebnisse in diesem Reich zwischen
Abend und Morgen. Wie die meisten Menschen, so habe auch ich glücklicherweise
die Fähigkeit Erinnerungen an "böse Träume" einfach
auszuschalten. "...Hat mir nicht gefallen, war Mist, kommt
in die Ablage Papierkorb." Die schönen Träume jedoch, die
man sich vor dem Einschlafen wünscht, die bleiben, zumindest
bruchstückweise, im Gedächtnis. Ich habe einen, immer
wiederkehrenden Traum vom kleinen Glück. Er beginnt damit, dass
der verführerische Duft von frischem Kaffee und knusprigen Brötchen
meine Nase kitzelt. Das nächste Traumbild zeigt mir eine
wunderschöne Frau. Zierlich mit zarter, fast durchsichtiger Haut.
Ihre leicht gewellten Haare umschmeicheln ein Gesicht in dem die
Augen nicht nur bloße Sehorgane sind. Denn diese Augen zeigen
mit übermächtiger Deutlichkeit, welch wunderbarer, liebevoller
Mensch sich dahinter verbirgt. In meinem Traum werde ich von
diesem elfengleichen Wesen gefragt, ob ich zuerst Honig oder
Marmelade möchte und ob das Frühstücksei so gut ist. Wir
lachen, wir scherzen und ich kann nicht genug bekommen von diesem
Moment der Leichtigkeit und der Freude. Ein herrlicher Traum.
Wenn meine innere Uhr sich in mein Unterbewußtsein mogelt, um
anzuzeigen, dass ich bald aufstehen muß, ist es jedes mal
schwieriger diesen Traum los zu lassen.
Langsam kehre ich zurück. Ich öffne die Augen und versuche,
mich in der Realität zurecht zu finden. Dann höre ich eine
Stimme, und ich benötige einen Augenblick um zu verstehen, was
sie zu mir sagt: "Liebling, der Kaffee ist fertig. Wenn du pünktlich
im Büro sein willst, dann solltest du jetzt wirklich aufstehen."
Morgen werde ich wieder das Frühstück vorbereiten - wie an
jedem zweiten Tag. Und dann darf sie etwas länger träumen.
Calo v. Oss
© Calo v. Oss 2003
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